Russland:Höchste Zeit für eine Zäsur

Wirtschaftsflaute, sinkende Einkommen, marode Schulen: Die Unzufriedenheit im Land ist nicht mehr zu ignorieren. Putin muss handeln - und der zurückgetretene Ministerpräsident Medwedjew ist offenbar sein Bauernopfer.

Von Frank Nienhuysen

Einmal im Jahr spricht Russlands Präsident vom Kreml aus staatsmännisch an die Nation. Die Bilanzen fallen dabei in der Regel sehr viel schöner aus, als die Menschen die Lage des Landes wahrnehmen. Wirtschaftsflaute, gesunkene Realeinkommen, baufällige Krankenhäuser und Schulen sind für viele Menschen in Russland gefühlter Alltag. Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew ist deshalb schon lange einer der unbeliebtesten Führungspolitiker, aber seit geraumer Zeit sind auch die Werte für Kremlchef Wladimir Putin gesunken.

Nun soll mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Medwedjew und seiner Regierung offenbar ein Zeichen der Veränderung gesetzt werden. Der Ärger in der Bevölkerung ist schwer zu ignorieren. Es gab nicht nur die großen Sommerproteste in Moskau, sondern auch Unmutsbekundungen in vielen Ecken der Provinz. Die Gelegenheit für eine personelle Zäsur ist also günstig. Im nächsten Jahr finden Parlamentswahlen statt, und Medwedjews Regierungspartei ist so unbeliebt wie nie.

Die von Putin angestoßenen Verfassungsänderungen samt Referenden sollen die Bevölkerung nun mehr einbeziehen, besänftigen und das Parlament stärken. Das ist klug, aber nicht entscheidend. Die russische Verfassung ist schon jetzt gut, das Problem ist, dass es an Pluralismus und Opposition mangelt.

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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