Ministerpräsidentenwahl in Thüringen:Erfurter Befreiungsschlag

Mit Mühe gelingt es den Parteien im Thüringer Landtag, in Bodo Ramelow einen arbeitsfähigen Regierungschef zu installieren. Von stabilen politischen Verhältnissen aber dürfte das Land noch weit entfernt sein.

Von Ulrike Nimz, Erfurt

Es ist noch früh am Tag, als ein Bombenspürhund namens Berri fröhlich hechelnd durch den Erfurter Plenarsaal streunt, vorbei an den Bänken der FDP, hinüber zu den Plätzen der AfD-Fraktion, dann mit wedelndem Schwanz eine Runde ums Rednerpult herum. Auf den Tag genau vier Wochen ist es her, dass Susanne Hennig-Wellsow, Landes- und Fraktionschefin der Linken, hier einen Blumenstrauß vor die Füße des FDP-Mannes Thomas Kemmerich warf. Kurz zuvor war tatsächlich eine politische Bombe hochgegangen im Erfurter Landtag, doch Berri bleibt maximal unbeeindruckt. "Alles sicher", sagt das Herrchen in Uniform. Doch was ist schon sicher in Thüringen?

Das kleine Bundesland ist zuletzt mit allerlei Katastrophenbildern bedacht worden: Von Dammbruch war die Rede, von einem Beben, einem Sturm. Am Dienstag kam dann auch noch das Wort Epidemie hinzu. Ein Abgeordneter der CDU-Landtagsfraktion war mit einem Corona-Infizierten aus dem Saale-Orla-Kreis in Italien Ski gefahren und vorsorglich unter Quarantäne gestellt worden. Für ein paar Stunden sah es so aus, als würde die Erfurter Regierungskrise von einer noch größeren Krise geschluckt. Am Abend dann Entwarnung. Der Mann ist gesund, wenn diese Ministerpräsidentenwahl scheitert, dann immerhin nicht aus medizinischen Gründen.

Die Lust auf fraktionsübergreifendes Händeschütteln dürfte in letzter Zeit ohnehin begrenzt gewesen sein. Zu viel ist vorgefallen, seit der Chef einer Fünf-Prozent-Partei mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. In Berlin hat die CDU-Bundesvorsitzende ihren Rückzug angekündigt, Männer aus Nordrhein-Westfalen ringen um die Nachfolge Annegret Kramp-Karrenbauers und die ganze Partei um ihr Verhältnis zu den sogenannten "politischen Rändern".

Die Sitzung beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer von Hanau

Dabei steht Bodo Ramelow doch im Zentrum, vor allem, wenn es um Aufmerksamkeit geht. Zehn vor zwei betritt der Kandidat von Kameras umringt das Landtagsrund, um der Nachfolger seines Nachfolgers zu werden. Am Morgen hatte er angekündigt, falls nötig, in allen drei Wahlgängen zur Verfügung zu stehen. Er werde die Abgeordneten der CDU um "konsequente Stimmenthaltung" bitten, sagte Ramelow der Thüringer Allgemeinen. "Heute ist kein Tag der Prinzipienreiterei, heute ist der erste Tag zu einer neuen Stabilität." Das Chaos sei schon groß genug.

Die Lage in all ihrer Vertracktheit: Seit der Landtagswahl Ende Oktober verfügen die Koalitionsparteien Linke, SPD und Grüne nur noch über 42 der 90 Abgeordneten im Thüringer Landtag. AfD, CDU und FDP kommen gemeinsam auf 48 Sitze. Für die Wahl des Ministerpräsidenten ist in den ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit von 46 Landtagsmitgliedern nötig. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit, gewählt ist der Kandidat mit "den meisten Stimmen". Anfang Februar hatte Ramelow im dritten Wahlgang 44 Stimmen erhalten. Kemmerich kam auf 45 - mit Unterstützung der AfD.

