Kernfusion:Teure Hoffnung

General view of the circular bioshield inside the construction site of the International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) in Saint-Paul-lez-Durance

Das Projekt Iter in Saint-Paul-lez-Durance in Südfrankreich.

(Foto: Jean-Paul Pelissier/Reuters)

Das internationale Fusionsprojekt Iter soll viel Energie ohne CO₂ erzeugen, kostet Milliarden und liegt hinter Plan. Kritiker sagen, der Reaktor komme viel zu spät, um globale Probleme zu lösen.

Von Mauritius Kloft, Berlin

Hitzewellen in Mitteleuropa, steigende Meeresspiegel, Millionen Menschen auf der Flucht vor Dürren und Flut. So könnte es auf der Erde aussehen, prognostizieren Klimaforscher, zumindest wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht bis 2050 erreicht werden. Dazu kommt: Der Energiebedarf wird noch drastisch steigen, um mehr als 25 Prozent bis zum Jahr 2040, erwartet die Internationale Energieagentur.

Die Verheißung schlechthin stellt deshalb die Fusion von Atomkernen dar, wie dies auf der Sonne geschieht: eine enorme Energiequelle, unabhängig von Öl und Gas, Sonne oder Wind. Und eine, die kein Kohlendioxid ausstoßen würde. Seit die USA 1952 die Wasserstoffbombe gezündet haben, die nach dem Prinzip der Kernfusion arbeitet, versuchen Forscher, diese Energie zu bändigen. Das bekannteste und aufwendigste Projekt ist der International Thermonuclear Experimental Reactor, kurz Iter, in Südfrankreich. Sieben Partner, die USA, China, Russland, Indien, Japan, Südkorea und die EU, sind an dem Mega-Projekt beteiligt. Seit 2007 bauen sie an dem Reaktor.

Doch seit Jahren steht es in der Kritik: Immer wieder wurden Ziele nach hinten verschoben. Schon 2018 sollte ursprünglich Wasserstoffplasma erzeugt werden, das wird jedoch erst frühestens Ende 2025 der Fall sein. Es ist die Voraussetzung, dass die weiteren Experimente anlaufen können. Erst nach 2035 sollen die Experimente mit dem Deuterium-Tritium- Gemisch anlaufen. Ihre Kernfusion soll letztlich Energie erzeugen. Der Meilenstein war ursprünglich zehn Jahre früher vorgesehen.

Folgerichtig sind auch die Kosten längst außer Plan. Iter ist immer wieder teurer geworden, von geplanten fünf auf knapp 20 Milliarden Euro. Die Verzögerungen und hohen Kosten waren jedoch lange kein Grund, das Projekt grundsätzlich infrage zu stellen. Dafür war die Verheißung nahezu grenzenloser, treibhausgasneutraler Energie einfach zu groß. Und das bis 2050.

Jetzt ist klar: Iter wird dieses Ziel nicht erreichen. Es wurde von Generaldirektor Bernard Bigot kassiert. Frühestens 2055 könne es soweit sein, dass ein neuer, größerer Demonstrations-Reaktor Strom liefert, kommerziell erst zehn Jahre später, schätzen Iter-Wissenschaftler. Nach Auffassung des Schweizer Kernforschers Michael Dittmar hat das Fusionsprojekt damit seinen Sinn verfehlt. Diesen Schluss zieht er in einem Gutachten, das er für die Grünen-Fraktion erstellt hat und das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Fusionsforscher wollen aber an dem Projekt festhalten, so auch Sibylle Günter, Wissenschaftliche Direktorin am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, das ebenfalls an der Kernfusionsanlage arbeitet. Sie versteht nicht, warum sich alle auf das Jahr 2050 versteifen. "Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird unser Energieproblem noch nicht gelöst sein, im Gegenteil. Da kann Kernfusionsenergie ein entscheidender Faktor sein."

Am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie sieht man das anders. Schließlich drohten "nicht mehr beherrschbare Veränderungen des Erdsystems", wenn das Pariser Klimaabkommen nicht erfüllt wird. Manfred Fischedick, Vizepräsident des Instituts, sagt: "Die globalen Probleme müssen bis 2050 gelöst werden, dafür kommt Iter zu spät". Ohnehin könnte die Stromversorgung bis 2050 vollständig durch erneuerbare Energien abgedeckt sein, schätzt Fischedick. Dann würden auch die Stromkosten stark sinken. "Vor diesem Hintergrund erübrigt sich die Frage nach Iter", sagt er.

Auch das Bundesforschungsministerium hält die "entstandenen Verzögerungen und Mehrkosten bei Iter" für "zweifelsohne beachtlich", hält jedoch daran fest. "Die weltweit steigende Energienachfrage erfordert es aus deutscher Sicht jedoch, technologieoffen eine breite Palette von Optionen für die künftige Energieversorgung zu beforschen." Das Projekt könne eine dieser "langfristigen Optionen" sein. Deshalb beteilige sich Deutschland über die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) weiter an Iter, heißt es aus dem Ministerium. Euratom ist eine der EU gleichrangige Institution, die sich mit ihr alle Organe teilt und das Ziel hat, Atomkraft und Kernfusion zu fördern.

Euratom kann als "gastgebende Partei" nicht aus dem Iter-Projekt aussteigen, das regelt das gemeinsame Übereinkommen. Wenn Deutschland allein aussteigen wollte, ginge das nur, wenn es Euratom verlässt. Ob das möglich ist, ohne damit auch die EU zu verlassen, ist jedoch fraglich.

Im jetzigen Finanzrahmen der EU von 2014 bis 2020 sind für Iter fast drei Milliarden Euro veranschlagt.

Mit 45 Prozent trägt Euratom den Großanteil der Kosten. Im jetzigen Finanzrahmen der EU von 2014 bis 2020 sind für Iter fast drei Milliarden Euro veranschlagt. Das Budget soll aber verdoppelt werden: Mehr als sechs Milliarden Euro will die EU von 2021 bis 2027 in die Anlage stecken. Für die Gegner von Iter ist das ein Skandal. Die Technik sei überschätzt worden und habe zu höheren Kosten geführt, gibt Sibylle Günter zu. Aber Iter sei eben auch ein sehr komplexes Projekt.

Und die Kosten könnten noch steigen: Michael Dittmar geht von mehreren Milliarden Euro aus, die allein die Forschung mit Tritium kosten werde. Das radioaktive Gas wird für die Fusionsreaktion benötigt und soll innerhalb des Reaktors entstehen, so die Hoffnung. Die weltweite Versorgung mit Tritium reiche nicht aus, um den künftigen Bedarf zu decken, heißt es bei Iter.

Letztlich finanziert Deutschland trotz Atomausstiegs also die Herstellung von radioaktivem Tritium. Sylvia Kotting-Uhl, Grünen-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Umweltausschusses, nennt Iter deshalb ein "vergiftetes Geschenk". Sie verstehe zwar die Faszination an dieser Art der Energiegewinnung. Diese schleppe aber eine alte Technik mit, die der Kernkraft ähnele und durch die radioaktiver Müll anfalle. Außerdem sind für diese Art Stromerzeugung zentrale Großkraftwerke notwendig, die nicht mehr zeitgemäß seien, sagt Kotting-Uhl. Sie fordert ein "unabhängiges Expertengremium", das den Bau überprüfen soll, und zwar ganz grundsätzlich. "Die Bundesregierung muss hinterfragen, ob die Förderung von Iter noch sinnvoll ist".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: