Brexit-Gespräche:Alles läuft nach Johnsons Plan

Es ist unwahrscheinlich, dass der britische Premier die EU mit seiner No-Deal-Drohung tatsächlich zum Einlenken zwingen will. Dahinter steckt ein anderes politisches Kalkül.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Großbritannien steuert direkt auf einen No Deal zu. Egal, ob vor oder nach den nächsten Wahlen - der Crash ist eine Frage der Zeit. Ein Telefonat mit der Kanzlerin habe gezeigt, heißt es aus der Downing Street, dass die EU nicht kompromissbereit sei. Man habe alles gegeben, viel vorgelegt, aber es habe nicht gereicht. Nun reiche es.

Merkel ist schuld, die Deutschen zeigen ihr wahres Gesicht, Berlin wollte uns schon immer unterwerfen, der Backstop für Irland war immer eine Falle, die EU muss zerschlagen werden - das sind denn auch die spontanen Reaktionen britischer Leave-Fans im Netz auf die Nachricht aus London, dass ein Deal mit der EU mittlerweile "ziemlich unmöglich" sei.

Das Kalkül von Boris Johnson mag zwar in Brüssel als durchsichtig und in Berlin als unverschämt gelten. In Großbritannien aber scheint seine Rechnung fürs Erste aufzugehen. Die Schuldzuweisungen, die Dolchstoßlegende, die Brüssel gefürchtet hatte: Sie sind jetzt in der Welt.

Downing Street hat am Dienstag - wie so oft in letzter Zeit nicht direkt, sondern über Insider und gezielte Indiskretionen - die Botschaft in die Welt geschickt, dass Brüssel nicht nur keinen Deal will, sondern auch nie einen wollte. Dass die Bombe nach einem Telefonat mit Merkel platzte, ist kein Zufall, sondern entspricht dem Kalkül von Dominic Cummings, dem Chefberater von Johnson. Die Aversion gegen den ehemaligen Kriegsgegner Deutschland und dessen Wiederaufstieg zur Macht via Brüssel war für viele, vor allem ältere Briten ein Grund gewesen, 2016 für den Brexit zu stimmen.

Auch drei Jahre und Tausende Nachrichten und Debatten später hört man immer noch, die EU sei das trojanische Pferd, durch das Berlin in London erneut einmarschiert sei. Bis zuletzt waren im Königreich zudem die Hoffnungen geschürt worden, Berlin werde die EU-27 zu Kompromissen überreden, die deutsche Wirtschaft werde Druck machen, Merkel sei aus Furcht vor einer Rezession an einem Deal interessiert.

Dass die Kanzlerin die Einheit der 27 nie aufgeben würde, wurde in London nicht gern erwähnt. Stattdessen wurden hohe Erwartungen geweckt, nun ist die Empörung umso größer. Emmanuel Macron wäre dagegen eine schlechtere Zielscheibe für den Volkszorn gewesen. Er hatte sich früh sehr kritisch über die Taktik der Briten geäußert.

Johnsons Vorschlag - keine "breite Landezone"

Johnson und Cummings hatten immer mit No Deal gedroht; dass der Mann, der erst im Sommer Premier geworden ist, zugleich betonte, ein Vertrag sei ihm lieber, wirkte stets wie ein Lippenbekenntnis. Er hat lange nichts dafür, aber viel für die Vorbereitung eines No Deal getan.

Auch der Vorschlag, den Downing Street in Brüssel vorlegte, war erkennbar nicht darauf angelegt, einen Deal in kurzer Zeit zu ermöglichen. Nordirland außerhalb der Zollunion, kein Plan, um Grenzkontrollen zu vermeiden, ein Vetorecht der nordirischen DUP zur Zukunft der Insel - dieses Angebot war keine "breite Landezone", wie Johnson sagte.

Es ist unwahrscheinlich, dass Johnson mit seiner No-Deal-Drohung nur einen Kotau der EU erzwingen will. Die Psychologie in Downing Street ist eine andere. Der Premier setzt darauf, dass das Unterhaus eine Verschiebung des Brexits erzwingt - und dass wütende Briten Johnson mit großer Mehrheit wieder ins Amt wählen. Die, die gegen den Brexit argumentieren, sind schon stigmatisiert, als "Verräter".

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