Kommentar:Herz und Hand und Fuß

Kommentar: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Grundrente ist ein Herzensanliegen der SPD. Doch wie viele werden sie bekommen, was wird das kosten? Es zeigt sich: Die Faktenlage ist äußerst dünn.

Von Henrike Roßbach

Ohne Herzensprojekte wäre die Politik eine triste Angelegenheit. Veränderung braucht die Lauten, die Forschen, die Begeisterten, die Überzeugten. Diejenigen, die mit Haut und Haaren, mit vielen und großen Worten für ihre Sache streiten, andere überzeugen und mitreißen. Doch leider folgt auch in diesem Fall auf das hohe Lied der Leidenschaft ein pingeliges "Aber", der Auftritt des langweiligen Spielverderbers sozusagen. Denn Politik ist zwar immer auch Kunst, doch bekanntlich ist genau die ja eben nicht nur schön, sondern macht auch viel Arbeit. Womit wir auch schon bei der Grundrente wären, einem, wenn nicht dem Herzensprojekt der SPD.

Mangelnde Leidenschaft für diese Angelegenheit kann man den Sozialdemokraten und dem sozialdemokratischen Sozialminister Hubertus Heil wahrlich nicht vorwerfen. Seit Monaten trommeln sie dafür, die Renten langjähriger Niedrigverdiener endlich aufzustocken. Und zwar so, dass die Betroffenen im Alter auf jeden Fall mehr Geld haben als jene, die den Großteil ihres Lebens nicht gearbeitet haben.

Das ist, so viel vorab, ein wichtiges und dringend notwendiges Vorhaben. Nicht umsonst gibt es kaum noch jemanden, der das anders sieht. Nicht einmal die FDP, die ja eigentlich eher selten irgendetwas aufstocken, sondern in der Regel die Dinge lieber herunterschrauben möchte, den Soli zum Beispiel oder die Sozialabgaben oder die Steuersätze auf Hotelübernachtungen. Trotzdem kommt Heil mit der Grundrente nicht gut voran.

Wer wird Grundrente bekommen, was kostet sie? Gesicherte Fakten gibt es nicht

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Streit darum, ob die Rente nur für diejenigen aufgestockt werden soll, die bedürftig sind (SPD: Nein! Union: Ja!). Und neuerdings, seit die Steuereinnahmen dem Finanzminister nicht mehr Tränen der Freude in die Augen treiben, ob das ganze nicht vielleicht doch aus Sozialbeiträgen finanziert werden könnte (SPD: Ja! Union: Nein!). Diese Woche aber wurde deutlich, dass es noch einen anderen Grund dafür gibt, dass Heil mit seinem bisherigen Konzept auf derart großen Widerstand trifft. Die Antwort seines Hauses auf eine Kleine Anfrage der FDP förderte zutage, dass ausgerechnet dieses mit Verve vorgetragene Herzensprojekt der SPD, dessen Scheitern die Regierung gefährden könnte, auf einer erschütternd dünnen Faktenlage basiert.

Es gibt keine Berechnungen, wie sich die Zahl der potenziellen Grundrentner in Zukunft entwickeln könnte. Es ist nicht bekannt, wie viele der heute bedürftigen Rentner, die von der Grundsicherung im Alter leben, lange genug gearbeitet haben, um Anspruch auf Heils Grundrente zu haben. Das Ministerium nennt auch keine Schätzung, wie viele Rentner heute Anspruch auf Grundsicherung hätten, aber aus Scham und Angst vor der Bedürftigkeitsprüfung nicht zum Amt gehen. Dennoch führt Heil just diese Menschen unverdrossen als Kronzeugen dafür ins Feld, warum seine Grundrente ohne Prüfung der sonstigen Alterseinkünfte und der Vermögensverhältnisse ausgezahlt werden müsse.

Addiert man diese Leerstellen zusammen, wird klar, warum Heil bislang sowohl die Kosten ("mittlerer einstelliger Milliardenbetrag") wie auch die Zahl der möglichen Grundrentner ("drei bis vier Millionen") nur vage skizziert hat; von einer Berücksichtigung im Finanzplan ganz zu schweigen. Umso verblüffender erscheint es allerdings, mit welchem Elan er die Grundrenten-Empfehlungen seiner eigenen Experten, einer Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Sozialpartnern, in den Papierkorb befördert hat. Viel Herz, ohne Zweifel. Doch ohne ein bisschen mehr Hand und Fuß wird die Grundrente abermals scheitern. Und einen sehr hässlichen Scherbenhaufen hinterlassen.

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