Lux-Leaks:Das Paradies Luxemburg baut um

Lux-Leaks: Die Luxemburger Finanzbranche arbeitet mit komplexen Modellen.

Die Luxemburger Finanzbranche arbeitet mit komplexen Modellen.

  • Vor fünf Jahren haben die Lux-Leaks aufgedeckt, wie das Großherzogtum internationalen Konzernen dabei hilft, Steuern zu drücken.
  • Luxemburg hat seitdem eine neue Regierung, die Reformen verspricht. Manche loben die Fortschritte, anderen reicht das nicht.
  • Eine Recherche zeigt, dass Luxemburg noch attraktiv ist: 20 der 100 reichsten Deutschen haben oder hatten Firmen in Luxemburg.

Von Bastian Brinkmann, Thomas Kirchner, Mauritius Much und Ralf Wiegand

"Das hier ist Theater. Die Konzerne tun so, als wären ihre Luxemburger Briefkastenfirmen echte Firmen. Die Luxemburger Steuerbehörden tun so, als würden sie das glauben. Und der Rest der Europäischen Union tut so, als wäre das alles kein Ding." So berichtete die Süddeutsche Zeitung im November 2014 von einem Besuch in Luxemburg. Damals legten Recherchen unter Federführung des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten (ICIJ) offen, wie mehr als 300 multinationale Unternehmen wie Ikea oder Amazon mit den Luxemburger Behörden sehr vorteilhafte Steuerdeals abgeschlossen hatten, um ihre Abgaben auf nahe null zu drücken.

Lux-Leaks hieß der Skandal auf der großen Bühne, das Porträt einer Steueroase im Herzen Europas. Und heute, fast fünf Jahre danach? Ist der letzte Vorhang im Steuervermeidungstheater gefallen?

Reporter von SZ, NDR und WDR haben jetzt in Zusammenarbeit mit der französischen Zeitung Le Monde und den belgischen Partnern Le Soir und De Tijd das luxemburgische Firmenregister genau analysiert: Luxemburg ist demnach weiterhin sehr attraktiv für deutsche Unternehmen und vermögende Bürger. So haben oder hatten bis vor Kurzem 20 der 100 reichsten Deutschen Firmen im Großherzogtum.

Jean-Claude Juncker hat erst spät realisiert, wie groß das Problem Lux-Leaks ist

Steuerexperten ziehen eine kritische Bilanz. Laut einer neuen, noch nicht veröffentlichten Studie des Tax Justice Network zählt Luxemburg nach wie vor zu den Top Ten unter den Standorten für Unternehmen, die Steuern vermeiden wollen. "Luxemburg gehört zu den aggressivsten Konzern-Steueroasen der Welt", sagt Markus Meinzer vom Tax Justice Network, das zur Finanztransparenz forscht. "Es hat bis heute seine Steuer-Rulings beibehalten, die von der EU-Kommission als teilweise illegal eingestuft wurden." Diese Steuer-Rulings standen im Zentrum der Lux-Leaks: Ein Beamter im Großherzogtum hatte über solche Bescheide unzähligen Konzernen waghalsige Steuerkonstrukte erlaubt. Die Rulings waren wie ein Joker für die Unternehmen, sie garantierten auf mehrere Jahre Niedrigsteuersätze.

Wie sehr Lux-Leaks das Land und seine Politiker noch immer beschäftigt, zeigt sich an Jean-Claude Juncker. Der scheidende EU-Kommissionspräsident gilt als Architekt des Luxemburger Steuersystems, war dort einst Finanz- und Premierminister. Als die Erkenntnisse aus Lux-Leaks 2014 erschienen, war Juncker gerade neu im Amt als Chef der EU. Gefragt nach den größten Fehlern seiner Amtszeit als Kommissionspräsident, nannte Juncker erstaunlicherweise zuerst seine verspätete Reaktion auf die damalige Enthüllung: "Ich habe eine Woche zu lang gebraucht, um darauf zu antworten."

Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Juncker hatte offenbar zunächst nicht realisiert, welch großes Problem Lux-Leaks auch für ihn darstellte. Als Finanzminister und später als Regierungschef hatte er die umstrittenen Steuersparmodelle für internationale Großunternehmen nicht nur zugelassen, sondern auch Versuche auf europäischer Ebene torpediert, die Praxis zu beenden.

Junckers Antwort damals, nach einer Woche, hörte sich so an: Er sei nicht der "Architekt" der Vereinbarungen mit Großkonzernen, aber "politisch verantwortlich". Deshalb werde er nun EU-weite Regeln für einen automatischen Informationsaustausch zu Steuerabsprachen mit Konzernen vorschlagen. Im Übrigen hätten neben Luxemburg "mehr als zwanzig weitere EU-Länder" ähnliche Steuerabsprachen für Konzerne. Und Juncker beharrte noch ein Jahr nach Lux-Leaks darauf, "kein System der Steuerhinterziehung, der Steuerhintertreibung oder der Steuervermeidung zu Lasten anderer europäischer Staaten erfunden" zu haben. Von wegen Architekt.

Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Seine eigene EU-Kommission kam später zu anderen Schlüssen. In zwei Fällen - Amazon und ein französischer Energiekonzern - waren die Steuerdeals illegal, entschied die Behörde. Sie ist dafür zuständig, dass der Wettbewerb zwischen Firmen in Europa fair bleibt. Luxemburg müsse von Amazon 250 Millionen Euro nachfordern, vom Energiekonzern Engie 120 Millionen. Beide Fälle sind noch nicht rechtskräftig, Luxemburg lässt sie vor den höchsten EU-Gerichten prüfen. Die Kommission hat auch die Luxemburger Konstruktion von McDonald's untersucht, kam aber zum Urteil, dass sie nicht gegen EU-Recht verstieß. Moralisch sei die Sache aber klar: "Es bleibt festzuhalten, dass McDonald's keine Steuern auf seine Gewinne entrichtet hat - und das entspricht nicht dem Prinzip der Steuergerechtigkeit", sagte die zuständige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

Nach den Lux-Leaks-Enthüllungen kamen neue Politiker an die Macht

Der Ärger für das Großherzogtum begann mit den Lux-Leaks-Enthüllungen, die das Land schockartig trafen. "Allen Politikern war klar, dass das Geschäftsmodell in dieser Form nicht mehr tragbar war", sagt der Journalist und Steuerexperte Laurent Schmit. Und zufällig kamen genau in der Zeit neue Politiker an die Macht. Die Luxemburger haben 2013 Junckers Christdemokraten abgewählt, zum ersten Mal seit 1979. Die Konservativen hatten Luxemburg jahrzehntelang als Steueroase aufgebaut. Doch nun führt eine Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen das Land. Und die neue Regierung äußerte sich ganz anders: "Die Tricksereien müssen aufhören", beteuerte der sozialdemokratische Außenminister Jean Asselborn. Der liberale Finanzminister Pierre Gramegna ließ seinen Sprecher ausrichten, Luxemburg stelle sich "an die Spitze der globalen Bewegung für mehr Transparenz in Steuerangelegenheiten und zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs".

Aber können die neuen Parteien die Arbeit ihrer Vorgänger überhaupt noch umkehren? Oder können sie nur das schmutzige Image abschütteln? Die einen sagen: Luxemburg bemüht sich. Die anderen sagen: Es reicht nicht.

Lob bekam das Großherzogtum von Pascal Saint-Amans, dem Steuerdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Er begrüßte ausdrücklich die "konstruktive und positive Haltung", die Luxemburg beim OECD-Programm für globale Steuerfairness spiele. Luxemburg hatte angekündigt, die neuen Transparenzregeln der OECD als eines der ersten Länder einführen zu wollen. Die umstrittenen SteuerRulings erhielten in Luxemburg erstmals eine gesetzliche Grundlage.

