Brexit-Kabinett:Nur die Harten

Der neue britische Regierungschef Boris Johnson hebt reihenweise Vorkämpfer eines radikalen Bruchs mit der EU auf wichtige Ministerposten.

Von Björn Finke, London

Das sei keine Kabinettsumbildung, sondern ein "Massaker", sagte Nigel Evans, ein konservativer Abgeordneter und Anhänger Boris Johnsons. Der neue britische Premierminister verschwendete nicht viel Zeit: In den ersten Stunden seiner Regentschaft tauschte er den Großteil der Minister aus. Mehr als die Hälfte der Mitglieder des Kabinetts seiner Vorgängerin Theresa May traten zurück oder wurden entlassen. Dafür gingen einflussreiche Posten an Anhänger eines harten Brexit-Kurses. Vor seiner Amtseinführung hatten manche Kritiker geunkt, Johnsons große Charakterschwäche sei es, geliebt werden zu wollen; sie trauten ihm keine brutalen Entscheidungen zu. Diese Sorge kann seit Mittwochabend als unbegründet gelten.

Der Premier versprach im innerparteilichen Wahlkampf für den Spitzenposten, nur solche Politiker in der Regierung zu dulden, die seinen Brexit-Kurs zuverlässig unterstützen. Johnson will das umstrittene Austrittsabkommen mit der EU neu verhandeln und das Land in jedem Fall bis 31. Oktober aus der Europäischen Union führen. Haben die Gespräche mit Brüssel keinen Erfolg, soll das Königreich die EU zur Not ohne gültigen Vertrag verlassen. Einige Minister Mays verabschiedeten sich aus dem Kabinett, kurz bevor Johnson Regierungschef wurde, weil sie solch einen ungeregelten Brexit verhindern und nicht unter dem 55-Jährigen dienen wollen: Schatzkanzler Philip Hammond etwa oder Justizminister David Gauke.

Brexit-Kabinett: Den Vorwurf, unbedingt geliebt werden zu wollen, ist er jetzt wohl los: Premier Boris Johnson inmitten seines neuen Kabinetts.

Den Vorwurf, unbedingt geliebt werden zu wollen, ist er jetzt wohl los: Premier Boris Johnson inmitten seines neuen Kabinetts.

(Foto: Aaron Chown/AFP)

Der Premier wollte Außenminister Jeremy Hunt zum Verteidigungsminister küren. Die Mitglieder der Konservativen hatten Johnson per Briefwahl zum neuen Partei- und Regierungschef gewählt, und Hunt war in dieser Abstimmung sein Rivale gewesen. Ihn im Kabinett zu halten, hätte das Signal gesandt, die Gräben in der Partei überwinden zu wollen. Allerdings empfand Hunt das Angebot als Degradierung und verließ lieber die Regierung. Zwei Unterstützer Hunts, Verteidigungsministerin Penny Mordaunt und Handelsminister Liam Fox, wurden dann gleich mit entlassen. Das ist bemerkenswert, weil beide zuverlässige Brexit-Vorkämpfer sind.

Wenig überraschend trennte sich Johnson von lautstarken Kritikern seiner Strategie, einen ungeordneten Brexit in Kauf zu nehmen: Wirtschaftsminister Greg Clark und Schottland-Minister David Mundell.

In seinem Kabinett besetzen nun Fans eines harten Brexit die wichtigsten Ämter. So wurde Dominic Raab Außenminister. Raab trat Ende 2018 nach nur vier Monaten als Brexit-Minister zurück, weil er das Austrittsabkommen ablehnte, das May mit Brüssel ausgehandelt hatte. Raab hatte sich auch um die Nachfolge Mays beworben, schied aber in dem mehrstufigen Verfahren früh aus. Er pries im Wahlkampf die Vorteile eines Austritts ohne Vertrag. Vor acht Jahren bezeichnete er Feministinnen als "widerliche Heuchler". Diese Äußerungen wurden ihm während des Nachfolge-Wettbewerbs vorgehalten, doch er nahm sie nicht zurück.

