Krankenhäuser:"Jeder rechnet damit, dass es in seiner Schicht losgeht"

Krankenhäuser: Schwierige Eingriffe wie ein Intubation, das Einführen eines Beatmungsschlauchs also, werden an den Ruppiner Kliniken an Simulationspuppen geübt.

Schwierige Eingriffe wie ein Intubation, das Einführen eines Beatmungsschlauchs also, werden an den Ruppiner Kliniken an Simulationspuppen geübt.

(Foto: PRO Klinik Holding GmbH)

Viele Kliniken in Deutschland sind dabei, zusätzlich Platz für Corona-Patienten zu schaffen. In Neuruppin ist man bereit, es herrscht angespannte Ruhe - und die Frage: Reichen die Kapazitäten aus?

Von Boris Herrmann, Neuruppin

Julika Schön hat das schon unzählige Male gemacht mit diesem Beatmungsgerät. Eine Intubation, also das Einführen eines Schlauchs in die Luftröhre eines Patienten, ist für sie ein Routineeingriff. Eigentlich. Sie sagt: "Wenn man einen Covid-Notfall intubieren muss, begibt man sich auch als Arzt in eine große Gefahr, weil die Patienten dabei sehr viel infektiöses Aerosol ausstoßen."

Schön ist die Chefärztin für Anästhesie und Intensivmedizin der Ruppiner Kliniken im brandenburgischen Neuruppin. Sie sagt, man müsse sich bei Covid-Fällen auch als erfahrener Mediziner Schritt für Schritt bewusst machen, wie das abzulaufen habe: Im Isolierzimmer den Schutzanzug anziehen, den Patienten extrem tief in Narkose legen, so tief, dass wirklich kein einziger Hustenstoß passiert, mit Hilfe eines Monitors aus größtmöglichem Abstand den Schlauch einführen. "Es ist eine heikle Situation, das muss dann auch klappen", sagt Schön. Sie hat das mit ihrem Team gerade ein paar Mal geübt - an einer Simulationspuppe.

Schön befindet sich hier im Kellergeschoss des Krankenhauses, in einer Covid-Intensivstation im Wartemodus. Die gemachten Betten sind noch mit Plastikfolien überzogen. Die Geräte blinken schon. Alles ist bereit, jetzt fehlen noch die Patienten. Schön sagt: "Es herrscht eine angespannte Ruhe. Jeder rechnet damit, dass es in seiner Schicht losgeht."

Die Intensivstationen im Land sind schon im Normalbetrieb ausgelastet

Das Robert-Koch-Institut warnte bereits vor einem Szenario mit bis zu zehn Millionen Corona-Infektionen in Deutschland bis Mai. Man kann anhand von Statistiken in etwa runterbrechen, wie viele davon auf einer Intensivstation liegen müssten. Auch deshalb sind der Politik gerade sehr viele Mittel recht, um zu verhindern, dass dieses Szenario eintritt. Unter anderem hat die Bundesregierung in einem "Grobkonzept Infrastruktur Krankenhaus" notwendige Schritte aufgelistet, die einem Kollaps der Gesundheitsversorgung vorbeugen sollen. Alle Kliniken, heißt es da, "sollten ihre Lagerbestände, Altbestände und Keller durchforsten nach Gerät (Betten, Liegen, EKGs, Beatmung etc.), das im Fall der Fälle genutzt werden kann". Man ahnt, wie ernst die Lage ist, wenn das Kanzleramt schon die Chefärzte in die Krankenhauskeller hinab schickt, um dort mal ein bisschen zu entrümpeln.

Die Ruppiner Kliniken sind da wohl eine spezielle Fundgrube. Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier die "Landesirrenanstalt" eingerichtet. Heute befindet sich eine moderne Universitätsklinik in den historischen Gemäuern, vieles steht unter Denkmalschutz, etwa die Kegelbahn im Fachwerkstil. Die Chefärztin Julika Schön hat hier nicht nur den Keller nach Gerät durchforstet. Sie hat den ganzen Keller reaktiviert. Sie sagt: "Wir befinden uns in einem Zustand vor dem Tsunami, wenn sich das Wasser zurückzieht, und noch niemand abschätzen kann, ob die Wälle halten."

