Deutsch-türkisches Verhältnis:Erdoğan ist eine zentrale Figur im Libyen-Drama geworden

German Chancellor Angela Merkel visits Istanbul

Erdoğan bei seiner Rede zur Eröffnung des neuen Campus der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul.

(Foto: REUTERS)
  • Mit der Ausrichtung einer weltweit beachteten Konferenz zur Befriedung Libyens ist die Kanzlerin ein Risiko eingegangen.
  • Damit der dort ausgehandelte Plan gelingt, braucht Deutschland die Türkei.
  • Doch es ist unwahrscheinlich, dass der türkische Präsident Erdoğan für seine Kooperationsbereitschaft keine Gegenleistung erwartet.

Von Daniel Brössler, Berlin

Zumindest kann jetzt keiner behaupten, sie hätte nicht gewarnt. "Ich mache mir keine Illusionen; das wird natürlich eine schwierige Wegstrecke sein", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend gesagt, nachdem sich die Teilnehmer ihrer Libyen-Konferenz auf 55 "Schlussfolgerungen" geeinigt hatten, die dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland den Weg zum Frieden ebnen sollen. Es seien nun nicht alle Probleme in Libyen gelöst, man habe nur für einen "neuen Impuls" gesorgt, sagte Merkel.

Wie recht sie damit behalten sollte, zeigte sich binnen Tagen. Am Mittwoch schlugen sechs Raketen auf dem Flughafen Mitiga im Zentrum von Tripolis ein. Der Flugverkehr musste vorübergehend ausgesetzt werden; ein Militärvertreter sprach von einem neuerlichen Verstoß gegen die Waffenruhe durch die Truppen des Generals Khalifa Haftar. Die Botschaft kam an - auch in Berlin. Die Einigung vom Sonntag hat an der Lage in Libyen selbst noch nichts grundlegend verändert.

Auch deshalb ist für Merkel das Gespräch mit dem Mann so wichtig, der am Sonntag als einer der Letzten im Kanzleramt vorfuhr und es auch als Erster wieder verließ: Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei und binnen weniger Monate aufgestiegen zu einer der zentralen Figuren im Libyen-Drama. Auf der Tagesordnung stehen bei den Gesprächen in Istanbul an diesem Freitag zwar alle möglichen Themen, etwa die Lage in Syrien und der europäisch-türkische Flüchtlingsdeal.

Doch nichts ist für Merkel dieser Tage dringender als Libyen. Mit der Ausrichtung einer weltweit beachteten Konferenz ist die Kanzlerin ein Risiko eingegangen. Erfolg und Misserfolg in Libyen gehen von nun an maßgeblich auf das deutsche und ihr persönliches Konto. Es sei nie die Erwartung der Bundesregierung gewesen, dass der Weg, über "Waffenruhe, Waffenstillstand, Waffenembargo hin zu einer politischen Lösung zu kommen, ein völlig gradliniger und ungestörter sein werde", stellte denn auch Regierungssprecher Steffen Seibert noch einmal klar.

Wurde die Übereinkunft, dass niemand mehr Waffen liefert, schon gebrochen?

Allerdings enthält die Vereinbarung der Berliner Konferenz sehr wohl eine Reihe unmissverständlicher Zusagen, etwa jene, sich nun endlich an das seit 2011 geltende Waffenembargo zu halten. Nach Berichten über Flugbewegungen von der Türkei Richtung Tripolis und der Vermutung neuer Waffenlieferungen auch nach der Konferenz gefragt, verwies Seibert darauf, dass ein Ergebnis der Vereinbarungen ja sei, dass man "mit dem Abschlussdokument nicht die Arbeit ruhen lässt, sondern dass man erst richtig in die Arbeit einsteigt". Was in den Gesprächen mit Erdoğan, für die reichlich Zeit veranschlagt ist, dann auch geschehen soll.

Für Merkel geht es darum, einen Plan zu retten, der einfach klingt, in der Umsetzung aber komplex ist. Ziel ist es, die Bürgerkriegsparteien in Libyen zur Räson zu bringen, indem ihre jeweiligen ausländischen Unterstützer ihnen den Nachschub abschneiden. So ist Erdoğans Unterstützung mittlerweile überlebenswichtig für die international anerkannte Regierung von Fayez al-Serraj in Tripolis. Ohne die türkische Schützenhilfe hätte sie sich zuletzt kaum noch des Vormarschs der Truppen von General Haftar in Bengasi erwehren können.

Erdoğan sei während der Beratungen im Kanzleramt konstruktiv gewesen, ist zu hören, doch inwieweit er sich an seinen Teil des Deals hält, dürfte von mehreren Faktoren abhängen. Vor allem auch davon, wie nun seine Gegenspieler im Machtkampf um Libyen agieren. Das gilt insbesondere für Mohammed bin Zayid al-Nahyan, den Kronprinzen von Abu Dhabi und starken Mann der Vereinigten Arabischen Emirate. Ohne die finanzielle und militärische Unterstützung aus den Emiraten hätte es Haftar mit seinen Truppen nicht bis vor die Tore von Tripolis geschafft. Der Kronprinz hatte an der Konferenz zwar nicht persönlich teilgenommen, hatte Merkel aber am Vortag seine Unterstützung zugesagt. Merkels Balanceakt besteht nun darin, den Kronprinzen wie auch Erdoğan an Bord zu halten.

Die Tunesier waren zunächst nicht zur Konferenz geladen. Das fanden sie nicht gut

Der Kanzlerin kommt dabei zugute, dass im Grunde alle Seiten - auch die mit Söldnern ebenfalls Haftar unterstützenden Russen - erkannt haben, dass ein Sieg kaum noch oder nur zu einem verheerenden Preis zu haben ist. So müsste Erdoğan entscheiden, ob er wirklich eine große Konfrontation mit Ägypten riskieren will. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der türkische Präsident für seine Kooperationsbereitschaft keine Gegenleistung erwartet. Themen gäbe es dafür genug.

So soll es bei den Gesprächen auch um den Streit wegen türkischer Gasbohrungen in der Ägäis gehen. Griechenland und Zypern sehen sich durch die Bohrungen in ihren Rechten verletzt und haben dabei die EU auf ihrer Seite. Noch einmal verschärft wurde der Konflikt durch ein Abkommen Erdoğans mit der Regierung in Tripolis zur Ausbeutung von Bodenschätzen im Mittelmeer, das die Interessen Griechenlands und internationales Seerecht ignoriert. Äußerst unwahrscheinlich ist nun, dass Erdoğan einer Friedenslösung für Libyen seine wirtschaftlichen und strategischen Ziele opfert.

Die Probleme beschränken sich allerdings nicht auf die Türkei - und nicht einmal nur auf alle jene, die an der Konferenz von Berlin beteiligt waren. Außenminister Heiko Maas (SPD) flog am Donnerstag nach Nordafrika, um in Libyens Nachbarschaft für die Vereinbarung zu werben. Insbesondere die Regierung Tunesiens war verärgert gewesen, weil sie ursprünglich nicht nach Berlin gebeten worden war. Eine kurzfristige Einladung schlug die Regierung in Tunis dann aus. In Algier traf Maas mit den Außenministern der sechs Nachbarstaaten Libyens zusammen, von denen nur Ägypten und Algerien in Berlin beteiligt gewesen waren. "Die Nachbarstaaten Libyens sind diejenigen, die auch unter diesem Bürgerkrieg leiden", sagte Maas. Deshalb seien sie nun "ganz wichtig auf dem Lösungsweg".

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