Blond wie Boris

Zur Türkei hat Boris Johnson einst gesagt, er schätze seine "gut funktionierende türkische Waschmaschine". Ein Johnson-Limerick über Recep Tayyip Erdoğan war nicht jugendfrei. Dennoch hat der türkische Präsident jetzt dem neuen britschen Premier per Twitter "Erfolg" gewünscht. Als Gratulation klang das eher unterkühlt. Gefeiert dagegen haben sie in Kalfat, einer anatolischen 860-Seelen-Gemeinde, gut 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Ankara. In dem Dorf sind sie stolz auf den Ururgroßvater von Johnson, dessen Familie sie dort Sarıoğlangiller nennen, Söhne der "Blonden". In Kalfat, so erzählen die Alten, waren viele früher "blond wie Boris", aber die Verwandtschaft beschränkt sich nicht auf den Haarschopf.

Ali Kemal hieß der Urgroßvater Johnsons, er hat es im Osmanischen Reich zu Berühmtheit gebracht, was ihm am Ende nicht gut bekam. Kemal, 1867 in Istanbul geboren - sein Vater hatte das kleine Kalfat verlassen - war Journalist, Politiker und ein gewinnender Redner. Verheiratet war er mit einer Schweizerin mit britischen Wurzeln. Gewöhnlich stand er gegen den Zeitgeist: gegen die "Jungtürken", die gegen den Sultan putschten. Als "Verräter" sollte er 1922 vor Gericht gestellt werden. Auf dem Weg dorthin wurde er gekidnappt und von einem Mob gelyncht.

An die traurige Geschichte wird jetzt auch erinnert. In Kalfat aber würden sie Boris Johnson nichts Böses tun. Ortsvorsteher Bayram Tavukçu würde gern nach London reisen, um Johnson persönlich anatolische Segenswünsche zu überbringen. Natürlich hofft er auf Gegenbesuch. Dann würden sie in Kalfat ein paar Schafe schlachten, "zu Ehren" des Briten mit den osmanischen Wurzeln. Versprochen. Christiane Schlötzer

Raabs Nachfolger als Brexit-Minister ist Stephen Barclay. Er behält seinen Posten. Neue Innenministerin wird Priti Patel. Die Brexit-Vorkämpferin vertritt im Bereich Innere Sicherheit sehr konservative Positionen. Im Jahr 2011 sprach sie sich für die Einführung der Todesstrafe aus, sagte allerdings fünf Jahre später, sie habe ihre Meinung geändert. Die Tochter indischstämmiger Einwanderer aus Uganda war unter May Entwicklungshilfe-Ministerin. Ende 2017 musste sie zurücktreten, weil sie sich ohne Genehmigung der Regierung mit israelischen Spitzenpolitikern getroffen hatte.

Der bisherige Innenminister Sajid Javid wurde zum Schatzkanzler ernannt. Der Sohn pakistanischer Einwanderer warb vor dem EU-Referendum für den Verbleib, hat sich jedoch inzwischen zum harten Brexit-Fan gewandelt. Vor seiner politischen Karriere war er Investmentbanker bei der Deutschen Bank und verdiente Millionen. Finanzmarkt-Erfahrung wird ihm in seinem neuen Amt sicher nützen.

Umweltminister Michael Gove wechselt auf einen Posten mit dem etwas obskuren Titel Kanzler des Herzogtums Lancaster. Der Brexit-Vorkämpfer wird damit zum Minister ohne Geschäftsbereich. Er soll sich darum kümmern, Wirtschaft und Verwaltung des Königreichs auf einen Austritt ohne Vertrag vorzubereiten. Bei solch einem ungeregelten Brexit würden sofort Zölle und Zollkontrollen eingeführt; an den Häfen drohten Chaos und Staus.

Jacob Rees-Mogg sitzt seit neun Jahren im Unterhaus, übernahm aber nie einen Kabinettsposten. Dafür machte er Premierministerin May das Leben schwer - als Chef jener Gruppe in der konservativen Fraktion, die stets für die härteste aller harten Brexit-Varianten eintritt. Jetzt wird er Minister für Parlamentsangelegenheiten und muss die Regierungsgeschäfte im Unterhaus organisieren. Er wechselt also die Seiten, streitet nun als Regierungsmitglied für einen radikalen Brexit.

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