Brexit:"Reine Inszenierung"

Brexit: Jean-Claude Juncker sagte, das Pflaster auf seiner Wange sei die Folge eines Rasierunfalls. Theresa May habe nichts damit zu tun.

Jean-Claude Juncker sagte, das Pflaster auf seiner Wange sei die Folge eines Rasierunfalls. Theresa May habe nichts damit zu tun.

(Foto: John Thys/AFP)

Die britische Premierministerin May besucht Brüssel, auch Oppositionsführer Corbyn trifft sich mit Chefunterhändler Barnier. Doch an der Position der EU ändert sich nichts. Der sogenannte Backstop bleibt das zentrale Streitthema.

Von Matthias KolbAlexander Mühlauer, Brüssel

Jean-Claude Juncker kann seine Stimmungslage nur schwer verbergen. "Ich bin nicht sehr optimistisch", sagte der EU-Kommissionspräsident am Donnerstag über die Chancen, einen ungeregelten Brexit zu vermeiden. Nur noch 36 Tage sind es bis zum Stichtag. Am 29. März will Großbritannien die EU verlassen. Doch wie deutlich die Vorstellungen über das Wie zwischen London und Brüssel auseinanderliegen, zeigte sich erneut am Mittwochabend, als Premierministerin Theresa May Juncker in Brüssel besuchte.

Als "reine Inszenierung" des unerlässlichen Bemühens der Britin hatte ein erfahrener Europaabgeordneter den Termin bezeichnet. In Erinnerung bleiben wird das Treffen ohnehin nicht wegen der Inhalte, sondern vor allem wegen Junckers Spruch, dass das Heftpflaster auf seiner Wange die Folgen eines Rasierunfalls verdecken solle - und nicht dass May ihm die Blessur zugefügt habe.

Einen Tag nach der Premierministerin reiste auch Labour-Chef Jeremy Corbyn nach Brüssel. EU-Chefunterhändler Michel Barnier habe ihm "den Wunsch nach einem Treffen" gerne erfüllt, erklärte ein Kommissionssprecher fast schon gönnerhaft. Corbyn und May stehen beide unter massiver Kritik ihrer Parteien, seit in dieser Woche mehrere Unterhausabgeordnete die Fraktionen von Labour und Tories verlassen haben. Während also auf beiden Seiten des Kanals eifrig über die Folgen dieser Austritte für die Brexit-Abstimmungen spekuliert wurde, führte am Donnerstag noch ein anderer Brite Gespräche in Brüssel, dem nun viele eine Schlüsselrolle im Brexit-Drama zuweisen: Geoffrey Cox, 58, Millionär, und seit Juli Generalstaatsanwalt des Vereinigten Königreichs.

Der oberste britische Jurist soll dabei helfen, dass May den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag doch noch durchs Unterhaus kriegt. Anders als May verfügt Cox bei den Skeptikern in den Tory-Reihen über eine nicht zu unterschätzende Autorität. Mays Hoffnung ist, dass der Jurist eine noch zu formulierende Zusatzerklärung zum umstrittenen Backstop gutheißt und so dafür sorgt, dass eine Mehrheit im Unterhaus für den Austrittsvertrag stimmt. Der Backstop ist eine Notfalllösung, die in Kraft treten würde, wenn sich London und Brüssel nach dem Brexit nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen sollten. Laut Backstop verbliebe Nordirland de facto im Binnenmarkt und würde damit anders behandelt als der Rest des Vereinigten Königreichs.

Brüssel schnürt das Austrittsabkommen nicht mehr auf. May hat das akzeptiert

Generalstaatsanwalt Cox hatte im Dezember die Meinung vertreten, dass die Briten auf Dauer im Backstop gefangen bleiben könnten, auch wenn die Vereinbarungen nach Artikel 50 des EU-Vertrags eigentlich nicht auf Dauer angelegt sein dürften. Mays Kalkül: Cox könnte in einem neuen Rechtsgutachten versichern, dass der Backstop keine Falle der EU sei. Dies soll moderateren Brexit-Befürwortern und nordirischen DUP-Abgeordneten die nötigen Argumente liefern, Mays Deal zuzustimmen, um nicht zuletzt einen chaotischen Brexit zu verhindern. Ganz zu schweigen von der aus Tory-Perspektive schrecklichen Aussicht auf einen sozialistischen Premierminister Corbyn.

Seit einiger Zeit spricht Cox also in Brüssel über "rechtlich bindende" Formulierungen, die garantieren sollen, dass der Backstop nie angewendet werden wird. Weil die EU das Austrittabkommen nicht aufschnüren und May dies in der jüngsten Erklärung mit Juncker auch anerkannt hat, soll eine "separate Erklärung" mit Erläuterungen zum Backstop verfasst werden. Über die Details wird gerungen, denn Cox' erste Idee gilt EU-Diplomaten zufolge als inakzeptabel: Demnach hätte London den Backstop einseitig mit einer einjährigen Vorlaufzeit aufkündigen dürfen.

Bis es zu einer Lösung kommt, dürfte es noch dauern. Für beide Seiten wäre es wohl zu früh, sich jetzt schon in der Sache zu bewegen. Einen konkreten Textvorschlag für die rechtlich bindende Zusatzerklärung zum Backstop gibt es jedenfalls laut EU-Diplomaten noch nicht. In Brüssel kursiert deshalb folgendes Szenario: Das Ringen um Worte geht erst einmal weiter, bis es dann beim EU-Gipfel am 21./22. März zum Schwur kommen könnte. Dann bliebe für May noch eine Woche Zeit, um ein Kompromisspaket durch das britische Unterhaus zu bekommen. Aus EU-Sicht wäre es zwar besser, wenn May schon vor dem Gipfeltreffen zumindest eine Probeabstimmung machen würde. Dann könnte sie der Europäischen Union beweisen, dass eine Mehrheit hinter ihrem Deal steht.

Klappt das aber nicht, könnte die britische Regierung um eine Verlängerung des Austrittsprozesses nach Artikel 50 bitten. Juncker hatte bereits durchblicken lassen, dass sich dem wohl kein EU-Mitgliedsland verschließen würde.

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