Kino: Alle Anderen:Dem Biest ins Auge schauen

In, ohne doof zu sein: Maren Ades Film "Alle Anderen" scheut keine Peinlichkeit und zeigt Pärchen im Mief des Mittelstands.

T. Kniebe

Wollte man diesen Film im Stil seiner Protagonisten vorstellen, müsste man sagen: "Schon echt gut was die da macht." Und, weil ein wenig ästhetische Begründung ja doch nicht schaden kann: "Halt sehr in, ohne doof zu sein." Wie Berliner Kreativ-Slacker, knapp jenseits der Dreißig, eben so reden, hin- und hergerissen zwischen Respekt, Neid und Herablassung.

Kino: Alle Anderen: Zwei Stars vom Theater: Birgit Minichmayr (ausgezeichnet mit dem Berlinale-Preis für die beste Darstellerin) und Lars Eidinger als Pärchen in "Alle Anderen".

Zwei Stars vom Theater: Birgit Minichmayr (ausgezeichnet mit dem Berlinale-Preis für die beste Darstellerin) und Lars Eidinger als Pärchen in "Alle Anderen".

(Foto: Foto: Filmverleih)

Die Filmemacherin Maren Ade kann das perfekt reproduzieren, den Jargon, den Habitus, das ganze Milieu. Genau aus diesem zunächst sehr oberflächlichen Grund ist sie mit "Alle Anderen", ihrem zweiten Spielfilm, jetzt wirklich sehr in. Zwei veritable Theaterstars an ihrer Seite, Birgit Minichmayr, die neue Salzburger "Buhlschaft", und Lars Eidinger, haben dabei kräftig mitgeholfen. Alle drei sind sie praktisch ein Jahrgang, 1976/77. Der bricht jetzt durch im Kino, zwei silberne Berlinale-Bären - der Große Preis der Jury und der Preis für die beste Darstellerin - zeugen bereits davon.

Das Faszinierende aber ist, dass der Film alle Gefahren und Peinlichkeiten, die damit einhergehen, in bestimmten Kreisen in zu sein, bereits vollständig mitreflektiert. Da spricht jemand zur eigenen Generation, ganz von innen heraus - und hält ihr zugleich doch ziemlich gnadenlosen den Spiegel vor. Im Grunde geht es dann sowieso um ein viel größeres, geradezu ewiges Thema - um die Liebe selbst.

Im krassen Gegensatz dazu steht der Versuch, die Geschichte in einer ersten Beschreibung dingfest zu machen. Da muss dann von dem idealistischen, aber erfolglosen Architekten Chris (Eidinger) die Rede sein, und von der PR-Beraterin Gitti (Minichmayr). Allein die Kombination idealistisch/erfolglos, wie auch das Wort PR-Beraterin, gefolgt von dem Namen Gitti, lösen spontane, sicher nicht unbeabsichtigte Aversionen aus. Die Handlung besteht nun darin, dass diese beiden einen Pärchenurlaub auf Sardinien verbringen, im Ferienhaus der Eltern, und in eine Beziehungskrise geraten. Außer zwei eher quälenden Begegnungen mit einem befreundeten Ehepaar passiert auch äußerlich relativ wenig.

Durch solche Misslichkeiten muss man hier aber durch. Wo andere deutsche Regisseure vom besseren, also vom nicht-spießigen Leben träumen, und gerade durch diese Träume, sobald sie bebildert sind, der unerträgliche Mief ihrer Mittelstands-Herkunft weht, hat Maren Ade begriffen, dass es in dieser Hinsicht kein Entkommen gibt. Sie schaut dem Biest lieber ins Auge und weigert sich, auch nur zu blinzeln. In jeder denkbaren Situation kann sie mit schlafwandlerischer Sicherheit auf den schäbigsten, kleinlichsten und peinlichsten Moment zusteuern - man könnte auch sagen auf den deutschesten. Ades Debütfilm "Der Wald vor lauter Bäumen" war so voll von grausamen Miniaturen aus dem Leben einer überforderten Lehrerin, dass es manchem Betrachter fast unmöglich wurde, bis zum Ende durchzuhalten.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, in welchen Situationen der Mann ganz Arschloch sein darf.