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Am Beispiel dieser Klinik zeigt sich ein Dilemma, vor dem viele Krankenhäuser im Land stehen: Die Intensivstation ist schon im Normalbetrieb voll ausgelastet. Schön rechnet aber damit, dass bei ihr spätestens ab Ende dieser Woche zusätzlich die ersten Covid-Notfälle eingeliefert werden. Deshalb die Idee, auch die alte, bereits stillgelegte Intensivstation wieder in Betrieb zu nehmen. Und weil man immer noch nicht sicher war, ob das ausreicht, wurde nun ein kompletter Gebäudekomplex zur Covid-Isolierstation erklärt, mit separater Notaufnahme, um die "Patientenströme voneinander zu trennen".

Die Ruppiner Klinik ist kein Provinzkrankenhaus - nur weil sie in Brandenburg steht. Sie liegt mit ihren gut 800 Betten deutlich über der bundesweiten Durchschnittsgröße. Es will was heißen, wenn hier bei laufendem Betrieb ganze Gebäude umgeräumt werden. Die Bundesregierung will die Intensivkapazitäten verdoppeln. Neuruppin schafft seinen Plan, von 20 auf 32 Intensivbetten aufzustocken. Mehr geht nicht. Schön sagt: "Es nützt ja nichts, nur ein Gerät hinzustellen und dem Patienten einen Schlauch in den Hals zu stecken. Genauso dringend ist die Frage, wer diese Menschen dann pflegt."

In ihrer Not denken manche Kliniken schon daran, selbst Schutzmasken zu nähen

Schön hat interne Rekrutierungslisten erstellt: Wer könnte sofort auf einer Intensivstation arbeiten? Wer hat zumindest in seiner Ausbildung schon einmal damit Erfahrungen gemacht? Wer ist in anderen Stationen entbehrlich? In der Unfallklinik, sagt Schön, werde noch mit der normalen Mannschaftsstärke weiteroperiert: "Aber da muss ich auch sagen: noch. Weil wir ja nicht wissen, wie groß der Tsunami wird."

Auch in anderen Kliniken wissen sie das nicht. Schön kommt gerade von einer Telefonkonferenz mit Berliner Intensivstationen. Die große Sorge sei das fehlende Material. Es ging auch um die Frage: "Werden wir nächste Woche noch Masken haben?" Manche Kliniken würden bereits darüber nachdenken, selbst welche zu nähen.

Der andere Engpass, das sind die Beatmungsgeräte. Neuruppin besitzt vier Stück, und dabei wird es wohl auch bleiben. Die Hersteller kommen mit den Bestellungen nicht mehr nach. Wenn aber in diesen Tagen über die Frage von Leben und Tod gesprochen wird, dann lässt sich um die Zahl der verfügbaren Beatmungsgeräte nicht herumreden. Bei Covid-Patienten kollabieren die Lungenbläschen, so Schön, das müsse aufgehalten werden durch einen besonders hohen Beatmungsdruck, den nur diese Geräte schaffen: "Sie generieren den Atem und ersetzen die Lunge."

Vermutlich werden viele Deutsche das bald notgedrungen näher kennenlernen. Die große Frage ist: wie viele? Julika Schön bereitet sich gedanklich auch schon auf eine Situation vor, in der ihre vier Beatmungsgeräte nicht ausreichen, in der sie entscheiden müsste, welcher Patient beatmet wird und welcher nicht. Sie werden dafür in der Klinik klare Kriterien definieren. Aber Schön will darüber erst dann mit ihrem Personal sprechen, wenn es tatsächlich zu "diesem Katastrophenfall" kommt. Sie sagt: "Das würde die Mitarbeiter im Moment eher verschrecken. Ich versuche sie zu motivieren, dass wir in der Lage sind, das zu beherrschen."

Zur SZ-Startseite
The head of the Robert Koch Institute Lothar Wieler addresses a news conference on the coronavirus disease (COVID-19) in Berlin

Infektionszahlen in Deutschland
:Das Schlimmste ist noch nicht geschafft

Die Zahl der bestätigten Corona-Fälle steigt etwas langsamer, doch an den Ausgangsbeschränkungen liegt das eher nicht. Die Ausbreitung der Epidemie lässt sich womöglich kaum noch anhand der Infektionszahlen messen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: