Estnischer Denkmalstreit:Blumen und Bananen

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Das sowjetische Soldatendenkmal in Tallinn hat schwere Krawalle ausgelöst. Der Künstler Hanno Soans beschäftigt sich als Kurator des Tallinner Kunstmuseums seit Jahren mit dem Denkmal. Ein Gespräch über eine Art estnisch-russischen Kulturkampf.

Matthias Kolb

Inzwischen bemüht sich die estnische Regierung um Schadensbegrenzung. Das Denkmal des sowjetischen Soldaten in Tallinn, dessen Demontage schwere Krawalle ausgelöst hat, werde auf einem Militärfriedhof bald wieder aufgebaut, erklärte sie, und nicht eingeschmolzen oder zerlegt, wie einige Gerüchte lauten. Der estnische Künstler Hanno Soans beschäftigt sich seit Jahren mit dem Denkmal. Der 32-Jährige arbeitet als Kurator im Kunstmuseum Kumu in Tallinn.

Ein Symbol sowjetischer Besatzung für viele Esten - Soldatendenkmal in Tallinn. (Foto: Foto: AP)

SZ: Was haben Sie von den Ausschreitungen mitbekommen?

Hanno Soans: Am Freitagabend wurde in der Nähe des Denkmals eine Ausstellung eröffnet. Wir waren quasi live dabei, als die ersten Flaschen flogen. Ich war noch nie bei einer Vernissage, bei der mehr Leute aus dem Fenster starrten, als die Kunstwerke zu betrachten.

SZ: Wieso löst die Demontage des Denkmals solche Emotionen aus?

Soans: Für viele Esten ist es das Symbol der sowjetischen Besatzung und der Bedrohung ihrer Kultur. Für russisch-sprachige Esten, etwa ein Viertel der Bevölkerung, steht es für den Sieg über den Faschismus. Seit der Unabhängigkeit 1991 haben Nationalisten vergeblich gefordert, das Denkmal zu entfernen. Immer wieder haben Skinheads dort Fahnen geschwenkt. Oft wurde die Statue beschmiert. Das Thema dominierte auch die Diskussionen vor der Wahl im März.

SZ: Was war der Auslöser?

Soans: Einige russischsprachige Politiker haben die Organisation ,,Nachtwache'' gegründet, deren Mitglieder um das Denkmal patrouillierten. Die konservativen Parteien haben im Wahlkampf versprochen, das Denkmal an einem anderen Platz aufzubauen und die Leichen der Soldaten der Roten Armee, die unter dem Denkmal bestattet sind, zu exhumieren. Im Januar wurde dazu ein Gesetz verabschiedet. Moskau drohte daraufhin mit Wirtschaftssanktionen. Putin forderte, die Leichen in Russland zu beerdigen.

SZ: Es gab also doch eine Debatte?

Soans: Leider nein. Gegner und Befürworter des Abrisses haben sich nur beschimpft, aber nie miteinander geredet. Ich verstehe dieses Schwarz-Weiß-Denken nicht: In fast allen estnischen Familien mussten Männer in der Wehrmacht kämpfen, während ihr Bruder oder Cousin von der Roten Armee eingezogen wurde. Aber über diese Verwicklungen wird nicht gesprochen. Nach offizieller Lesart waren wir nur Opfer.

SZ: Sie haben 1998 selbst eine Performance am Soldatendenkmal aufgeführt.

Soans: Ich habe mich an die Rückseite des Denkmals gestellt, es sollte aussehen wie ein Spiegelbild. Mein nackter Körper war pink angestrichen und vor mir lag ein Haufen Bananen - als Anspielung an das ewige Feuer, das während der Sowjetzeit dort loderte. Ich nannte die Aktion ,,Noch ein unbekannter Soldat'', denn damals wurde kaum über die Gräber unter dem Denkmal geredet. Einige Passanten staunten, andere schimpften. Nach zehn Minuten fuhr ich weg, ein Freund filmte alles. Dann passierte etwas, womit ich nie gerechnet hätte: Die Leute grabschten nach den Bananen, die ich als Opfergabe niedergelegt hatte. Damals waren die noch etwas Besonderes.

Einige Jahre später habe ich vor einem anderen Denkmal am 9. Mai Hunderte giftgrüne Granny Smith-Äpfel niedergelegt, auf die ich Sticker mit pinkfarbenen Hakenkreuzen geklebt hatte. Viele Veteranen waren wütend. Einer stellte sich vor eine Kamera, biss herzhaft in den Apfel und sagte: ,,Schau her, was wir mit den Deutschen machen können.''

SZ: In Estland sind Denkmäler eine heikle Angelegenheit.

Soans: Das stimmt. Im Sommer 2004 wurde in Lihula ein Ehrenmal für die estnischen Mitglieder der Waffen-SS aufgestellt. Nach Protesten aus dem Ausland wurde es entfernt, es kam zu Prügeleien zwischen den Bewohnern und der Polizei. Auch damals wurde aus Rache der Bronzene Soldat beschmiert. Doch die jetzigen Krawalle sind schlimmer. Die Demonstranten sind ja meist angetrunkene Jugendliche. Aber zugleich skandieren sie ,,Russland, Russland'' und ,,Dies alles gehört zu uns''.

SZ: Wie haben die Menschen reagiert?

Soans: Die Leute sind schockiert, solche Szenen hat es hier noch nie gegeben. Zugleich passieren seltsame Dinge: Am Freitag saßen Leute mit ihren Notebooks im Café und haben im Internet Nachrichten geguckt. Immer wieder rief jemand: ,,Oh, bei BBC waren wir die zweite Meldung''. Das ist aber nichts gegen die Aktion unserer angeblich so modernen Regierung. Alle Esten haben am Donnerstagabend eine SMS mit folgendem Text bekommen: ,,Bitte bleiben Sie zu Hause und reagieren Sie nicht auf die Provokationen''. Unglaublich! Die Behörden versagen auf der ganzen Linie, aber die Regierung beruhigt die Bürger per SMS.

SZ: Wie wird es weitergehen?

Soans: Die Ereignisse werden uns noch lange beschäftigen. Es wird mehrere Tage dauern, die Leichen der Soldaten umzubetten. Wahrscheinlich kommt es rund um den 9. Mai zu neuen Ausschreitungen. Das Verhältnis zwischen den Esten und der russisch-sprachigen Minderheit wird sich verschlechtern.

SZ: Setzen sich junge Künstler mit dem Thema auseinander?

Soans: Leider gibt es in der Kunstszene kaum Russen: Sie interessieren sich mehr für Theater oder gehen zum Studium nach Sankt Petersburg und Moskau. In letzter Zeit haben sich aber einige junge estnische Künstler mit dem Thema beschäftigt. Das stimmt mich optimistisch. Vorher waren es vor allem Ausländer, die sich dafür interessiert haben. Ein schwedisches Künstlerduo namens ,,Trial and Error'' hat dem Denkmal-Krieg die Seite www.trialerror.org gewidmet. Es gibt nämlich Pläne, einer Figur aus unserem Nationalepos Kalevipoeg ein riesiges Monument zu errichten. Die Schweden hatten dazu eine gute Idee: Man sollte gleich einen Mechanismus zur Selbstzerstörung einbauen. Wenn es der Mehrheit nicht mehr gefällt, drückt man einen Knopf und das Denkmal explodiert. Vielleicht wäre das ganz gut für uns Esten.

© SZ vom 30.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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