Dieses Mal heißt Ramelows Gegner Björn Höcke. Politiker, Journalisten, alle erwarten seit Tagen eine erneute Taktikschlacht; und es war einmal mehr Susanne Hennig-Wellsow, die die Lage auf den Punkt brachte: "Ich denke, da muss man mit allem rechnen. Die Fiesheit der AfD kennt keine Grenzen."

Die historische Sitzung beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags von Hanau. "Rechtsextremismus und Fremdenhass haben in dieser Gesellschaft keinen Platz", sagt Landtagspräsidentin Birgit Keller. Es folgt der erste Wahlgang: Die CDU enthält sich geschlossen, die AfD wählt Höcke, Linke, SPD und Grüne stimmen für Ramelow. Die Liberalen bleiben einfach sitzen - und Überraschungen vorerst aus.

Vor dem Wahltag hatten die Fraktionen multiple Szenarien durchgespielt. Die FDP kündigte an, die eigenen Stimmen ungültig zu machen. Man wolle nicht in Verdacht geraten, Ramelow oder Höcke zu wählen, hieß es. So als gebe es keinen Unterschied zwischen Thüringens beliebtestem Politiker und einem gerichtlich verbrieften Faschisten. Auch der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, hatte den Thüringer Parteikollegen den Boykott der Wahl nahegelegt. Mario Voigt, Fraktionschef in Erfurt, wies den Ratschlag aus Berlin strikt zurück. Abgeordnete seien nicht gewählt, "um sich aus der Verantwortung zu stehlen".

AfD-Fraktionschef Höcke läuft diesmal mit seiner Strategie in Leere

Der selbstauferlegte Unvereinbarkeitsbeschluss verbietet den Christdemokraten jede Zusammenarbeit mit der Linken oder der AfD. In Thüringen, wo beide Parteien besonders stark sind, hat das zu beispiellosen politischen Verrenkungen geführt, bei denen eine weitere Karriere zu Bruch ging: die Mike Mohrings. Am Montag hatte er seine Ämter als Fraktions- und Landesvorsitzender niedergelegt, auf Druck aus den eigenen Reihen. Nachfolger Voigt, Hochschulprofessor aus Jena, hat gemeinsam mit Vertretern von Rot-Rot-Grün und drei Parteikollegen den "Stabilitätsmechanismus" ausgehandelt, der verknappt folgenden Deal beinhaltet: Die Union lässt Ramelow - wie auch immer - Regierungschef werden und entgeht so einer schnellen Neuwahl, die wohl mit deutlichen Mandatsverlusten für sie verbunden wäre.

Vor dem Landtag hat sich derweil eine kleine Demo formiert, die "Omas gegen rechts" sind dabei, man hört die Trillerpfeifen bis in den Plenarsaal. Vor den Fenstern wehen Antifa-Fahnen. Dann lassen sie die Rollos herunter. Der zweite Wahlgang bringt dasselbe Ergebnis wie der erste.

Die AfD hatte Stimmen für Ramelow zuvor ausgeschlossen. Anders als der damalige Kandidat Christoph Kindervater wollte Höcke kein Strohmann sein. Am Dienstagabend hatten sich mehrere Hundert AfD- Anhänger mit Teelichtern und Deutschlandfähnchen vor dem Landtag versammelt. Man wolle "ein Licht für die Demokratie" entzünden, hieß es. Mit seiner Kandidatur nahm Höcke die gespaltene CDU ins Visier, wollte das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten von CDU und FDP trotz geheimer Wahl nachvollziehbar machen, das bürgerliche Lager des Wortbruchs überführen. Beide Absichten laufen ins Leere. An diesem Tag heißt der Verlierer Björn Höcke, seine Partei zieht den Kandidaten im dritten Wahlgang zurück.

Thüringens neuer Ministerpräsident heißt Bodo Ramelow. Diesmal ist es Kemmerich, der Blumen überreicht. Und dann schütteln beide Männer einander doch noch ausdauernd die Hände. "In jeder Krise liegt auch eine Chance", sagt Ramelow in seiner ersten Rede als neuer alter Landesvater. Höckes Hand ergreift er nicht.

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