SZ-Serie: Münchner Chefzimmer:"Das ist doch nicht wirklich Ihr Schreibtisch, oder?"

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Sabine Bendiek, Deutschland-Chefin von Microsoft, hat kein eigenes Büro, das sorgt bei Besuchern manchmal für Verwunderung. Wenn ihr Platz im Großraum schon belegt ist, setzt sie sich eben woanders hin. Job und Leben sind in dieser Firma nicht mehr getrennt. Ein Besuch

Von Martina Scherf

Sabine Bendiek hat kein eigenes Büro. Sie hat zwar einen bevorzugten Schreibtisch im Großraum ihres Teams. Aber der ist weder breiter noch schöner als die anderen - und wenn er schon belegt ist, setzt sie sich eben woanders hin. An diesem Montag hatte die Deutschland-Chefin von Microsoft Glück. Ihre Jacke hängt über der Stuhllehne, die Teetasse steht auf dem gewohnten Platz. Nur sie selbst fehlt. Ihre Tischnachbarin antwortet auf Nachfrage: "Sabine? Die war gerade noch da."

Da kommt sie auch schon. Groß, schlank, elegant, ein wenig abgehetzt. Moment bitte, sagt sie, und räumt noch schnell ein bisschen auf, steckt eine Visitenkarte weg, schiebt die Weihnachtskarten auf einem Stapel ordentlich zusammen. Dann darf der Fotograf loslegen.

Privates findet sich nicht an diesem Arbeitsplatz. Nur grüner und weißer Tee, das sei ihr Treibstoff, sagt Bendiek. Eine grüne Handtasche und ein schwarzer Rucksack, das war's. Alles andere wäre störend. Weil niemand einen eigenen Schreibtisch hat bei Microsoft, gilt eine Clean-Desk-Policy: Am Abend muss alles aufgeräumt sein. Die Hälfte der Woche ist Sabine Bendiek aber ohnehin unterwegs: bei Kunden in ganz Deutschland oder in der Zentrale in Redmond, USA, in der Nähe von Seattle.

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(Foto: Florian Peljak)

Der Tisch der Chefin ist von den anderen nicht zu unterscheiden. Nur die grüne Handtasche lässt erkennen, wer hier sitzt.

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(Foto: Florian Peljak)

Sabine Bendiek...

...steht auf grünen oder weißen Tee.

Ihre persönlichen Gegenstände bewahrt sie wie alle Mitarbeiter von Microsoft in einem Schließfach auf. Ihres trägt die Nummer 43007.

Der kleine Dino klebt auf ihrem Laptop und stammt von der Mitarbeitergruppe mit Handicaps.

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(Foto: Florian Peljak)

Das Schlüsselband trägt die Farben der schwul-lesbisch-queeren Gruppe. "Wir legen sehr viel Wert auf Diversität", sagt die Geschäftsführerin.

Wenn sie in München ist, im Hauptquartier in der Parkstadt Schwabing, dann ist ihr Platz im vierten Stock, "rote Zone". Die Farben markieren verschiedene "Anchor Areas", Aufgabenbereiche. Doch selbst der Geschäftsführerbereich besteht nicht nur aus "Leadership", betont die Chefin. Flache Hierarchien gehören zum Prinzip des Unternehmens. Und was die Möbel angeht, "da lernen wir ständig dazu, seit wir hier eingezogen sind", sagt Bendiek. Die großen Sofa-Lounges auf jedem Stockwerk hätten sich kaum bewährt, stattdessen würden die Mitarbeiter lieber die Sessel in den kleinen Nischen für Dreier-oder Vierer-Gespräche aufsuchen. Es sind ohnehin nie alle da. Bei Microsoft gelten Vertrauensarbeitszeit und Vertrauensarbeitsort: Niemand muss mehr ins Büro kommen. Wann und wo er arbeitet, bleibt jedem selbst überlassen. Nur das Ergebnis zählt. "Wir sprechen nicht mehr von Work-Life-Balance", sagt Bendiek, "sondern von Work-Life-Flow." Arbeit und Leben sind nicht mehr getrennt.

An der Wand steht eine Reihe von Schließfächern wie am Bahnhof. Sabine Bendiek hat die Nummer 43 007. "Zufall", sagt sie und lacht, die Agentennummer habe sie sich nicht ausgesucht. Es gibt Telefonkabinen und verschiedene Besprechungsräume mit virtueller Verbindung zu Mitarbeitern in aller Welt, die "Surface Hubs", dort kann man auf großen Wandbildschirmen sogar am selben Dokument arbeiten. Am Ende eines jeden Flurs steht die Küche, mit Barhockern und Theke und Zugang zur Dachterrasse. Das Ganze sieht eher aus wie ein Co-Working-Hub als die Niederlassung eines Konzerns.

Um den Hals trägt Bendiek ein buntes Band, an dem die firmeninterne Chipkarte baumelt. Die Regenbogenfarben gehören zur schwullesbischen Mitarbeitergruppe. "Wir legen sehr viel Wert auf Diversität", erklärt Bendiek, "und haben für jede ERG ein eigenes Band". ERG steht für Employee Resource Group. Regelmäßig finden hausinterne Veranstaltungen statt.

Die Disability-ERG von Mitarbeitern mit Handicap hat gerade einen ganzen Tag organisiert, um anderen zu vermitteln, was für Blinde, Taube oder Gehbehinderte wichtig ist. Inklusion wird hier gelebt, und nicht zuletzt entwickelt Microsoft ja auch Produkte für behinderte Menschen. "Wir haben blinde, autistische und taube Entwickler, Microsoft bezieht daraus auch viel Kreativität."

Und was sagen nun Besucher von deutschen Traditionsunternehmen, wenn sie Frau Bendieks Büro sehen? Es komme schon gelegentlich vor, antwortet sie, dass einer erstaunt fragt: "Das ist doch nicht wirklich Ihr Schreibtisch, oder?"

In der neuen Arbeitswelt stehe "Kollaboration" im Fokus, sagt Bendiek: "Meine Sichtbarkeit und Ansprechbarkeit ist sicherlich größer in diesem Haus. Und manchmal hilft es mehr, wenn man mit jemandem ein freundliches Wort in der Lobby wechselt, anstatt ein offizielles Meeting einzuberufen." Dass alle per Du sind, gehört ebenfalls zum Prinzip. Und so hört sie mehrmals am Tag den Satz: "Sabine, hast du mal 'ne Minute?"

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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