Energieversorgung:"Bis 2025 gibt es in Deutschland kein Problem"

Aktion zur Abschaltung des Atommeilers Philippsburg 2

Forderung erfüllt: Das badische Atomkraftwerk Philippsburg ist seit dem 31. Dezember komplett abgeschaltet.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Wird es auch ohne Atomkraft genug Strom geben? Eine Expertin für erneuerbare Energien erklärt, woher er kommen soll - und welche Hürden es dabei zu überwinden gilt.

Interview von Claudia Henzler

Am Silvesterabend ist das badische Atomkraftwerk Philippsburg endgültig vom Netz gegangen. Die Wirtschaftsingenieurin Maike Schmidt erklärt, wo der Strom jetzt herkommt und weshalb Windräder, die von Bürgergemeinschaften geplant werden, den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen.

SZ: Momentan erzeugt Deutschland mehr Strom, als es verbraucht. Der Überschuss ist jedoch geringer als die Produktion aller Atomkraftwerke zusammen. Was passiert, wenn Ende 2022 auch noch die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen?

Maike Schmidt: Mehrere Studien gehen davon aus, dass es bis 2025 in Deutschland keine Probleme gibt. Europaweit haben wir eine Überkapazität von 80 bis 90 Gigawatt Kraftwerksleistung. Zum Vergleich: Die Leistung der Kraftwerke in Baden-Württemberg liegt bei ungefähr zehn Gigawatt.

Was muss man tun, um nicht von importiertem Strom abhängig zu sein?

Wir müssen die Kapazitäten steigern, vor allem bei den erneuerbaren Energien.

Die erneuerbaren Energien gelten allerdings als wenig zuverlässig.

Natürlich sind sie nicht so grundlastfähig, wie man das von Kern- oder Kohlekraftwerken gewöhnt ist. Aber über Wetterprognosen ist doch relativ zuverlässig vorhersehbar, wie die Grunderzeugung aussieht. Der wichtigste Aspekt ist aber natürlich der Netzausbau in Deutschland. Den sollten wir so schnell wie möglich umsetzen. Zusätzlich ist der weitere europäische Ausbau notwendig, damit die Austauschpotenziale ausgenutzt werden, die es zwischen den Ländern gibt. Es haben ja nicht alle die gleiche Witterung und das gleiche Verbrauchsverhalten.

Woher kommt der Strom, wenn Wind und Sonne fehlen?

Wenn das Stromsystem vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt ist, wird es nicht ohne chemische Energieträger als Speicher gehen.

Welche Energieträger sind das?

Das werden vor allem synthetisches Gas für Kraftwerke und Wasserstoff für Brennstoffzellen sein.

Die Betreiber von Übertragungsnetzen im Süden sind wegen des Atomausstiegs schon dabei, neue Gaskraftwerke zu bauen, die nur als Reserve gedacht sind. Diese werden allerdings fossil betrieben.

Ja, diese Kraftwerke werden eine Kapazität von insgesamt zwei Gigawatt haben und sollen die Systemstabilität südlich des Mains aufrechterhalten. Unter dem Klimaschutzgedanken stellt sich natürlich die Frage, welches Gas wir einsetzen. Ich persönlich denke, wir werden gar nicht so viele Zeiten ohne Wind und Sonne sehen. An den wenigen Tagen oder Stunden, in denen wir eine Dunkelflaute haben, fallen die CO₂-Emissionen der Reservekraftwerke nicht wirklich ins Gewicht.

Wer ein Windrad baut, bekommt für seinen selbst produzierten Strom einen festgelegten Preis, die Einspeisevergütung. Neuerdings müssen sich Bauwillige in einer Ausschreibung bewerben und die Höhe dieser Einspeisevergütung dabei selbst vorschlagen. Den Zuschlag bekommt, wer am wenigsten verlangt. Jetzt werden kaum noch Windräder gebaut. War der Systemwechsel ein Fehler?

Bei der Umstellung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist einiges schiefgelaufen. Hinzu kam, dass sich Projektentwickler, bevor die Ausschreibung eingeführt wurde, noch schnell alles genehmigen ließen, was möglich war, um im alten Fördersystem zu bleiben. Deshalb sind von 2016 bis 2018 besonders viele Anlagen ans Netz gegangen. Außerdem gab es in den ersten Ausschreibungsrunden Sonderkonditionen für Bürgerwindenergieanlagen mit sehr langen Realisierungsfristen. Die Antragsteller hatten viereinhalb Jahre Zeit, um ihre Anlage aufzustellen, und mussten keinen genehmigten Standort vorweisen, um an der Ausschreibung teilzunehmen. Da es momentan kaum noch genehmigte Standorte gibt, ist die Realisierung dieser Bürgerwindräder fraglich.

