Doping bei der Tour de France:Der Einzige, der die Wahrheit gesagt hat

Bassons

Christophe Bassons, 45, war von 1996 bis 2001 Radprofi. Als der Franzose bei der Tour de France 1999 über Doping im Peloton sprach, wurde er als Nestbeschmutzer abgekanzelt.

(Foto: Imago)
  • Vor 20 Jahren stieg der Franzose Christophe Bassons bei der Tour de France aus.
  • Sinngemäßg sagte er damals, alle starken Fahrer seien gedopt - und er sollte Recht behalten.
  • Damals wurde Bassons im Peloton gemobbt, gemieden wird er bis heute.

Von Johannes Aumüller, Brioude

20 Jahre ist es her, da stand die Etappe, die das Peloton an diesem Montag erwartet, schon einmal auf dem Tour-Programm. Start in Saint-Flour, Ziel in Albi, nur die Streckenführung war damals 19 Kilometer länger als diesmal. Das Terrain dort ist etwas für Ausreißer, es war rein sportlich kein erinnerungswürdiger Tag - atmosphärisch aber schon. Denn am Vortag war etwas sehr Ungewöhnliches geschehen: Der Franzose Christophe Bassons, damals 25, war aus der Tour ausgestiegen. Nicht wegen Sturz oder Krankheit, sondern wegen Mobbings durchs Peloton.

Weil er etwas getan hatte, was die Rad-Familie gar nicht schätzte: laut über Doping zu reden - und sinngemäß zu sagen, alle starken Fahrer seien gedopt.

Die Geschichte von Christophe Bassons ist eine der bedeutsamsten und schwärzesten in der 116-jährigen Tour-Geschichte. Er fuhr zunächst für Festina, und als dort 1998 das Team-Doping aufflog, erklärten verschiedene Fahrer und Betreuer vor Gericht, dass Bassons einer der wenigen Verweigerer gewesen sei. Im Jahr darauf heuerte er bei La Francais de Jeux an. Er fand klare Worte, während der Tour '99 schrieb er gar eine Kolumne im Parisien.

Selbst das eigene Team unterstützte ihn nicht mehr

Das Feld reagierte auf seine Weise. Reihenweise gab es Angriffe, nicht zuletzt von einem gewissen Lance Armstrong, der 1999 erstmals die Tour gewann. Irgendwann unterstützte selbst das eigene Team Bassons nicht mehr - wegen seiner kritischen Einwürfe habe das Feld einem Teamkollegen einen prestigeträchtigen Etappensieg nicht gegönnt. In diesem Moment verließ er die Tour. "Ich habe mich allein gefühlt, ganz allein. Kaum einer hat mehr mit mir geredet", sagte Bassons damals.

13 Jahre nach seinem Ausstieg erkannte der Rad-Weltverband (UCI) wegen systematischen Dopings Lance Armstrong den Sieg von damals sowie alle sechs weiteren Erfolge bei der Tour wieder ab. Die kompletten Top Ten des damaligen Gesamtklassements sind überführt oder gelten als streng verdächtig, etwa weil sie bei einschlägigen Ärzten auf der Kundenliste standen. Gemäß einer Statistik des Portals "Cyclisme Dopage" wurden im Laufe der Zeit 48,3 Prozent der damaligen Tour-Starter mit einem Dopingvergehen in Verbindung gebracht. Aber wer den heutigen Aussagen manch damaliger Protagonisten lauscht, muss zu dem Schluss kommen, dass es eher 84,3 Prozent waren.

Bassons hatte Recht damals. Er war der Einzige, der die Wahrheit gesagt hatte.

Die Frage, wie sauber es inzwischen zugeht, gehört zu den Dauerbegleitern der Tour. Der Radsport tut immer so, als hätte sich alles stark verbessert. Einen Positivbefund während der Tour gab es in der Tat seit 2015 (Luca Paolini/Kokain) nicht mehr. Die UCI darf gar für sich in Anspruch nehmen, dass sie in dieser Frage aktiver ist als andere Organisationen, etwa durch ihren Blutpass. Aber was sagt das alles aus?

