Steuer:Justiz rechnet mit Prozessflut wegen Cum-Ex

Richterrobe und Akten

Verstärkung wird gebraucht: Die Justizbehörden in NRW rechnen nach dem ersten Cum-Ex-Urteil mit einer Prozessflut.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)
  • Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen stellen sich nach Informationen von SZ und WDR auf eine wahre Prozessflut ein, die nach dem ersten Urteil zu erwarten ist.
  • Die Behörden wollen deshalb neue Kapazitäten schaffen. Allein das Landgericht Bonn geht davon aus, mit Cum-Ex-Fällen bis zu zehn Strafkammern auszulasten.

Von Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, Frankfurt/Köln

Sie waren die Ersten, aber nur zwei von sehr vielen, und bald wird das zu erwartende Urteil gegen Martin S. und Nick D. am Anfang einer langen Reihe von Richtersprüchen gegen Finanzprofis stehen. Am Landgericht Bonn wird noch einige Wochen verhandelt, bis klar ist, ob und wie S. und D. bestraft werden. Aber schon jetzt ist offensichtlich: Dieses Verfahren ist der Nukleus für eine Reihe von Prozessen wegen Cum-Ex-Aktiengeschäften, die das Landgericht in der Bundesstadt noch Jahre beschäftigen werden.

Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und WDR stellen sich die Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen auf eine wahre Prozessflut ein, die nach dem ersten Urteil zu erwarten ist. Demnach rechnet das Landgericht Bonn damit, allein mit Cum-Ex-Fällen bis zu zehn Strafkammern auszulasten. Vor der ersten wird derzeit verhandelt, und in wenigen Monaten könnten zwei weitere Kammern hinzukommen. Jede Strafkammer besteht aus drei Richtern und zwei Schöffen. Im vergangenen Jahr hatte das Düsseldorfer Justizministerium die Kapazitäten der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungen in diesem Steuerskandal verdoppelt - nun soll es auch am Landgericht an nichts fehlen.

Als Nächstes sollen frühere und aktuelle Beschäftigte der Privatbank Warburg angeklagt werden

Das wäre ein in der Geschichte der bundesdeutschen Justiz einmaliger Vorgang. Noch nie haben Gerichte nur wegen einer Reihe verwandter Strafverfahren derart viele Kapazitäten geschaffen. Die Botschaft ist eindeutig: Wer wegen Cum-Ex-Steuervergehen verdächtigt wird, kann nicht auf Engpässe bei Gericht hoffen. Und die Verfahren sollen sich nicht zu lange hinziehen oder anstauen. Die Landesregierung bestätigte die Informationen: In Bonn laufe es darauf hinaus, dass, "wenn alles, was wir gegenwärtig ermitteln, als Anklage erhoben wird, möglicherweise in den nächsten Jahren bis zu zehn Kammern notwendig sind", sagt Landesjustizminister Peter Biesenbach (CDU). "Sollte es so sein, dann werden die Kammern auch entstehen", verspricht er. Geht es nach ihm, sollen möglichst alle Verdachtsmomente aufgegriffen und so viele Fälle wie möglich aufgeklärt werden. Sobald das erste Urteil gesprochen sei, wisse man, in welche Richtung es gehe, sagt der Minister. Wenn der BGH dann in der Revision entschieden habe, "dann werden wir - salopp gesagt - wie am Fließband Anklagen erheben können."

Seit Ende 2012 ermitteln Staatsanwälte und Steuerfahnder quer durch die Republik wegen dieser Art von Börsengeschäften, die allein den Zweck haben, sich Steuergutschriften zu erschleichen. Von 2006 bis einschließlich 2011 sollen sich Banken, Börsenhändler, Anwälte und weitere Akteure beim Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende am Steuergeld in mehreren europäischen Ländern bereichert haben. Teils gehen die Geschäfte in veränderter Form bis heute weiter, vermuten Ermittler. Allein dem deutschen Fiskus ist ein Milliardenschaden entstanden.

