Mietpreise:"Die Häuser denen, die darin wohnen"

In deutschen und europäischen Großstädten demonstrieren Tausende Menschen gegen hohe Mieten. In Berlin unterschreiben zudem viele für ein bisher einzigartiges Volksbegehren.

Von Jacqueline Lang, Berlin

Demonstration gegen steigende Mieten - Berlin

Gegen Verdrängung und „Mietenwahnsinn“: Allein in Berlin versammelten sich Tausende Demonstranten.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

Franca K. lebt noch zu Hause bei ihren Eltern - und das, obwohl sie bereits 22 Jahre alt ist und längst studiert. "Wir wollen gerne ausziehen, aber wir finden einfach keine Wohnungen", sagt die Berlinerin. Mit wir meint sie sich und ihre drei Freundinnen, die, genau wie sie selbst, keine bezahlbare Bleibe finden. Die Freundinnen sind alle in Kreuzberg groß geworden und gerne würden sie dort bleiben, aber mittlerweile würden sie auch in anderen Vierteln nach Wohnungen schauen. Nur ins Plattenbauviertel Marzahn wollen die Frauen nicht unbedingt ziehen.

So wie Franca K. waren am Samstag Tausende Menschen in der Hauptstadt unterwegs - und das lag nicht nur am schönen Wetter. Laut Polizei waren "weit über 10 000" auf der Straße, um für bezahlbaren Wohnraum und gegen steigende Mieten zu demonstrieren. Die Veranstalter sprachen gar von 40 000 Teilnehmern. Wohnen sei ein Grundrecht, da waren sich alle einig, die auf den Alexanderplatz gekommen waren, um von Berlin-Mitte über Friedrichshain nach Kreuzberg und bis zum Arena-Gelände an der Schlesischen Straße zu marschieren.

Dort fand am Wochenende die Immobilienmesse statt. Parallel zu der Demo "Markt macht Armut. Wohnen ist Menschenrecht" startete auch der Antrag auf ein bislang einzigartiges Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Allein der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen SE gehören in Berlin 112 000 Wohnungen. Gekauft haben die Wohnungsgesellschaften sie vor vielen Jahren vom Land Berlin. Die Forderung der Initiatoren, die nun eine Unterschriftenaktion gestartet haben: Berlin soll die Wohnungen von den Gesellschaften zurückkaufen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen.

Viele Berliner unterschreiben für ein bisher einzigartiges Volksbegehren

Die Schlange derer, die gleich am Samstag unterschreiben wollen, ist lang. Auch das Ehepaar Hofmann hat sich eingereiht. "Es geht nur noch mit strengen Maßnahmen", sagt Rainer Hofmann. Die CDU habe alle Gesetze verwässert. Es müsse sich nun ganz grundlegend etwas ändern, davon ist auch seine Frau überzeugt. Sie ist 77, er 80 Jahre alt, und sie sind nicht die Einzigen in dieser Altersgruppe. "Berlin auch für Omas", steht auf dem Plakat, das eine ältere Dame in die Höhe hält.

Markus B. lebt in Berlin-Mitte und hat ebenfalls unterschrieben. Das Haus, in dem er wohnt, gehört der Deutsche Wohnen SE. Für seine Wohnung zahlt er 460 Euro warm. Das macht 9,30 Euro pro Quadratmeter. Er sagt, das sei schon zu viel. Seine Nachbarin, eine alleinerziehende Mutter, zahle sogar mehr als elf Euro für den Quadratmeter. Der 37-Jährige findet das "hochkriminell" und will wegen seiner Miete vor Gericht ziehen, wenn es nicht klappt mit der Enteignung der Wohnungsgesellschaft. Er sagt: "Wohnrecht ist ein Menschenrecht - genau wie Aufs-Klo-Gehen".

Enteignungen auf dem Wohnungsmarkt mag auch der Grünen-Bundeschef Robert Habeck nicht ausschließen. Wenn Eigentümer brachliegender Grundstücke bei vorliegendem Baurecht weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollten, "muss notfalls die Enteignung folgen", sagte Habeck in einem Interview mit der Welt am Sonntag. "Das Ziel der Initiative für Enteignungen in Berlin ist richtig", erklärte er, schränkte jedoch ein: "Ob es allerdings das probate Mittel für die Berliner Situation ist, werden die Berliner genau prüfen."

Grünen-Chef Habeck schließt Enteignungen nicht aus

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hingegen äußerte sich verhalten. Sie verstehe die Wut auf die Wohnkonzerne, "die jeden Cent aus den Mietern rauspressen wollen", sagte sie der Bild am Sonntag. Aber Enteignung sei ein langwieriger Prozess und schaffe "keine einzige Wohnung". Die für Entschädigungen fälligen Milliardenzahlungen des Staates fehlten für den dringend benötigten Neubau durch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich deutlich gegen Enteignungen von Wohnungskonzernen aus: "Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun", sagte er dem Münchner Merkur. "Reißt ihr uns die Häuser nieder, sehen wir uns in euren wieder", riefen die Demonstranten in Berlin. Und: "Die Häuser denen, die darin wohnen." Aus Wut und Frust auf die Politik besetzen einige Teilnehmer während der Demonstration kurzzeitig sogar ein leer stehendes Geschäft in Kreuzberg. Der frühere Gemüseladen hatte vor einigen Jahren als Symbol gegen steigende Preise und Verdrängung Schlagzeilen gemacht. Die Polizei nahm 14 Personen fest, so eine Sprecherin. Auch in anderen Städten wie München, Frankfurt, Duisburg, Dresden und Köln gingen die Menschen auf die Straße, ebenso wie in Barcelona, Lissabon, Madrid, Amsterdam und Brüssel.

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