Wasserstoff:Was kann die Brennstoffzelle?

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Viele Forscher experimentieren mit Wasserstoff-Antrieben. Für sie ist das eine umweltfreundliche Zukunftstechnologie. Für andere nur ein teurer Spaß mit beschränktem Potenzial.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Das Wunderding steht im unscheinbaren Labor E211 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf dem Campus der Universität Stuttgart. Das Gerät ist so groß wie ein Lkw-Motor, hat graue Rohre und blaue Schläuche sowie Kabel und Drähte in allen möglichen Farben. Dazu viel Blech, Aluminium und braunes Isolierband. Fertig ist das Brennstoffzellen-System des Flugobjekts HY4. Der Flieger mit seinen zwei schmalen Rümpfen hob im September 2016 auf dem Stuttgarter Flughafen ab und wurde damit zum weltweit ersten Passagierflugzeug, das von einer Brennstoffzelle angetrieben wurde. "In zehn Jahren werden emissionsfreie Flüge mit 80 Passagieren und 800 Kilometern Reichweite möglich sein", sagt Josef Kallo, Professor am DLR-Institut für Technische Thermodynamik. Der 46-Jährige arbeitet an einer Revolution des Luftverkehrs: Ohne Kerosin und ohne Verbrauch von seltenen Rohstoffen wie Lithium oder Kobalt, stattdessen mit grünem Wasserstoff. Fliegen ohne CO₂-Emissionen und somit ganz ohne schlechtes Gewissen.

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Josef Kallo und seine Experimente lösen in Berlin Begeisterung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet den Wasserstoff als "vielleicht aussichtsreichsten Energieträger". Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nennt ihn sogar einen "Schlüsselrohstoff, der unverzichtbar für die erfolgreiche Dekarbonisierung" sei. Deshalb müsse man "die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien die Nummer eins in der Welt wird." Bis Jahresende will die Bundesregierung eine große Wasserstoff-Strategie vorlegen. In ihrem Klimaschutzpaket schreibt die Bundesregierung dem Wasserstoff "eine zentrale Rolle für den Umbau der Wirtschaft zu". Die großen Koalitionäre prophezeien: "An der Mobilität der Zukunft wird auch die Brennstoffzelle einen großen Anteil haben."

Ist das so?

Ist die Brennstoffzelle wirklich die Lösung aller Verkehrs- und Klima-Probleme dieser Zeit? Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen widerspricht entschieden: "Unsere Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Politiker sollten sich erst überlegen, was sie sagen, bevor sie wieder Welt-Champions mit viel Steuergeld schaffen wollen." Als Grund für seinen Sarkasmus nennt er die "bescheidene" Energiebilanz des Wasserstoffs. Dieser wird gewonnen, in dem man Wasser (H₂O) in Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H₂) aufspaltet. Der Prozess heißt Elektrolyse und verbraucht viel Energie. Der Wasserstoff wird dann im Fahrzeug in einer Brennstoffzelle wieder in Strom zurückverwandelt, um den Elektromotor anzutreiben. Am Ende der Transformationsprozesse werde von der ursprünglichen Energie "weniger als 25 Prozent" genutzt, um das Fahrzeug anzutreiben, rechnet Dudenhöffer vor. "Das erinnert mich an das Örtchen Schilda."

Dennoch forschen vielerorts Wissenschaftler und Unternehmen an der neuen Technologie. Nicht nur in der Luft wie DLR-Professor Kallo, sondern auch zu Wasser und auf der Schiene. Zwischen Buxtehude und Cuxhaven pendelt seit 2018 ein blauer Nahverkehrszug des Herstellers Alstom ohne Diesel und ohne Stromoberleitung. Es ist der weltweit erste Personenzug mit Wasserstoff-Antrieb. Und die Reederei Aida Cruises will 2021 die "Aidanova" auslaufen lassen, das erste Kreuzfahrtschiff mit Brennstoffzelle. Mitfinanziert werden diese Tests von Bund, Ländern und auch Unternehmen, die allesamt auf eine emissionsfreie Technik hoffen.

Ob und wann deren Hoffnungen aufgehen werden, ist noch offen. Die Meinungen der Fachleute gehen auseinander, auch in der Automobilindustrie gibt es Wasserstoff-Fans und -Gegner. Wer von ihnen recht hat? Das wird frühestens in zehn Jahren feststehen. Nur eines ist schon sicher: Kalt lässt dieses Thema keinen.

