Neuer thüringischer Ministerpräsident:Lindners brandgefährliches Problem

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„Eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat“: Thomas Kemmerich (links) ist um einen Spruch selten verlegen – so wie sein Parteichef Christian Lindner. (Foto: Felix Zahn/photothek.net/imago-images)

Thomas Kemmerich spielte in der FDP bislang keine zentrale, aber auch keine unwichtige Rolle. Von seinem Parteichef bekommt er nach der Wahl eine Ansage.

Von Daniel Brössler und Clara Lipkowski

Thomas Kemmerich weiß um den Wert eines markanten Auftretens und einprägsamer Sprüche. Im Thüringer Wahlkampf ist ihm das zugute gekommen, jetzt ist es sein Problem. Die wenigsten haben den Slogan vergessen, mit dem er sich im Wahlkampf von der AfD absetzen wollte: "Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat." Zu sehen war ein Bildnis seines kahlen Hinterkopfes. Nun, da er sich auch mit Stimmen der in Thüringen teils extrem rechten AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen, ist es eine Behauptung, die den FDP-Politiker verfolgen wird - nicht nur auf Twitter, wo das Plakat nach der Abstimmung im Thüringer Landtag zigfach aufs Korn genommen wurde. Auch in der teils fassungslosen eigenen Partei hat er einiges zu erklären.

Kemmerich ist zwar erst der zweite FDP-Mann in der Geschichte der Bundesrepublik, der zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt worden ist. Aber eben auch der erste, der mit den Stimmen einer zumindest in Teilen rechtsradikalen Partei in dieses Amt gekommen ist. So ist für FDP-Chef Christian Lindner zu einem brandgefährlichen Problem geworden, was er am Tag nach der Thüringen-Wahl mit Kemmerich vor den Kameras noch als das erste Comeback der Liberalen in Ostdeutschland gefeiert hatte. "Jede Stimme zählt. Nie war dieser Satz weiser als heute", sagte Lindner damals. Das war auf das knappe Resultat gemünzt, mit der die FDP die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hatte. Auch das lässt sich nun gegen Kemmerich wenden. Auch die Stimmen, die er von der AfD bekommen hat, zählen.

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Der Mann, der bis Mittwoch den meisten Menschen außerhalb Thüringens unbekannt gewesen sein dürfte, spielte bislang in der FDP keine zentrale, aber doch keine unwichtige Rolle. Im Herbst machte der damalige Bundestagsabgeordnete mit einem Brief an Parteichef Lindner auf sich aufmerksam. Darin mahnte er "klare Kante" an und verlangte "Lösungen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen erkennen und anerkennen - auch jenseits urbaner Zentren wie Berlin, Hamburg und Köln".

Im Richtungskampf der Liberalen war das als Appell gegen linksliberale Tendenzen zu verstehen. Der Mann mit den Cowboystiefeln präsentiert sich gerne als bodenständiger Vater von sechs Kindern, spricht viel über Schulpolitik. Und verweist darauf, die Menschen auf dem Land hätten andere Probleme als das Gendern.

Der 54-jährige Jurist stammt aus Aachen, kam als junger Mann nach Thüringen, baute eine Kette mit Friseursalons auf und wurde erst später in der Politik aktiv. Er wurde Kreisvorsitzender der FDP Erfurt, saß im Stadtrat. Von 2009 bis 2014 war er für die FDP im Landtag, 2017 zog er mit den Liberalen in den Bundestag ein, gab das Mandat aber auf, um in Erfurt die FDP-Fraktion zu führen. In den Verhandlungen über eine Regierungsbildung lehnte er beständig eine Zusammenarbeit mit Linken wie auch der AfD ab.

Kemmerich löst Sprachlosigkeit in Bundes-FDP aus

Nun wehrt sich Kemmerich gegen den Verdacht, es könne doch Absprachen mit der Truppe von Björn Höcke gegeben haben. Die "Brandmauer" zu den Extremen stehe. Mit seiner Kandidatur habe er nur das "gute Recht eines Demokraten" wahrgenommen. Die Frage, wie er als Chef einer Partei mit fünf Sitzen im Parlament regieren wolle, wehrt er ab. Er sei nun an CDU, SPD und Grünen, "Ideologie hintanzustellen".

In der Bundes-FDP löst Kemmerich zunächst Sprachlosigkeit, dann Entsetzen aus. Die Partei geriert sich unter Lindner zwar gerne als Streiter gegen politische Korrektheit, will aber auch wahrgenommen werden als liberale Kraft gegen Radikalismus. So findet am Nachmittag eine Schaltkonferenz des Präsidiums statt, an der auch Kemmerich teilnimmt. Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, vor dem am Abend Hunderte Menschen demonstrieren sollten, tritt Lindner mit ernster Miene vor die Kameras und sagt erst einmal einen bemerkenswerten Satz: "Die Landtagsfraktion und Landes-FDP in Thüringen handeln in eigener Verantwortung." Im Geschäftsleben wäre das der Disclaimer, also der Haftungsausschluss. Lindner möchte für die Wahl Kemmerichs nicht in Mithaftung genommen werden, weiß aber, wie illusorisch das ist.

So versucht er einen Spagat aus Unterstützung und Distanz. Kemmerich habe die FDP als "Partei der Mitte" zurück in den Landtag geführt, sagt er. Und betont: "Freiheit und Weltoffenheit jenseits von AfD und Linkspartei sind unser Wählerauftrag." Die Unterstützung durch die Union sei "nachvollziehbar", die durch die AfD hingegen überraschend und habe nichts mit Übereinstimmung in der Sache zu tun. "Diese FDP verhandelt und kooperiert mit der AfD nicht. Es gibt keine Basis für eine Zusammenarbeit." Vorsitzender einer FDP, die eine "wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD nicht klar ausschließt", könne er nicht sein. Das ist die Ansage. Sie gilt vor allem dem Mann mit der Glatze.

Vizefraktionschef Alexander Lambsdorff geht Kemmerich wenig später direkt an. "Man lässt sich nicht von AfD-Faschisten wählen", schreibt er auf Twitter. Und wenn es doch passiere, "nimmt man die Wahl nicht an."

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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