Die Tour macht einen großen Bogen um Bassons

UCI-Präsident David Lappartient sagte der ARD neulich selbst: "Das ist vermutlich nicht genug." Anti-Doping-Experten sind ohnehin skeptisch. Sie verweisen auf die vielen Schlupflöcher, die Mängel beim Blutpass und der Qualität der Kontrollen sowie auf die neuen Präparate, die ohnehin noch keiner nachweisen kann - wie so oft in den vergangenen 116 Jahren. Armstrong etwa war laut eigener Aussage 500 Mal getestet worden, aber nie aufgeflogen.

Es gehört beim Dopingthema dazu, dass sich stets erst im Nachhinein offenbart, wie verschmutzt eine Zeit ist. Aber allein das, was in diesen Tagen schon bekannt ist, ist irritierend genug. Beim jahrelangen Dominator Team Ineos (bis Mai Team Sky) etwa gibt es mindestens so viele fragwürdige Vorgänge wie Tour-Siege, von einer Medikamentenlieferung bis hin zu Christopher Froomes Positiv-Test (Salbutamol) im Vorjahr. Verschiedene aktive Radfahrer sind als Kunden des Erfurter Blutdoping-Ringes identifiziert worden, bisher keine der ersten Reihe, aber immerhin Leute wie der Österreicher Stefan Denifl, Etappensieger bei der Vuelta 2017. Im slowenischen Radsport wiederum gibt es Vorgänge, wegen denen die UCI selbst schon eine Untersuchung einleitete.

"Ich bin glücklich, Armstrong nicht"

Zudem ist da, ein ewiges Thema, das alte und vorbelastete Personal, das sich im Umfeld der Mannschaften bewegt. Nicht jeder Sünder von damals muss heutzutage zwingend die nächste Sünde anleiten, mancher präsentiert sich sogar recht glaubhaft als Doping-Gegner; aber die Ballung darf niemandem gefallen, der sich einer neuen Sauberkeit verschrieben hat.

Es ist schon bemerkenswert, wie viele Protagonisten am Montag im Tour-Tross zu sehen sein werden, die vor 20 Jahren an den Start der Saint-Flour-Albi-Etappe gingen und später als Doper aufflogen oder zumindest unter strengen Verdacht gerieten.

Alexander Winokurow, Teamchef von Astana, gehört dazu; auch Jonathan Vaughters, der Boss von Education First. Bei Quick Step sind es die Sportlichen Leiter Davide Bramati und Tom Steels. Und Katjuscha rückt mit Dmitrij Konyschew und Erik Zabel an. Manche Team-Bosse wie Patrick Lefevere (Quick Step) oder Eusebio Unzue (Movistar) waren damals schon dabei, auch wenn ihre Mannschaften noch anders hießen. Und in manchen Fahrzeugen werden Teamärzte sitzen, die damals schon Teamärzte waren.

Christophe Bassons hat mit dem Profi-Radsport längst nichts mehr zu tun. Er beendete 2001 seine Karriere, wurde Nachwuchstrainer und kümmert sich um Doping-Prävention. Irgendwann bat ihn Armstrong um ein Treffen. Er hat seinen Frieden gemacht. "Ich bin glücklich, Armstrong nicht", sagte Bassons mal der NZZ.

Die Tour zelebriert das Jahr 2019 als ein Jahr der Erinnerungen: 100 Jahre Gelbes Trikot, 50 Jahre erster Tour-Erfolg von Eddy Merckx. Deshalb fand der Grand Depart in Brüssel statt, dem Geburtsort des Belgiers, der dreimal in seiner Karriere positiv getestet worden war. Am Mittwoch nach dem Ruhetag kommt die Tour durchs Department Tarn, da wuchs Bassons auf, in einem Ort namens Mazamet. Aber die Streckenplanung führt dort nicht hin, und auch sonst spielt Bassons keine Rolle im Tour-Tross. Und irgendwie ist es bezeichnend, dass die Tour einen großen Bogen macht um den Mann, der damals als Einziger mutig genug für die Wahrheit war.

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