Parteien:Versuchslabor Ost

Eine starke AfD und abservierte Koalitionen: Die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hatten einiges gemeinsam. Welche Lehren lassen sich daraus ziehen?

Von Ulrike Nimz

Nach dem Wählen kommt das Deuten. Diese Regel greift im "Superwahljahr Ost" noch verlässlicher als sonst. So unterschiedlich die politischen Konstellationen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sein mögen, die Wahlergebnisse lassen gemeinsame Schlüsse zu. Zuallererst: Ist ein Erfolg der AfD zu erwarten, hilft das dem amtierenden Ministerpräsidenten. In Sachsen war der Wahlkampf von Michael Kretschmer (CDU) entbehrungsreich und letztlich erfolgreich. Mit seiner Strategie der Bürgernähe hat er jedoch nur wenige Wähler von der AfD zur CDU geholt. Stattdessen, das zeigt die Wählerwanderung, liehen ihm Menschen aus dem grünen und sozialdemokratischen Lager ihre Stimme. Auf dass ihr Kreuz einem höheren Zweck diene: einen Sieg der AfD zu verhindern. Eine ähnliche Dynamik ließ sich in Brandenburg beobachten; in Thüringen kam die parteiübergreifende Popularität Bodo Ramelows (Linke) hinzu.

Opfer dieses strategischen Wahlverhaltens sind die potenziellen Koalitionspartner: In Thüringen waren die Grünen schwach, weil es an urbanen Zentren fehlt, viele Menschen ein Problem mit Windrädern im Wald haben. Aber die Partei hat auch etliche Wähler an die Linke verloren, genauso ging es der SPD.

Wenn von Polarisierung die Rede ist, in Thüringen gar von einem "Sieg der Ränder", dann ist das schon deshalb falsch, weil Ramelow ein sozialdemokratisches Profil hat, während Björn Höcke (AfD) ein faschistoides Weltbild erkennen lässt. Der Graben, so analysiert der Jenaer Rechtsextremismusforscher Matthias Quent im Magazin Republik, verlaufe in Ostdeutschland nicht vorrangig zwischen Stadt und Land, AfD oder Grünen, sondern zwischen einer demokratischen Mehrheit und einer rechtsradikalen Minderheit.

Die AfD ist, auch das haben die Wahlen gezeigt, keine Protestpartei. Öfter noch als aus Frust wird sie inzwischen aus Überzeugung gewählt und zwar auch von Menschen, die gut situiert sind, aber Abwehrreflexe gegen Umbrüche wie Globalisierung, Migration und Gleichstellung der Geschlechter pflegen. Das ist kein rein ostdeutsches Phänomen, aber die Partei und die Neue Rechte haben den Osten lange vor diesem Jubiläumsjahr als Aktionsfeld entdeckt. Wer die Länderchefs der AfD im Wahlkampf begleitete, erlebte, wie sie Westdeutschland als Moloch schilderten, gleichzeitig den Mut der Revolutionäre von 1989 priesen. Slogans präsentierten, die ostdeutsche Erinnerungsräume füllten und subkutan für den erneuten Systemsturz warben: "Vollende die Wende".

Die AfD hat die Wut über Versäumnisse der Wiedervereinigung und das häufig noch in der DDR wurzelnde Misstrauen gegenüber Staat und Medien aufgegriffen und zu einem ostdeutschen Nationalchauvinismus kanalisiert. Anderen lieferte sie schlicht eine neue Erzählung für ihren alten Rassismus. Dass all das im Osten besser verfängt, öfter unwidersprochen bleibt, hat viele Gründe. Die Abwanderung von Millionen junger, oft weiblicher Menschen ist einer. Dem Osten ist vor Jahrzehnten "die Mitte" abhandengekommen, um im Vokabular dieser Tage zu bleiben. Und doch ist die AfD in keinem der drei Länder stärkste Kraft geworden - allen Untergangsszenarien zum Trotz.

Dass aus demokratischen Mehrheiten nicht selbstverständlich politische werden, hat die Wahl in Thüringen bewiesen. Nun müssen neue Allianzen gefunden werden; Bodo Ramelow hat gezeigt, wie das gehen kann. Sein rot-rot-grünes Bündnis regierte teils mit nur einer Stimme Mehrheit, mit Erfolgen und Niederlagen, aber ohne große Aufreger. Wollte man Ramelows Strategie der vergangenen fünf Jahre kampagnentauglich beschreiben, wäre das: Kompromiss statt Kommunismus. Zukünftig dann: Keine Macht für niemand?

Die Rede von der vermeintlichen "Unregierbarkeit" hilft dem Osten nicht. In einer Zeit, in der das Parteiensystem im Umbruch ist, muss Einendes in den Blick genommen werden. Das kann die Abgrenzung von Menschenfeinden sein, aber nicht nur. Die Bündnisse, die Namen ferner Länder tragen, müssen Ideen für die Welt vor der Haustür entwickeln. In Sachsen und Brandenburg, wo wohl bald Kenia-Koalitionen regieren, haben sie das verstanden. Wenig drang aus den Verhandlungszimmern nach draußen, außer Bekundungen gegenseitigen Respekts.

Nach der Wahl am Sonntag sagte CDU-Chef Mike Mohring, er brauche "nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen wichtig ist". Dahinter steht der Wunsch vieler ostdeutscher Landesverbände nach mehr Autonomie. Die Union wird sich fragen müssen, ob es zeitgemäß ist, links und rechts gleichzusetzen, jede Zusammenarbeit mit Pragmatikern wie Bodo Ramelow auszuschließen - so wie es jetzt auch Mohrings CDU getan hat. Thüringens amtierender Ministerpräsident steht nun einmal mehr vor der Aufgabe, eine Strategie zu (er)finden, die der komplizierten Realität im Osten Rechnung trägt.

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