Kohlekompromiss:Der große Ausstieg

Braunkohlekraftwerk Schkopau

Eines der letzten: Das Braunkohlekraftwerk Schkopau in Sachsen-Anhalt muss erst 2034 vom Netz.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Die ersten Kraftwerke gehen im Westen vom Netz, der Osten folgt später. Das Ergebnis der Einigung ist kompliziert - und nicht billig. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Michael Bauchmüller und Jan Heidtmann, Berlin, und Benedikt Müller, Düsseldorf

Jahrelang haben Politiker, Verbände und Unternehmen verhandelt, allein der Bericht der sogenannten Kohlekommission füllte fast 280 Seiten. Das zeigt, wie kompliziert der Ausstieg aus der Kohle ist und wie viele Interessen berücksichtigt werden müssen. Nun haben Bund und Länder eine Einigung erzielt. Billig ist der Kompromiss nicht: Mehr als 40 Milliarden werden im Zuge des Ausstiegs verteilt. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie schnell werden nun welche Kohlekraftwerke stillgelegt?

Das erste Braunkohlekraftwerk soll noch in diesem Jahr, am 31. Dezember, abgeschaltet werden. Bis Ende 2022 werden es dem Stilllegungsplan zufolge acht Blöcke sein, alle liegen im Rheinland. Sie gehören zu den ältesten Kraftwerken in Deutschland, mithin auch zu den dreckigsten. Parallel will der Bund in Ausschreibungen festlegen, welche Steinkohlemeiler vom Netz gehen sollen: Wer die niedrigste Entschädigung akzeptiert, soll Vorrang bekommen. Bis Ende 2029 folgen jedenfalls weitere elf Braunkohlekraftwerke (siehe Karte), alle verbleibenden Meiler bis 2038. Mit dem Aus für relativ junge Blöcke wie Boxberg R in der Lausitz am 31.12.2038 wäre die Kohleverstromung in Deutschland zu Ende. 2029 soll geprüft werden, ob das Ende auf 2035 vorgezogen werden kann. Dieser präzise Plan zur Stilllegung ist das eigentlich Neue an der nun getroffenen Vereinbarung. Sie soll Ende Januar als Gesetz in den Bundestag eingebracht werden.

Wer bekommt dafür wie viel Geld - und was bedeutet das für die Regionen?

Insgesamt sollen die betroffenen Regionen bis 2038 mit bis zu 40 Milliarden Euro unterstützt werden, um sich aus der Abhängigkeit von der Kohle zu lösen. Die Summe setzt sich aus 14 Milliarden Euro Bundeshilfen für die betroffenen Länder und 26 Milliarden für direkte Investitionen des Bundes zusammen. Allein für Brandenburg bedeutet dies Jahr für Jahr mehr als eine halbe Milliarde Euro. Damit soll die Region Lausitz etwa zum Gesundheitsstandort ausgebaut werden. Auch im Rheinischen Revier werden die Braunkohletagebaue nun deutlich früher stillgelegt werden. Teil des Kompromisses ist, dass der Betreiber RWE das verbliebene Stück des Hambacher Forstes nicht roden wird. Im Gegenzug darf der Konzern den nahen Tagebau Garzweiler wie geplant ausbauen und dafür auch fünf weitere Dörfer umsiedeln. Die Region hat ein Wirtschafts- und Strukturprogramm für eine Zukunft ohne Kohle beschlossen, unter anderem mit mehr erneuerbaren Energien und Speichern.

Was bedeutet dies für die Beschäftigten?

Noch arbeiten bundesweit gut 20 000 Menschen in Braunkohletagebauen und Kraftwerken; hinzu kommen Tausende weitere Beschäftigte bei Zulieferern und in Steinkohlekraftwerken. Diese Arbeitsplätze werden nach und nach verschwinden. "Wir gehen davon aus, dass bereits kurzfristig über 3000 Stellen wegfallen werden", sagt RWE-Chef Rolf Martin Schmitz. Insgesamt werde Deutschland größter Braunkohle-Verstromer 6000 Arbeitsplätze bis 2030 abbauen. Man wolle die Umsetzung sozial verträglich gestalten, so Schmitz.

Hierfür kündigt die Bundesregierung ein Anpassungsgeld für ältere Beschäftigte der Branche an, das bis 2043 gezahlt werden soll. So können Mitarbeiter die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken. Ein solches Anpassungsgeld hat es auch gegeben, als in den vergangenen Dekaden nach und nach die Steinkohlenbergwerke im Ruhrgebiet und Saarland schlossen. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) spricht von einem "stimmigen Dreiklang" aus sozialer Absicherung, Investitionen in neue Arbeitsplätze und die Zukunft der Regionen.

Welches politische Echo hat der Kohlekompromiss?

