Bundestag:Ramponiertes Haus

Plenarsaal aufgenommen im Rahmen der Konstituierenden Sitzung vom 19 Deutschen Bundestag in Berlin

Die Normgröße des Parlaments liegt bei 598 Abgeordneten, derzeit sind es aber 709. Und es könnten noch viel mehr werden.

(Foto: Florian Gaertner/photothek.net/imago)

Die Verkleinerung des Bundestags ist gescheitert. Besonders ärgerlich ist dabei die Rolle von Union und SPD, die als Koalitionsfraktionen an allererster Stelle verpflichtet gewesen wären, eine Lösung zu finden.

Kommentar von Robert Roßmann

Wolfgang Schäuble war durchaus bewusst, dass seine Mission nicht einfach werden würde. Eine Verkleinerung des Bundestags geht zu Lasten aller Fraktionen, aber genau diese Fraktionen müssen die Verkleinerung beschließen. Das sei "ein klassisches Dilemma", hat Schäuble im vergangenen Jahr eingestanden - und dann doch Vertreter aller Fraktionen zusammengeholt, um über eine Reform zu beraten. Er könne wegen des Dilemmas "ja nicht den Revolver nehmen und sich erschießen", fand der Bundestagspräsident. Das war genauso richtig wie ehrenwert, schließlich wächst das Parlament seit Jahren noch schneller als der Bauch von älteren Familienvätern. Derzeit gibt es 709 Abgeordnete, nach der nächsten Wahl könnten es mehr als 800 sein. Dabei liegt die Normgröße bei 598.

Doch trotz des offenkundigen Problems ist die Reform jetzt gescheitert. Ein Kompromissvorschlag Schäubles wurde von allen Fraktionen abgelehnt. Besonders ärgerlich ist dabei die Rolle von Union und SPD, die als Koalitionsfraktionen an allererster Stelle verpflichtet gewesen wären, eine Lösung zu finden.

Schäubles Vorschlag hat zwei Komponenten. Zum einen soll die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 270 reduziert werden, das verringert auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Überhangmandaten kommt. Zum anderen sollen nicht mehr alle Überhangmandate einer Partei durch Ausgleichsmandate für die anderen kompensiert werden. Schäuble plädiert dafür, dass die ersten 15 ohne Ausgleich bleiben - das ist genau die Grenze, die das Verfassungsgericht für zulässig erachtet. Doch die Union verteufelt den einen Teil des Vorschlags, die SPD den anderen. Und beide argumentieren dabei nicht nur lauter.

Die Union idealisiert die direkt gewählten Abgeordneten als besonders legitimierte Parlamentarier und Garanten der Bürgernähe. Dabei haben bei der letzten Bundestagswahl lediglich zwölf der 299 Wahlkreissieger mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht; in Berlin-Mitte reichten sogar 23,5 Prozent zum Gewinn des Direktmandats. Außerdem zeigen Umfragen, dass ein großer Teil der Bürger auch ihren Wahlkreisabgeordneten nicht kennt. Warum sollten sie also etwas Besseres sein als Listenabgeordnete?

Der eigentliche Grund, warum die Union eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise ablehnt, ist deshalb auch ein anderer. Die Unionsfraktion besteht fast vollständig aus direkt gewählten Abgeordneten, sie ist von diesem Teil des Schäuble-Vorschlags also besonders betroffen.

Und die SPD? Bei den drei Bundestagswahlen, in welche die Sozialdemokraten mit Gerhard Schröder gezogen sind, hat die SPD mit Abstand die meisten Überhangmandate erzielt. Ausgleichsmandate für die anderen Parteien gab es zu der Zeit noch keine. Damals hat die SPD das nicht als unzulässige Verzerrung des Wahlergebnisses verteufelt. Aber heute beharrt sie darauf, dass alle Überhangmandate ausgeglichen werden müssen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der SPD dabei nicht nur um demokratische Prinzipien geht. Denn inzwischen ist es die Union, die von nicht ausgeglichenen Überhangmandaten profitieren würde.

Union und SPD haben dem Ansehen des Bundestags bereits mit der überfallartigen Anhebung der staatlichen Parteienfinanzierung geschadet. Mit ihrer unzureichenden Kompromissbereitschaft bei der Wahlrechtsreform ramponieren sie den Ruf des Parlaments jetzt erneut.

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