Bei der Bekämpfung von Steuerflucht kooperiert Luxemburg nur bedingt

Ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments kam vor zwei Monaten zu einem kritischeren Urteil. Der überparteiliche Bericht zu Steuerhinterziehung und Steuervermeidung zählt Luxemburg zu den Bad Boys in der EU, in einer Reihe mit Malta, Zypern, den Niederlanden und Irland. In diesen Staaten gebe es Finanzvehikel, die oft nur existierten, um Schlupflöcher ausnutzen, heißt es im Report. Die Länder lebten auf Kosten anderer Mitgliedsstaaten. Ihre Steuersysteme ermöglichten "aggressive Steuerplanung". Zumindest erkannten die Parlamentarier an, dass Luxemburg sein Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA reformieren will, von dem McDonald's profitiert hatte. Nicht gut an kam auch, dass das Großherzogtum den Untersuchungsausschüssen Zugang zu Dokumenten verweigert hatte. Die Äußerungen aus Luxemburg über Steuergerechtigkeit seien daher "nicht glaubwürdig", sagte der Europa-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne). Das Land stehe zu oft "auf der Bremse".

Für das Großherzogtum steht viel auf dem Spiel. Die Finanzbranche ist die wichtigste Industrie des kleinen Staats, Milliarden fließen jedes Jahr ins Land. Auf einer Weltkarte ist Luxemburg kaum zu sehen, aber würde das ganze hier geparkte Kapital sichtbar sein, wäre das Großherzogtum vom Weltall aus leicht zu erkennen. Viele Sparer wissen gar nicht, dass auch ihr Fonds in Luxemburg sitzt.

Daher hat die Kompromissbereitschaft ihre Grenzen. So stellte sich etwa das gesamte Luxemburger Parlament quer, als EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici 2016 vorschlug, die Besteuerung der Unternehmen EU-weit anzugleichen und eine gemeinsame Bemessungsgrundlage einzuführen. Kleine Länder würden übermäßig benachteiligt durch den Plan. Kleine Länder wie: Luxemburg.

Luxemburgs Finanzbranche wächst sogar

Immerhin hob vor einem Jahr das Oberste Gericht die Verurteilung des Franzosen Antoine Deltour zu einer Geldstrafe auf. Der ehemalige Angestellte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhousecoopers hatte jene Dokumente geleakt, die Luxemburgs Steuerpolitik öffentlich gemacht hatten und war dafür zunächst wegen Diebstahls belangt worden. Nun gestand ihm das Oberste Gericht Luxemburgs in der Berufung einen besonderen Status als Whistleblower zu.

Neue Töne waren auch zu hören, als EU-Kommissar Pierre Moscovici Anfang 2019 vorschlug, in Steuerfragen das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen, das substanziellen Fortschritt in dieser Frage bisher verhindert. Finanzminister Gramegna reagierte zwar erwartbar abwehrend, weil dadurch einzelne Staaten "in die Ecke" gedrängt und der "Nationalismus gestärkt" würden. Der neue Vorsitzende der mitregierenden Sozialdemokraten, Franz Fayot, aber sagt der SZ: "Das Veto zu ziehen können wir uns politisch nicht mehr leisten." Man müsse von der Steuerkonkurrenz in Europa wegkommen.

Wirtschaftlich geschadet haben die Lux-Leaks-Enthüllungen dem Land nach Ansicht von Nicolas Mackel von der Lobbygruppe Luxembourg for Finance ohnehin nicht. Luxemburg sei vielmehr erfolgreich dabei, ein neues Geschäftsmodell zu erarbeiten, "das auf Know-how und Können basiert". 58 Banken, Finanzfonds und Fintech-Unternehmen seien zuletzt Brexit-bedingt nach Luxemburg gezogen. Die Frage sei nun, sagen Experten, wie viele internationale Firmen tatsächlich in Luxemburg blieben, ob sie bereit seien, mehr Personal einzustellen und mehr Funktionen nach Luxemburg zu verlagern als zu den seligsten Briefkastenfirmenzeiten - den Zeiten des großen Luxemburg-Theaters.

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Illustration: Stefan Dimitrov

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