Obama-Doku bei Netflix:Lasst uns beten, die Fabrik macht zu

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Jetzt produzieren sie nicht nur irgendeinen Dokumentarfilm, sondern auch noch einen sehr guten: Szene aus der Obama-Produktion "Higher Ground". (Foto: AP)
  • Der Dokumentarfilm "American Factory" ist ein berührender Film über eine Firma im Rust Belt der USA.
  • Aufmerksamkeit dürfte der Film vor allem auch deswegen bekommen, weil er das erste von sieben Projekten ist, das Michelle und Barack Obama gemeinsam mit dem Streamingdienst veröffentlichen.
  • "Higher Ground", die Produktionsfirma der Obamas, will sich in den geplanten Serien und Filmen Themen wie Rassismus, Demokratie und Bürgerrechte vornehmen.

Von Kathrin Werner

Es beginnt mit einem Gebet. "Es ist sehr ernst, ernster, als man es sich vorstellen kann", sagt der Mann mit dem hochgeschlagenen Kragen. "Lasst uns beten." Die Fabrik macht zu. Es ist 2008, ein kalter Wintertag, die Männer und Frauen tragen warme Jacken und Mützen. Sie frösteln. Sie weinen und umarmen einander. Sie haben mit harter Arbeit gutes Geld verdient und waren stolz darauf. Haben. Waren. Jetzt verlieren sie ihre Jobs.

So beginnt der Dokumentarfilm American Factory, der gerade auf Netflix läuft. Es ist ein Film, der ans Herz geht. Er erzählt von einer Autofabrik, die schloss und 10 000 Menschen in die Arbeitslosigkeit entließ. Dann wurde sie wieder eröffnet, nachdem ein chinesischer Investor übernommen hatte. Es ist eine Geschichte, wie sie sich an vielen Orten in den USA zutrug.

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Der Film ist leise und klischeefrei. Eigentlich ist es ein Film, der zu Unrecht übersehen werden könnte.

Wären da nicht die Menschen, die dahinterstehen. Ihre Namen tauchen im Vorspann gar nicht auf, aber die Produzenten der Dokumentation sind keine Geringeren als Michelle und Barack Obama. American Factory ist der erste Film, der von Higher Ground, der Produktionsfirma der ehemaligen First Lady der USA und ihres Mannes, veröffentlicht wurde. Die beiden haben einen Vertrag mit Netflix geschlossen, der Streamingdienst wird künftig Serien und Filme von Higher Ground zeigen, die sich mit Themen wie Rassismus, Demokratie und Bürgerrechten befassen. Sieben Projekte sind schon bekannt. Eines wird sich mit Frederick Douglass beschäftigen, dem ehemaligen Sklaven und Menschenrechtler aus dem 19. Jahrhundert. In Arbeit ist darüber hinaus auch die Kinderserie Listen to Your Vegetables & Eat Your Parents über gesundes Essen.

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American Factory spielt in einer Hochburg Donald Trumps. Er lässt spüren, wie es ist, in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Ohio seine Arbeit zu verlieren - in einer Gegend, in der es kaum andere Jobs gibt, jedenfalls keine guten. Der Niedergang, die Hoffnungslosigkeit, dann die Erleichterung, die Merkwürdigkeit der ersten Begegnungen zwischen Chinesen und Amerikanern, die mitunter witzig ist, die ersten Freundschaften, dann die Missverständnisse, der Kulturclash, der wachsende Druck, billiger und produktiver zu sein, der Ärger um die Gewerkschaften - sie werden zu mehr als einer Erzählung aus einem fremden Land, sie werden fühlbar.

Die Regisseure des Films, das Ehepaar Julia Reichert und Steven Bognar, haben mit den Dreharbeiten lange vor Trumps Wahl begonnen, in einer Zeit, in der die Arbeiter im Rust Belt der USA längst nicht so viel Aufmerksamkeit bekamen wie heute. Durch den Erfolg des Populisten in der Mitte Amerikas und bei Menschen, wie sie da 2008 in der Kälte standen und beteten, hat er eine neue Relevanz bekommen. Der Film gilt als Oscar-Anwärter. Beim Sundance-Festival im Januar bekam er viel Lob, dort stießen auch Mitarbeiter der Obama-Produktionsfirma Higher Ground darauf und beteiligten sich. "Sie haben uns gesagt, dass sie einen Film schätzen, der den Arbeitern eine Stimme gibt. Sie stammen beide aus bescheidenen Verhältnissen. Ihr Vater war ein Arbeiter. Ich glaube, sie haben sich mit den Leuten im Film identifiziert", sagte die Regisseurin Reichert. So haben Netflix und die Obamas aus einem kleinen, leisen Projekt einen Film gemacht, den man jetzt über die USA hinaus sehen kann.

Er berührt, und zwar nicht nur mit den Tränen und Gebeten, sondern auch, wenn es herzlich und lustig wird. Zum Beispiel, wenn der chinesische Manager den neu in Ohio angekommenen Arbeitern aus China die Amerikaner erklärt. "Auf schicke Kleidung legen sie nicht besonders viel Wert", doziert er vor den skeptisch dreinschauenden jungen Chinesen. "Reist man im Sommer durch Europa und sieht jemanden vor sich herlaufen, der Shorts, ein Muskelshirt und Sportschuhe trägt, muss er ein Amerikaner sein."

American Factory , auf Netflix.

© SZ vom 23.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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