Der Brennstoffzellen-Zug von Alstom. (Foto: AFP)

Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess bezeichnet Brennstoffzellen-Antriebe für Pkw als "Unsinn". Weil die Wasserstoff-Erzeugung zu teuer sei und der Antrieb zu viel Platz benötige. Diess richtet VW voll und ganz auf die Batterietechnik aus: Bis 2024 investiert der Konzern 33 Milliarden Euro, um Volkswagen zum reinen Batterieautohersteller umzukrempeln.

Konkurrent Daimler setzt dagegen nicht nur auf die E- sondern auch auf die H₂-Mobilität. Ein Vorserien-Modell namens Mercedes GLC F-CELL ist bereits auf den Straßen unterwegs. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann lässt sich - zumindest zeitweise - in diesem Wasserstoff-Mercedes chauffieren. Zudem ist Daimler am Joint-Venture-Unternehmen H₂ Mobility beteiligt, das ein flächendeckendes Wasserstoff-Tankstellennetz anstrebt. Mitgesellschafter sind Air Liquide, Linde sowie - bemerkenswerterweise - die Minerölkonzerne OMV, Shell und Total. Ihr Ziel: Bis 2023 soll es "bis zu 400" H₂-Tankstellen geben.

Zur Zeit sind es nur 80. Für die Kritiker viel zu wenig, um Wasserstoff-Autos zum Durchbruch zu verhelfen. Dennoch gibt es bereits serienmäßige Brennstoffzellen-Pkws zu kaufen: Den Toyota Mirai und den Hyundai Nexo. Toyota will von 2020 an die Produktion sogar verzehnfachen, Hyundai hat eine ähnliche Offensive angekündigt. Der deutsche Hersteller Streetscooter, eine Tochter der Deutschen Post, will 2020 einen Kastenwagen für das Schwesterunternehmen DHL Express produzieren. Und BMW hat im September auf der Frankfurter Autoausstellung mit viel Brimborium das Konzeptfahrzeug iHydrogen Next präsentiert. Doch die Münchner geben sich sehr zurückhaltend, was den Verkaufsstart angeht: "Frühestens ab 2025" werde eine Kleinserie ausgeliefert, teilt der Konzern mit. Und selbst dies nur "abhängig von Marktanforderungen und Rahmenbedingungen." Eine dieser Bedingungen ist wohl ein ausreichendes Tankstellennetz.

Brennstoffzellen unterwegs: Autobauer Mercedes testet den Wasserstoff-Antrieb mit dem Stuttgarter Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. (Foto: picture alliance/dpa)

Wird es jemals so weit kommen? "Ich bin skeptisch, ob die Technologie für Pkw massentauglich sein wird", sagt Autoanalyst Gerhard Wolf von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die H₂-Modelle von Toyota und Hyundai seien "noch teuer", das lohne sich "weder für Käufer noch Hersteller". Aber Wolf sagt auch: "Die Asiaten haben einen langen Atem."

Ferdinand Dudenhöffer schließt einen kommerziellen Erfolg von Wasserstoff-Pkw für die nächsten 30 Jahre sogar aus: "Das wird nichts." Aber immerhin sieht er "bei Nutzfahrzeugen und Bussen eine Chance", weil Speditionen und Stadtwerke auf Routinestrecken fixe Tankstellen ansteuern können. Und weil die Brennstoffzelle der Batterie überlegen ist, je schwerer das Fahrzeug ist.

Der Kauf eines H₂-Pkws ist - Stand heute - also nicht zu empfehlen, außer für Wasserstoff-Enthusiasten oder -Lobbyisten. Das wahrscheinlichste Szenario ist wohl, dass die Brennstoffzelle demnächst im Nutzverkehr eine Alternative wird. Im Pkw wird sie sich - wenn überhaupt - in ferner Zukunft durchsetzen, sofern es dann genügend H₂-Tankstellen gibt.

Das Brennstoffzellen-Flugzeug des DLR. (Foto: imago/7aktuell)

Der Autozulieferer Bosch glaubt jedenfalls an die Zukunft der Technologie: Er erwarb jetzt elf Prozent am schwedischen Hersteller Powercell, mit dem er Brennstoffzellen für Lkw und Pkw entwickelt. Und selbst Herbert Diess' Konzern hat die vermeintliche "Unsinn"-Technologie nicht ganz aufgegeben: Audi tüftelt in Neckarsulm sehr wohl an der Brennstoffzelle.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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