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nennt den Beschluss ein "Paket der Vernunft": Es bringe verschiedene Anliegen wie Klimaschutz oder sicheren Strom für die Industrie zusammen. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke spricht von einem gutem Kompromiss für die Beschäftigten und betroffenen Regionen. "Ich bin froh, dass wir jetzt Sicherheit für alle Seiten haben." Der SPD-Politiker kritisiert jedoch: "Es ist viel zu viel Zeit verstrichen, auch Zeit, die Vertrauen gekostet hat in den Regionen." Der FDP-Energiepolitiker Lukas Köhler kritisiert, die Abschalt-Pläne seien planwirtschaftlich und "sinnlose Milliardengeschenke für die Kraftwerksbetreiber auf Kosten der Steuerzahler". Dank des CO₂-Preises im europäischen Emissionshandel sei der Kohleausstieg ohnehin längst in vollem Gange.

Wie wirkt sich der Plan auf die Strompreise aus?

Mit dem Kohleausstieg steht nun fest, dass sich Deutschland in den nächsten Jahren von gleich drei Energieträgern verabschieden wird: der Braunkohle, der Steinkohle und der Atomenergie. Die letzten Kernkraftwerke sollen hierzulande 2022 vom Netz gehen. Zugleich gehen Experten davon aus, dass die Wirtschaft in Zukunft eher mehr Strom benötigen wird als heute, beispielsweise für Elektroautos, für Wärmepumpen oder für Rechenzentren.

"Wir brauchen jetzt einen massiven Ausbau der Energie aus Wind und Sonne", sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), "damit dieser Ausstieg auch wirklich gelingt." Industrieunternehmen, die viel Strom benötigen und im weltweiten Wettbewerb stehen, befürchten steigende Energiekosten in den nächsten Jahren.

Expertenprognosen kommen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen: Manche sagen bis zu 60 Prozent höhere Großhandelspreise an der Strombörse voraus, andere nur moderate Steigerungen. In jedem Fall macht dieser Großhandelspreis nur knapp ein Viertel der Kosten aus, die Privatkunden für Strom zahlen. Der Rest entfällt auf Netzentgelte, Steuern und die EEG-Umlage. Immerhin: Letztere soll von 2021 an zurückgehen, dies hat die Bundesregierung bereits beschlossen.

Was bringt der deutsche Ausstieg aus der Kohle für den Klimaschutz?

Kein einzelner Bereich der deutschen Wirtschaft emittiert so viele Treibhausgase wie die Energiewirtschaft. Mit 311 Millionen Tonnen Kohlendioxid entfiel 2018 mehr als ein Drittel der Emissionen auf die Kraftwerke. Dadurch allerdings macht sich Klimaschutz hier auch am schnellsten bemerkbar. Denn vor allem die Braunkohle setzt viel CO₂ bei der Verbrennung frei, nach Zahlen des Umweltbundesamtes mehr als 1,1 Kilogramm je Kilowattstunde Strom. Zum Vergleich: Bei der Verbrennung von Erdgas entstehen 374 Gramm, bei Steinkohle 815 Gramm. Eine Rolle spielt dabei das Alter der Kraftwerke. Ältere Kraftwerke haben einen schlechteren Wirkungsgrad, sie holen weniger aus der Kohle raus. Experten verwenden deshalb eine Faustregel: die Stilllegung eines alten Braunkohleblocks bringt je Gigawatt Leistung sechs Millionen Tonnen Einsparung.

Welche Rolle spielt der Emissionshandel beim Ausstieg?

Die Emissionen der Kraftwerke sind im letzten Jahr bereits massiv gefallen - ganz ohne den gesetzlichen Kohleausstieg. Die Stromerzeugung aus Braunkohle brach um 22 Prozent ein, die aus Steinkohle sogar um 31 Prozent. Der Hauptgrund: die Preise im europäischen Emissionshandel. Die Betreiber der Kraftwerke müssen hier für jede emittierte Tonne CO₂ ein Zertifikat vorhalten. Doch eine wachsende Knappheit der Zertifikate hatte deren Preis zuletzt auf rund 25 Euro getrieben. Bei niedrigen Strompreisen lohnte es sich so nicht mehr, Kraftwerke laufen zu lassen - sie hätten sonst Verlust gemacht. Mit dem deutschen Kohleausstieg müssen nun auch Zertifikate dem Markt entzogen werden. Andernfalls würden die Preise für die Zertifikate fallen - und im Ausland würde wieder mehr Kohle in Kraftwerken verbrannt.

Warum geht bald noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz?

Der Energiekonzern Uniper hat im westfälischen Datteln nahe Dortmund von 2007 an ein neues und recht effizientes Steinkohlekraftwerk gebaut. Das Projekt soll bald wie geplant hochfahren. Dahinter steckt vor allem ein fiskalisches Kalkül. Wenn die Politik Datteln 4 gestoppt hätte, wäre eine Milliarden-Entschädigung an Uniper fällig geworden, argumentiert etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Unternehmen wie Uniper sollen nun andere Steinkohlekraftwerke früher stilllegen als bislang geplant. So könnten insgesamt mehr CO2-Emissionen eingespart werden, als wenn Datteln 4 nicht ans Netz ginge, hofft zumindest Laschet.

Umweltschützer bezweifeln dies, da ein modernes Großkraftwerk wie Datteln 4 künftig besser ausgelastet sein dürfte als ältere und kleinere Kohlemeiler. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bezeichnet die Inbetriebnahme daher als "klimapolitische Blamage". Die Organisation will den Protest nun "zum Kraftwerk Datteln 4 und in die Dörfer tragen".

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