EU-Austrittsverhandlungen:London hält Brexit-Deal für "ziemlich unmöglich"

Großbritanniens Premier Boris Johnson 2019 in London

Ein Telefonat mit Angela Merkel soll Premier Boris Johnson in der Überzeugung bestärkt haben, dass mit der EU nicht über die Brexit-Bedingungen verhandelt werden kann.

(Foto: AP)
  • Die britische Regierung hat offenbar die Hoffnung auf eine Einigung mit der EU über den Brexit-Vertrag aufgegeben.
  • Sie macht dafür die unnachgiebige Haltung der EU verantwortlich, die in einem Telefonat zwischen Premier Johnson und Kanzlerin Merkel deutlich geworden sei.
  • Der Bundesregierung zufolge entspricht der beschriebene Gesprächsverlauf nicht der Wahrnehmung der Berliner Seite.
  • EU-Ratspräsident Tusk und die schottische Regierungschefin Sturgeon sehen in dem Vorgehen Londons den Versuch, der Gegenseite die Verantwortung für einen No-Deal-Brexit in die Schuhe zu schieben.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die britische Regierung hält einen Brexit-Deal mit der EU für "offenbar unmöglich". Britische Medien wurden am Dienstag von ungenannten Quellen aus der Downing Street darüber informiert, dass ein Telefonat des Premiers Boris Johnson mit der deutschen Kanzlerin um acht Uhr morgens britischer Zeit deutlich gemacht habe, dass die EU nicht zu Kompromissen bereit sei. Man habe daher die Hoffnung auf eine Einigung über einen Austrittsvertrag aufgegeben. Kurz darauf veröffentlichte die Regierung in London einen 155-seitigen Report darüber, dass das Königreich für einen No Deal, für einen vertragslosen Austritt, gerüstet sei.

Nach Angaben aus der Downing Street habe der Premier der Kanzlerin gesagt, Großbritannien sei der EU mit dem jüngsten Vorschlag für Nordirland sehr weit entgegengekommen. Angela Merkel habe aber festgestellt, dass ein Vertrag nur möglich sei, wenn "Nordirland in der EU-Zollunion" bleibe.

In Berlin äußerte man sich sehr zurückhaltend zu der Wiedergabe des Gesprächs; es wurde aber deutlich gemacht, dass der von Downing Street zitierte Gesprächsverlauf nicht der Wahrnehmung der Berliner Seite entspricht. Johnsons Mitarbeiter hatten behauptet, Merkel habe gesagt, wenn Deutschland wolle, könne es jederzeit aus der EU austreten, dies sei "no problem". Nordirland sei eben ein spezielles, britisches Problem, Irland müsse ein Vetorecht hinsichtlich der Geschicke des Nordteils haben.

EU-Ratspräsident Donald Tusk reagierte stellvertretend für Deutschland und die EU auf die Meldung aus London, indem er Johnson vorwarf, ein "blame game" zu betreiben und der EU die Schuld am Scheitern der Gespräche in die Schuhe schieben zu wollen. "Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen", twitterte Tusk. "Die Zukunft der EU und Großbritanniens sowie die Sicherheit und die Interessen der Bürger" stünden auf dem Spiel. Man sei bereit, weiter zu verhandeln; von einem Abbruch der Gespräche könne keine Rede sein.

In Großbritannien schlug die Nachricht aus der Regierungszentrale erwartungsgemäß hohe Wellen. Die Vorsitzende der nordirischen DUP, die in den Vorschlag von Boris Johnson ein Vetorecht der nordirischen Exekutive bezüglich der Zukunft Nordirlands hineinverhandelt hatte, zeigte sich empört vom kolportierten Inhalt des Telefonats zwischen Johnson und Merkel. Die Forderung, Nordirland müsse in der Zollunion bleiben, lege die wahren Ziele der EU bloß: Brüssel sei nicht an einem positiven Ergebnis der Verhandlungen interessiert. Man akzeptiere aber keine Ultimaten und keine Fallen.

Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon hingegen schloss sich der Lesart aus Brüssel an. "Der Versuch der britischen Regierung, die Schuld am Brexit-Fiasko anderen, in diesem Falle Angela Merkel, in die Schuhe zu schieben", so Sturgeon, sei "auf peinliche Weise durchsichtig".

Der Bruch zwischen London und der EU hatte sich bereits Stunden zuvor angedeutet. Der Spectator veröffentlichte den Text eines Downing-Street-Insiders, der das Ende der Gespräche voraussagte und die Schuld beim irischen Premier Leo Varadkar suchte.

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