Quantencomputer:Eiskalt durchgerechnet

Googles Maschine übertrifft klar bisherige Supercomputer und könnte etwa Verschlüsselungen knacken. Bis zu praktischen Anwendungen aber ist der Weg noch weit.

Von Jannis Brühl

Quantencomputer: Google-Chef Sundar Pichai (Mitte) mit der neuen Maschine und einem Techniker im kalifornischen Santa Barbara.

Google-Chef Sundar Pichai (Mitte) mit der neuen Maschine und einem Techniker im kalifornischen Santa Barbara.

(Foto: Hannah Benet/Google)

Einige der herausragendsten Köpfe der Wissenschaft arbeiten in der Quantenforschung, jenem Teilbereich der Physik, der sich der Vorstellungskraft der meisten Menschen entzieht. Ähnlich brillante Forscher treiben die Informatik in immer neue Sphären. Und dann gibt es den Bereich, in dem die beiden Disziplinen zusammenkommen, um Computer, wie wir sie kennen, mithilfe der Quantenphysik hinter sich zu lassen. Es ist die Arbeit an Quantencomputern, deren enorme Rechenleistung selbst die bisher leistungsstärksten Computer wie primitive Rechenschieber aussehen lassen soll. Jetzt tritt diese kleine, kluge Szene ins Rampenlicht. Helle Aufregung herrscht, und kein Vergleich ist zu groß: Ist es der Sputnik-Moment der Quantencomputerforschung? Ihre Mondlandung? Oder am Ende nur der nächste übertriebene Hype um eine vermeintliche digitale Revolution? Die Aufregung hervorgerufen hat Google. Der Konzern rief am Mittwoch ein neues Computerzeitalter aus. Seine Forscher hätten die sogenannte Quantenüberlegenheit erreicht.

Der Begriff beschreibt den Moment, in dem Quantencomputer mathematische Probleme berechnen können, die auch die besten derzeitigen Supercomputer nicht schaffen. In einer Mitteilung von Google heißt es: Googles spezieller Quanten-Chip Sycamore "konnte in 200 Sekunden eine Berechnung durchführen, für die der schnellste Supercomputer der Welt 10 000 Jahre gebraucht hätte".

Praxistaugliche Quantencomputer sollen eines Tages Medizin, Chemie und Verschlüsselungstechnik revolutionieren. Dass das Unternehmen nun einen Durchbruch verkündet, dürfte intensive Diskussionen in der Informatik und anderen Wissenschaftsgebieten auslösen. In seinem Papier, das im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde, spricht Googles Forscherteam von einem Meilenstein. Es kursierte bereits im September im Netz.

Normale Rechner arbeiten unter den Bedingungen und Gesetzen der klassischen Physik, mit binären Bits, die immer nur einen Wert annehmen können: 0 oder 1. Dagegen arbeiten Quantencomputer mit sogenannten Qubits, die 0 und 1 gleichzeitig sein können. Dieses Paradox gilt selbst in der theoretischen Physik noch heute als Herausforderung. Bekanntestes Beispiel für die paradoxen, gleichzeitig herrschenden Zustände ist Schrödingers Katze aus dem Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger: Das Tier ist in einem Kasten, in dem es - theoretisch - langsam mit Gas getötet wird. Ein Zufallsereignis setzt eine tödliche Menge Gas frei. Würde die Quantenmechanik nicht nur auf Ebene der Atome, sondern auch für die Katze gelten, so würde sie einen Zustand annehmen, in dem sie sowohl "tot" als auch "lebendig" wäre - bis jemand nachsieht. Ebenso können Qubits Rechenoperationen gleichzeitig statt nacheinander ausführen. Dadurch nimmt die Menge an Informationen, die Quantencomputer verarbeiten können, exponentiell zu. Die 54 Qubits in Googles neuem Computer nutzen diese Gleichzeitigkeit, um Abermillionen Vorgänge in Sekunden zu rechnen.

Die Bedingungen, um stabile Quantenberechnungen zu erzielen, sind nur mit großem Aufwand zu erreichen. Zum Beispiel muss extreme Kälte herrschen. Quantenzustände sind flüchtig. Sie lassen sich nur erhalten, wenn sie strikt von der Umwelt isoliert sind. Sonst werden sie von der Nicht-Quantenwelt beeinflusst und werden "klassisch", verlieren also ihren Quantencharakter. Dann kommt es zu Rechenfehlern. Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Theoretische Physik an der Universität des Saarlandes, sagt: "Die Fehlerrate ist über Googles gesamten Chip sehr gering. Eine grandiose Ingenieurleistung."

Sind die Quantenprozessoren ausgereift, sollen sie dank ihrer ungeheuren Leistung etwa die Struktur von Molekülen berechnen oder den Verlauf von Aktienmärkten detailliert prognostizieren. Manche IT-Experten fürchten, Geheimdienste könnten damit auch die beste Verschlüsselung knacken. Google stellt vage bessere Arzneimittel, Batterien und Energienutzung in Aussicht, zu deren Entwicklung die Forschung irgendwann beitragen könnte.

Noch sind das theoretische Szenarien. Was der Sycamore-Chip durchrechnete, war zwar höchst kompliziert, aber keine Rechenaufgabe mit einem nutzbaren Ergebnis. Eher eine Demonstration von Rechenkraft als die Lösung für ein drängendes Problem. Die Frage ist, ob Googles Quantenrechner mehr ist als ein Spielzeug für Forscher, und tatsächlich den Weg zu praktischen Anwendungen weist, die die Welt verändern. Wilhelm-Mauch erklärt, wie weit die praktische Umsetzung noch entfernt ist: "Wenn die Fehlerrate der Chips etwa um den Faktor 5 reduziert wird und die Zahl der Qubits etwa verfünffacht, dann könnten so Berechnungen in theoretischer Chemie möglich sein."

Schon im September war Googles Papier zu seiner Forschung - wohl unabsichtlich - auf einer Webseite der Nasa veröffentlicht worden. Danach gab es Streit darüber, ob Googles mathematisches Problem wirklich so schwer zu lösen war, wie der Konzern behauptet. IBM, ein Konkurrent auf dem Gebiet der Quantencomputer, hatte Googles Behauptungen als "Hype" kritisiert. Um die Aufgabe aus dem Experiment zu lösen, brauche ein aktueller Supercomputer nicht 10 000 Jahre, wie von Google behauptet, sondern nur zweieinhalb Tage. Google habe die Fähigkeiten moderner Supercomputer nicht voll ausgenutzt. Das Schlagwort "Überlegenheit" (supremacy) werde nur falsch verstanden werden, wie es zuvor schon vielen Begriffen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz ergangen sei. John Martinis, Forscher in Googles Quanten-Team, sagt nun: Er werde Daten und Programmcode des Experiments öffentlich machen, dann könnten sich die Kollegen von IBM selbst von dem Durchbruch überzeugen.

Die Megamaschinen haben noch viele Experimente vor sich, bevor sie Handys sicherer machen oder blitzschnell Verkehrsflüsse an Flughäfen berechnen können. So lange gilt das Zitat, das vom Physiker Richard Feynman in Anspielung auf die zwei paradoxen Zustände von Schrödingers Katze überliefert ist: "Wenn du denkst, du verstehst die Quantenmechanik, verstehst du die Quantenmechanik nicht."

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