Jonathan Franzen zum Klima:Die edlen Milden

Waldbrände in Brandenburg

Der Wald bei Jüterbog - oder das, was nach dem Großbrand im Juni 2019 davon übrig blieb.

(Foto: dpa)
  • In seinem jüngsten Essay schreibt Jonathan Franzen, dass wir uns damit abfinden sollten, dass die Klimakatastrophe nicht mehr abzuwenden sei.
  • Viele werfen ihm deshalb Zynismus und Egoismus vor.
  • Franzen ist jedoch einfach Realist und entwirft aus der Tatsache der anstehenden Erderwärmung eine Ethik des Trotzdem.

Von Alex Rühle

Wenn alles stimmen würde, was momentan über Jonathan Franzen gezetert und geschimpft wird, dann wäre der amerikanische Autor zynischer Defätist, verantwortungsloser Generationsegoist sowie Klimawandelhysteriker und -leugner in einem. Wenn umgekehrt alles stimmen würde, was Jonathan Franzen über Klimaaktivisten schreibt, dann wären diese selbstgerechte Puritaner, Umweltignoranten und unlautere Medienprofis, die allesamt wider besseres Wissen immer noch so tun, als ob man den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen kann. Wer sich still über den ganzen Lärm wundert und wissen möchte, wie es zu diesem überraschenden Frontverlauf kam, der kann nun in einem Rowohlt-Bändchen zumindest so etwas wie Ursachenforschung betreiben.

Franzen veröffentlichte 2015 einen Essay, in dem er erstmals die Dichotomie zwischen "Klimaaktivisten" und "Umweltschützern" aufmachte. Schon die Wortwahl zeigt, auf wessen Seite der begeisterte Hobbyornithologe steht: Aktivisten sind ja gern mal hitzig und aggressiv, wer etwas schützt, ist hingegen sanftmütig bewahrend und selbstlos. Franzen legte nach in Texten, in denen er die Klimaaktivisten als apokalypsegeile, schuldzerfressene Puritaner zeichnete, die immer nur auf die kohleschwarze Zukunft starren, wohingegen die Umweltschützer im Hier und Jetzt Konkretes tun, indem sie sich für Wiesen, Wale oder wie in seinem Fall Vögel einsetzen. Bisheriger Abschluss dieser Texte war ein Essay im New Yorker, der nun auf Deutsch erscheint, angereichert durch ein Interview mit dem Welt-Redakteur Wieland Freund.

Anlass für "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?" war ein Erlebnis im Hitzesommer 2019 in Brandenburg. Eigentlich war Franzen gekommen, um hier Vögel zu beobachten. Dabei erlebte er aber aus nächster Nähe, wie der Naturwald von Jüterbog abbrannte und "erfasste erstmals auch emotional, wie schnell die Katastrophen näherkommen. Ich musste mich damit auseinandersetzen, dass die Klima-Apokalypse womöglich noch zu meinen Lebzeiten eintreten würde."

Es geht nicht darum, in New Yorker Cafés auf Plastikstrohhalme zu verzichten

Seinen Essay eröffnet er mit der These, dass der Klimawandel nicht mehr abzuwenden sei. Schließlich herrsche Konsens in der Klimawissenschaft, dass der Klimawandel, verstärkt durch diverse Rückkopplungsschleifen, nur dann nicht komplett außer Kontrolle gerät, wenn der Temperaturanstieg nicht mehr als zwei Grad beträgt. Um das zu schaffen, müssten die Emissionen innerhalb von drei Jahrzehnten auf null gedrosselt werden. Was nur klappt, wenn ab sofort drakonische Maßnahmen ergriffen werden.

Es geht nicht darum, in New Yorker Cafés auf Plastikstrohhalme zu verzichten, sondern weltweit die Wirtschaft fundamental umzurüsten. Was bedeutet, dass "eine überwältigende Anzahl von Menschen, darunter Millionen Amerikaner, die sich äußerst ungern bevormunden lassen, hohe Steuern und erhebliche Einschränkungen ihres gewohnten Lebensstils hinnehmen, ohne dagegen zu rebellieren." Franzen, wenig überraschend, glaubt nicht, dass das gelingen wird. Ihn aus diesem Grund aber zum Zyniker oder faulen Fatalisten abzustempeln, wie es nun so viele Journalisten und Aktivisten tun, ist schlichtweg falsch.