Energieversorgung: Maike Schmidt, 40, leitet den Fachbereich Systemanalyse beim Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg, das die Energiewende im Auftrag der Landesregierung beobachtet.

Maike Schmidt, 40, leitet den Fachbereich Systemanalyse beim Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg, das die Energiewende im Auftrag der Landesregierung beobachtet.

(Foto: ZSW)

Woran liegt das?

Das ist schwer zu sagen. Denkbar ist, dass wegen der veränderten Förderung erst mal die vielen bereits genehmigten Projekte abgearbeitet wurden und zu wenig für die Akquise neuer Standorte getan wurde. Es wird aber auch wegen Widerständen in der Bevölkerung immer schwieriger, eine Genehmigung zu bekommen. In Baden-Württemberg kommt hinzu, dass Bewerber in der Ausschreibung weniger Chancen haben, weil sie eine höhere Einspeisevergütung brauchen. Es ist einfach teurer, auf felsigem Untergrund oder in bergigem Gelände zu bauen als im norddeutschen Flachland. Insofern wäre eine Sonderregelung für die Südländer sinnvoll.

In Baden-Württemberg werden pro Jahr 72 Terawattstunden Strom verbraucht, aber nur 62 produziert. Nun fallen durch Philippsburg weitere zehn Terawattstunden weg. Woher kommt die Differenz?

Wir waren in Baden-Württemberg schon lange auf die Zulieferung aus anderen Bundesländern, aber auch aus unseren Nachbarländern angewiesen. An den Grenzen zu Österreich, Frankreich und in die Schweiz gibt es im Übertragungsnetz Kuppelstellen, da werden die grenzüberschreitenden Stromflüsse erfasst.

In der Summe hat das Bundesland demnach aber stets mehr Strom ans Ausland abgegeben als importiert.

Ja, in der Vergangenheit war das Saldo negativ. Unsere Nachbarn haben Strom nachgefragt, den haben wir über die Grenze geliefert. Dafür wurde auch Strom aus anderen Bundesländern nach Baden-Württemberg transportiert und über die Grenze weitergeleitet. Importe sind notwendig, um Kapazitätsschwankungen auszugleichen. Das ist ein steter Austausch in beide Richtungen, der auch von der Tages- und Jahreszeit abhängt. Bei der Kältewelle im Januar 2017 war Frankreich beispielsweise auf Importe aus Baden-Württemberg und anderen Ländern angewiesen, um genug Heizstrom bereitzuhalten. Österreich speichert Strom in Pumpspeicherkraftwerken und verkauft ihn dann wieder. Über das deutsche Stromnetz bekommen wir nicht genug Windstrom in den Süden. Um das zu ändern, werden ja gerade die großen Gleichstromübertragungsleitungen Ultralink und Südlink geplant.

Wie hat sich die Situation nach der Abschaltung von Philippsburg verändert?

Wir müssen mehr importieren, zusätzlich hält der Übertragungsnetzbetreiber Ausgleichsmaßnahmen bereit, in Baden-Württemberg ist das die Transnet BW.

Mit Ausgleichsmaßnahmen meinen Sie alte Kohle- und Gaskraftwerke, die eigentlich schon stillgelegt sind, aber als Netzreserve betriebsbereit erhalten werden?

Dieser Kraftwerkspool ist eine der Möglichkeiten, um das Netz stabil zu halten. Alternativ könnte die Transnet zum Beispiel Pumpspeicherkapazitäten in Österreich oder zusätzliche Kapazitäten aus dem Ausland reservieren. Welche Möglichkeit sie wählt, wird davon abhängen, wo im Land der Strom gebraucht wird und ob der Engpass vorhersehbar war. Die Transnet plant ja Wochen im Voraus, wann ein Kraftwerk einsatzbereit sein soll und lässt es dann hochfahren. Im letzten Winter wurden die Reservekraftwerke übrigens weniger eingesetzt, weil die Thüringer Strombrücke, eine Hochspannungsleitung, vollständig in Betrieb genommen wurde. Das hat die Situation in Süddeutschland deutlich entspannt.

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