Den weitaus größten Teil der Ermittlungen führt die Staatsanwaltschaft Köln, die schwerpunktmäßig für Wirtschaftsstrafsachen zuständig ist. Mehr als 600 Beschuldigte führt die Behörde nach siebenjährigen Ermittlungen in Sachen Cum-Ex. Mit jeder Durchsuchung, mit jeder neuen Zeugenaussage wurden es mehr. In die Zuständigkeit der Kölner fällt auch das Bundeszentralamt für Steuern mit Sitz in Bonn, das sich um die Steuerdinge von ausländischen Unternehmen kümmert. Und deshalb werden die meisten Anklagen auch zum Landgericht Bonn als erster Instanz erhoben. Dort war 2018 die 12. Strafkammer eigens wegen Cum-Ex entstanden.

Mit Blick auf das baldige erste Urteil bereiten die Strafverfolger weitere Anklagen vor. Nach Informationen von SZ und WDR sollen in Bonn als Nächstes frühere und aktuelle Beschäftigte der Hamburger Privatbank Warburg angeklagt werden. Warburg ist zwar nicht mit Angeklagten, aber mit zwei Gesellschaften bereits am ersten Bonner Prozess beteiligt und wehrt sich derzeit gegen die mit einem Urteil drohende Einziehung von insgesamt 278 Millionen Euro. Die Bank hat von Anfang an jegliches strafbare Verhalten ihrer Mitarbeiter und Eigentümer bestritten.

Einige der anderen Beschuldigten haben dagegen ausführlich beschrieben, in welcher Form sie an den Geschäften beteiligt waren und haben die Ermittlungen unterstützt, darunter auch die beiden Angeklagten S. und D. So erhielten die Ermittler im Rheinland nach und nach das Bild einer Kategorie mutmaßlich krimineller Börsengeschäfte, die ein industrielles Ausmaß angenommen hatten. Bei denen internationale Großbanken beteiligt waren und kleine Investmentfonds, in die heutige Top-Manager und Bankvorstände genauso involviert waren wie reiche Privatleute und einfache Bankhändler.

Im vergangenen März hatten SZ und WDR berichtet, wie die Ermittler dabei an Grenzen stießen. Noch heute kämpfen Staatsanwaltschaft, Polizei und Steuerfahndung darum, neue Fälle aus den Jahren 2010 und 2011 aufzudecken, um die zehnjährige Verjährungsfrist zu unterbrechen. Gerade einmal 15 Steuerfahnder und eine Handvoll Polizeibeamter waren mit der wachsenden Zahl an Fallkomplexen betraut.

Inzwischen seien 23 Beschäftigte der Steuerfahndung in NRW mit den Fällen befasst, heißt es beim Finanzministerium in Düsseldorf. "Daneben tragen auch weitere Stellen der Finanzverwaltung zur Aufdeckung und Aufarbeitung von Cum-Ex-Fällen bei", teilt ein Sprecher auf Anfrage mit.

Die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Engpässe hatte nicht zuletzt Justizminister Biesenbach veranlasst zu handeln. Kurz nach der Sommerpause versprach er im vergangenen Jahr, die Zahl der Staatsanwälte zu verdoppeln. Tatsächlich ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln inzwischen mit zehn Planstellen in einer eigenen Abteilung unter Leitung der Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. 2013 ermittelte sie noch allein, bis 2019 waren es inklusive ihr 4,7 Stellen. Staatsanwaltschaft und Justizministerium verwiesen im Spätsommer darauf, das sei "auskömmlich" gewesen. Erst nach einigen Jahren habe man erkannt, welche Dimension die Cum-Ex-Geschäfte hatten und daraufhin reagiert.

Das wirkt sich nun auch am Landgericht Bonn aus. Die steuerstrafrechtlichen Fragen sind in fast allen Verfahren ausgesprochen knifflig; jedes einzelne ist so kompliziert und so umfangreich wie andere große Wirtschaftsstrafverfahren. Aber an der Personalausstattung, so die politische Absicht, soll kein Prozess scheitern.

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