Pessimist, das vielleicht. Andererseits spricht viel dafür, dass Franzen mit seiner Einschätzung einfach nur Realist ist. In Australien verbrennt eine Fläche von der Größe Portugals, und dennoch wird an der Kohle als Exportgut Nummer eins unbedingt festgehalten. Die Abnehmer dafür werden eher mehr als weniger: Derzeit werden weltweit Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 399 Gigawatt gebaut oder geplant - alle Kohlekraftwerke in Deutschland haben eine Leistung von 45 Gigawatt. Der Tatsache der anstehenden Erderwärmung, so Franzen, kann man nun mit zweierlei Haltungen gegenübertreten: Entweder man leugnet die Dramatik weiterhin. "Oder wir akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird und denken neu darüber nach, was es heißt, Hoffnung zu haben." Er entwirft im Folgenden eine Ethik des Trotzdem. Zum einen, so der pragmatische Strang seiner Argumentation, seien halbe Sachen besser als nichts. Jeder verheerende Wirbelsturm weniger, jedes Jahr relative Klimastabilität mehr ist ein erstrebenswertes Ziel. Außerdem aber, so sein moralphilosophisches Argument, müsse man sein Leben schon deshalb ressourcenschonend gestalten, weil es "schlicht und einfach falsch" ist, "ohne Not Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pumpen."

Franzen sagt also nicht, es sei alles ohnehin egal, wie ihm viele seiner Kritiker vorwerfen. Im Gegenteil, er versucht, ähnlich wie es in jüngster Zeit der Nachhaltigkeitsforscher Jem Bendell ("Deep Adaptation") oder der Journalist David Wallace-Wells ("Die unbewohnbare Erde") versucht haben, die Handlungsoptionen auszuloten, die uns bleiben. Er klingt halb wie ein Psychotherapeut, halb wie ein Anlageberater, wenn er ein "ausbalanciertes Portfolio" empfiehlt, "mit wenigen langfristigen und vielen kurz- bis mittelfristigen Hoffnungen". Was wiederum zu seiner zentralen und leider in ihrer Holzschnittartigkeit etwas bizarren Dichotomie führt: In Franzens Augen hängen alle Klimaaktivisten einem "maßlos optimistischen Szenario" an, nämlich der Begrenzung auf zwei Grad. Die Umweltschützer hingegen versuchen zu retten, was ihnen jeweils am Herzen liegt, ein Stück Natur, eine bedrohte Tierart.

Es gibt harte innerökologische Konflikte: Oft schadet der Umwelt, was dem Klima nutzt

SWITZERLAND JONATHAN FRANZEN

Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen ist weltweit vor allem für seine Romane "Die Korrekturen" und "Freiheit" berühmt. Er ist leidenschaftlicher Vogelbeobachter.

(Foto: picture alliance/KEYSTONE)

Es reicht ja schon, sich die Schilder auf einer durchschnittlichen Freitagsdemo anzusehen, um zu erkennen, dass diese Dichotomie so nicht haltbar ist. Die Demonstranten kommen Woche für Woche zusammen aus Sorge um die Erderwärmung, sind also wohl das, was Franzen Klimaaktivisten nennt, und fordern aber auf ihren Schildern ganz konkret Schutz für Bienen, Habitate für Vögel, saubere Meere, kurzum alles, was Franzen unter Umweltschutz subsumieren würde. Und wahrscheinlich glauben auch nur noch wenige von ihnen tatsächlich an das Erreichen des Zwei-Grad-Ziels. Aber sie stehen halt da, weil es ihnen geht wie Franzen selbst: Lieber irgendwas tun als gar nichts.

Nun gibt es ja tatsächlich harte innerökologische Konflikte zwischen Klima- und Umweltschutz. Die liegen aber nicht im unterschiedlichen Charakter der jeweiligen Aktivisten, sondern in der hochkomplexen Sache selbst. "Klimapolitik ist Landnutzungspolitik. Erneuerbare Energien, ob Biomasse, Windenergie oder Solarenergie, sind Landnutzungstechnologien mit oft sehr hohem Flächenverbrauch. Fläche aber ist knapp. Sie wird für andere umweltpolitische Ziele, für Erholung in nichttechnisierten Landschaften und für den Naturschutz benötigt." Diese Sätze stammen nicht von Franzen, sondern aus einem wohltuend unaufgeregten Essay, den Jens Soentgen soeben im Merkur veröffentlicht hat (Februar 2020, Heft 849). Der Chemiker und Philosoph arbeitet darin mehrere solche Konflikte heraus. Oft schadet der Umwelt, was dem Klima nutzen soll. Maisanbau für Biogas mag klimapolitisch sinnvoll sein, der Biodiversität schadet er.

Soentgen plädiert dafür, derartige innerökologische Konflikte nicht länger zu bagatellisieren oder zu leugnen, sondern zu thematisieren und im besten Fall miteinander zu versöhnen. "Ein neues Denken im Klimadiskurs", so Soentgen, "bedeutet mehr Bewusstsein für die Ambivalenzen unserer Lösungen." Ambivalenzen - damit arbeitet so gut wie jeder gelungene literarische Text. Umso seltsamer, dass gerade Jonathan Franzen in seinem ansonsten unbedingt lesenswerten Essay ein so schwarz-weißes Gemälde von den deppert selbstgerechten Klimaaktivisten und den edlen Umweltbewegten zeichnet.

Jonathan Franzen: "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?" Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Mit einem Interview von Wieland Freund. Rowohlt, Hamburg 2020. 61 Seiten, 8 Euro.

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