Schminken aus Langeweile

Was man dahinter aber sofort spürt, ist eine ungeheure Genauigkeit der Komposition, der Inszenierung und der Figurenzeichnung, die in "Alle Anderen" sichtbar wird. Es gibt eine Art Prolog und eine Art Epilog, dazwischen liegen genau sieben Tage und sieben Nächte - und sieben Stadien in der Entwicklung eines Paares. Dabei verschieben Ade und ihre wunderbaren Schauspieler die Kraftfelder zwischen diesen Figuren in jedem Moment - und sie verstecken diese komplexen Verwandlungen lieber im Understatement. Nicht doof, wie gesagt.

Symptome der Schwäche

Man achte nur einmal darauf, wie Ade die mütterlichen Facetten ihrer Hauptfigur, inklusive Kinderwunsch, in vielfachen Zeichen reflektiert - etwa indem diese Gitti ihrem Chris gern Essen in den Mund schiebt, und wie dieser eine solche Geste später zurückweist; oder darauf, wie Birgit Minichmayr ganz viel über ihren Körper erzählt, bis hin zu echten Fitnessstudio-Qualen in der Vorbereitung; wie Gitti zugleich jedes Thema, das über den Mann und diese Beziehung hinausginge, verweigert wird. Chris wiederum ist mit Symptomen der Schwäche und Intellektualität belegt - während er am Pool gerne lesen würde, fängt sie aus Langeweile an, ihn zu schminken, und so fort. Den Arm, den er versuchsweise um sie legt, empfindet sie als "schlechte Schauspielerei". Nichts ist mehr selbstverständlich in dieser Beziehung.

Unvermeidlich schiebt sich natürlich die Frage in den Vordergrund, auf welcher Seite die Filmemacherin dann eigentlich steht. Man vermutet zunächst eine größere Nähe zu der Frau, weil der Mann sich in vielen Momenten doch als arger Wicht entpuppt, narzisstisch gekränkt, selbstbezogen, geradezu rückgratlos in Situationen mit anderen. Gitti erscheint präsenter, weil sie jedes Gefühl sofort artikuliert. Dabei fungiert sie als Wahrheitssucherin und Wahrheitsagentin des Films, solche Figuren liebt das Kino natürlich, und auch ihr unstrategisches Wesen erscheint zunächst positiv. Bis man bemerkt, dass sie - im Gegensatz zu ihrer Schöpferin - zwar alle Falschheiten spürt, aber unfähig zu jeder echten Beobachtung ist. Eine Wahrheitssucherin, die immer nur sich selbst findet, ist natürlich die Hölle.

Opfer der Liebe

Richtig lustig wird es, wenn sich diese ganzen Themen dann in einem zweiten Paar spiegeln. Hans und Sana (Hans-Jochen Wagner und Nicole Marischka), er ebenfalls Architekt und Chris' Studienfreund, sie Designerin, erfolgreich und in der Kreativhackordnung höherstehend, haben die Heirats- und Babyfragen bereits entschieden, und nicht nur die: Hier darf der Mann ganz Arschloch sein. Das ist zu viel für Gitti, beim Lamm in lauer Sommernacht kommt es zum Eklat. So etwas hat man tausendmal als Karikatur gesehen, hier funktioniert es aber wieder anders, weil Maren Ade einfach schlauer ist: So unerträglich Hans agiert, so plausibel ist doch sein Blick auf Chris' Arbeit, für die er sich - im Gegensatz zu Gitti - tatsächlich interessiert.

Je länger dieses Spiel mit Klischees, Geschlechterkonstellationen und individuellen Erbärmlichkeiten andauert, desto erstaunlicher wird es, dass der Film das alles offenhalten kann, seine Figuren nicht verliert. Maren Ades Blick ist zwar oft gnadenlos, und klare Bekenntnisse verweigert sie - aber sie glaubt am Ende doch daran, dass subtile Verwandlungen möglich sind, dass Gitti und Chris eine Chance haben. Die Opfer, die sie bringen müssen, um vielleicht zusammenzubleiben, zeigen sich schließlich nur in winzigen äußeren Differenzen. Sie sind aber doch so schmerzhaft und existentiell, wie es die Liebe zu allen Zeiten verlangt hat.

ALLE ANDEREN, D 2008 - Regie und Buch: Maren Ade. Kamera: Bernhard Keller. Schnitt: Heike Parplies. Mit: Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hans-Jochen Wagner, Nicole Marischka. Verleih: Prokino, 124 Minuten.

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