Großbritannien:Johnson muss das Land nun einen

Johnson Queen Premierminister

Johnson begrüßt einen Leutnant aus der königlichen Garte vor dem Besuch bei der Queen.

(Foto: AFP)

Die satte Mehrheit im Unterhaus gibt ihm viele Möglichkeiten. Doch was fängt Boris Johnson mit all der Macht an? Nach der Wahl hat er nun ein großes Problem mehr.

Kommentar von Stefan Kornelius

Boris Johnson wurde früher in Karikaturen gerne als irrer König dargestellt: das Haar zerzaust, der Blick wirr, die Krone verrutscht. Die mitleidige Botschaft war: Der wäre es halt so gerne, lasst ihn spielen. Nun wurde Johnson tatsächlich als triumphaler Gewinner der Unterhauswahl gekrönt. Er hat das britische Parteiengebäude eingerissen und auf den Trümmern seine Standarte aufgepflanzt.

Diese Wahl beendet Jahre der Blockade und der Selbstzerstörung der britischen Politik. Sie gibt dem Land eine Richtung und der Regierung einen Auftrag. Sie ist Ausdruck tiefer Frustration der Wähler mit der Stagnation der Vergangenheit. Sie ist aber auch Beleg einer populistischen Verirrung, denn Johnsons Triumph ist Ergebnis seines über Jahre währenden Fischzugs durch die Gewässer der Unzufriedenen und Lamentierenden. Seine Verheißung bestand aus einem Mann und den Worten: "Get Brexit done".

Dabei war der Brexit zuletzt nur noch eine Metapher für die allgemeine Politikverdrossenheit im Land, Beleg der Frustration mit denen da oben und denen da draußen. Das Parlament: blockiert; die Regierung: schwach und gelähmt; die Probleme: immer komplexer. Für einen Menschenfischer wie Johnson ist das der ideale Nährboden, den er freilich angereichert hat mit sozialer Großzügigkeit, typischem konservativen Marktliberalismus und vor allem einer Botschaft an die Kulturkrieger im Land: dass Großbritannien tatsächlich wieder groß und stolz werden würde. The Donald lässt grüßen.

Die Briten haben mit ihren Stimmen das Land neu vermessen

Die Erfolgsformel des modernen Populismus hat sich Johnson tatsächlich von Trump abgeschaut. Der Wahlsieg trägt bereits die Vorboten für die Entscheidung in den USA in sich. Es geht um Klarheit und Stärke. Das könnte auch als Blaupause für Nachahmer dienen, die den Trumpismus auf das europäische System übertragen wollen.

Die spezielle britische Komponente besteht darin, dass Johnson das Parteiensystem seines Landes neu geordnet hat. Noch nie waren so viele Wähler der bürgerlichen Rechten mit so vielen Wählern aus den Arbeitermilieus vereint. Diese Wählerverschiebung ist in einer Klassengesellschaft wie der britischen bemerkenswert und verleiht der Wahl ihre historische Relevanz. Tatsächlich haben die Briten mit ihren Stimmen das Land neu vermessen. Alte Bindungen sind verschwunden, Labour wird den Gang der europäischen Sozialdemokratie gehen.

Die Massenflucht vor Labour verdankt Johnson natürlich auch seinem Herausforderer Jeremy Corbyn, der seine Partei als eine obskure Sekte aus Halbmarxisten und Funktionären führte. Selbst ihren Antisemitismus glaubten sie nicht verstecken zu müssen. Corbyn war schlicht unwählbar. Die Würdelosigkeit in der Niederlage zeugt von seiner kalten Kadergesinnung. Er schickt die Opposition in den Opfergang und will seine Verantwortung dafür nicht einmal wahrhaben. Nun beginnt die Zeit der offenen Messer.

Der Brexit ist mit dem Austrittsvertrag nicht beendet, im Gegenteil

Johnson macht die satte Mehrheit zu einem mächtigen Premier. Er kann sich Abweichler im Unterhaus erlauben, er kann Loyalität in rauen Mengen einfordern, nachdem er die Kandidatenliste seiner Partei höchstselbst auf Linie gebracht hat. Selten hat ein Premier vom ersten Tag an so ungehindert regieren können. Der Gegensatz zu den May- und Cameron-Jahren, zuletzt gekrönt von einem veritablen Machtkampf zwischen Parlament, Regierung und am Ende auch der Gerichte, könnte größer nicht sein.

Im Angesicht des Triumphs bleibt dennoch die entscheidende Frage: Was wird Johnson mit all seiner Macht nun anstellen? Natürlich wird Großbritannien die Europäische Union verlassen. Es wird kein zweites Referendum geben. Der Austrittsvertrag ist bereits verhandelt. Aber was dann? Johnson hat wie seine Vorgänger auch in all seiner Brexit-Demagogie die Unvereinbarkeit der Positionen erkannt: Großbritannien kann nicht aus der EU austreten, gleichzeitig aber die ökonomischen Vorteile behalten, auf die das Land aus schierer Vernunft nicht verzichten kann.

Der Brexit ist mit dem Austrittsvertrag nicht beendet, im Gegenteil. Die eigentliche Schwierigkeit beginnt erst, und Johnson hat nun die Wahl, ob er den offenen Konflikt mit Brüssel sucht und seine EU-feindliche Wahldoktrin zum Regierungsmotto erklärt - oder ob er nicht besser Pragmatismus walten lassen sollte. Der erste Test kommt gleich nach dem Austrittsvotum, das nun vor Weihnachten angesetzt ist.

Johnson sollte den Moment des Triumphs nutzen und zu Beginn seiner Amtszeit eine Verlängerung der Übergangsfrist über Dezember 2020 hinaus vorschlagen. Ein vernünftiges Abkommen mit der EU ist in dieser kurzen Zeit nicht verhandelbar. Fachleute könnten den Vertrag in weniger toxischem Umfeld reifen lassen. Seine Wähler werden es ihm danken, wenn er sich nun den unzähligen anderen Problemen des Landes widmet.

Die größte Sorge muss Johnson nämlich mit Blick auf die Wahlkarte des noch Vereinigten Königreichs befallen: Die klare Botschaft der Schotten und der Nordiren ist nämlich, dass sie sich von dieser Regierung nicht repräsentiert sehen. Die Spaltung Großbritanniens ist aber kein politisches Problem, sondern ein existenzielles. Die Einheit des Landes steht auf dem Spiel, in Nordirland gar der Frieden. Sollte Johnson keine versöhnliche Linie mit der EU einschlagen, wird er auch keine Versöhnung im eigenen Land finden. Die Schotten werden erbittert für ein neues Sezessions-Referendum kämpfen.

Die Brexit-Jahre haben gezeigt, was Polarisierung und Radikalisierung mit einer Demokratie anstellen, sie haben das britische Klassen- und Machtsystem verändert. Boris Johnson mag viele im Land hinter sich geschart haben, die Wunden des Brexit aber bluten noch heftig. Jetzt, wo Johnson seinen Königstraum erfüllt hat, könnte er sich das Motto seines Idols Winston Churchill zu eigen machen: "Im Sieg - Großmut."

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