Gesundheit:Digitaler Tinnitus

German Health Minister Jens Spahn arrives to the weekly cabinet meeting in Berlin

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verspricht Apps auf Rezept. Patientenschützer und Computerexperten dagegen befürchten Datenschutzmängel - unter anderem.

Von Rainer Stadler

Der Talkshow-affine Bundesgesundheitsminister Jens Spahn versteht es bekanntlich, komplexe Themen zu vereinfachen. Während der Bundestag am Mittwoch das 108-seitige "Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation" beschließt, liefert Spahn eine ebenso kurze wie eingängige Begründung: Digitale Lösungen könnten den Patientenalltag konkret verbessern. "Deshalb gibt es ab 2020 gesunde Apps auf Rezept." Das sei "Weltpremiere", schwärmt Spahn, der sehr genau weiß, dass der routinemäßige Vorwurf lautet, Deutschland hinke bei der Digitalisierung hinterher. Mit seinem Gesetz werde "die Versorgung digitaler - und besser". Ist es wirklich so einfach?

Seit Wochen laufen Experten Sturm gegen diesen Passus, der dazu führen soll, dass Ärzte künftig Apps für Menschen mit Bluthochdruck oder Diabetes verschreiben können. Die Krankenkassen müssen dann zahlen. Fast 40 Sachverständige äußerten in einer Anhörung vor dem Bundestag vor wenigen Wochen schwere Bedenken. Kritiker zweifeln, dass die Apps wirklich so gesund für die Patienten sind. Sie fürchten, dass weder Schutz noch Sicherheit der Patientendaten gewährleistet ist.

Es gibt Apps, die schon jetzt von den Krankenkassen bezahlt werden, obwohl der Nachweis fehlt, dass sie auch wirksam sind. Vor drei Jahren etwa klagte die deutsche Tinnitus-Liga über eine App, die verspricht, Lieblingslieder von Patienten ihrem Tinnitus anzupassen. Das Anhören dieser aufbereiteten Songs würde dazu führen, dass Pfeifen und Fiepen im Ohr nachlassen. Eine Studie der Universität Münster konnte jedoch keinen positiven Effekt nachweisen. Trotzdem wird die Anwendung von mehreren Kassen bezahlt.

Auch Apps zum Messen von Körperfunktionen seien nicht unbedenklich, warnen Experten. Beispiel Blutzucker: Im Tagesverlauf kann dieser Wert erheblich schwanken, ohne dass die Gesundheit beeinträchtigt wäre. Die App löse trotzdem wiederholt Alarm aus, erklärt Gerd Antes, langjähriger Direktor am Deutschen Cochrane-Zentrum. Im schlechtesten Fall werde dem Patienten bei jedem Fehlalarm Insulin gespritzt. Dann bedeute Digitalisierung nicht bessere, sondern Überversorgung.

Das Computermagazin c't nahm kürzlich "Ada" unter die Lupe, eine App, die Nutzern hilft, anhand einzelner Symptome herauszufinden, woran sie erkrankt sein könnten. Dabei stellten sich "massive Datenschutzmängel" heraus: Der Hersteller der App kooperiere mit der Techniker Krankenkasse, was dazu führe, dass "Ada" deren Versicherten je nach Leiden passende Angebote unterbreite. Außerdem übertrage die App Daten an Google oder Facebook.

Zudem hätten es Hacker zunehmend auf Praxen und Krankenhäuser abgesehen, warnt Gerd Antes. Datensicherheit sei ein großes Problem, je mehr die Digitalisierung der Medizin voranschreite. Was, wenn ein Patient Bluthochdruck hat, ein gehacktes Digitalgerät zeigt aber das Gegenteil an? "Dann kann die Behandlung durch den Arzt tödlich enden", sagt Antes.

Wie der Gesundheitsminister sehen auch Antes und andere Experten sinnvolle Digitalanwendungen in der Medizin. Aber dass, wie in Spahns Gesetz vorgesehen, eine Prüfung neuer Apps durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte reichen wird, um Risiken und Nachteile für Patienten auszuschließen - das erscheint vielen von ihnen als etwas zu einfach gedacht.

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