Wirtschaftspolitik:Globalisierung lässt sich nicht einfach zurückdrehen

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Die Welthandelsorganisation WTO erwartet einen dramatischen Rückgang des weltweiten Austauschs von Waren und Dienstleistungen.

(Foto: Bloomberg/Illustration: SZ.de)
  • In der Krise glauben viele, dass ein wenigstens teilweiser Rückzug aus der Globalisierung die Lösung ist.
  • Die Krise führt laut Welthandelsorganisation zu einem dramatischen Rückgang des weltweiten Austauschs von Waren und Dienstleistungen.
  • Viele Produkte deutscher Maschinenbauer sind so spezialisiert, dass es für sie nur einen Weltmarkt oder aber gar keinen Markt gibt.

Von Nikolaus Piper

Soll niemand sagen, es habe keine Warnungen gegeben. Sechs Jahre ist es her, da veröffentlichten Ian Goldin, Professor in Oxford, und Mike Mariathasan, heute Juniorprofessor in Leuven, ein Buch unter dem Titel "The Butterfly Defect" ("Der Schmetterlings-Defekt"). Das ist ein Wortspiel mit dem Begriff "Schmetterlingseffekt". Den verwenden Wissenschaftler, wenn sie beschreiben wollen, dass in komplexen Systemen kleine Ursachen völlig unvorhersehbare Folgen haben können: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann einen Tornado in Texas auslösen. Und das ist nicht nur abstrakte Theorie. Die globalisierte Wirtschaft von heute, so schrieben Goldin und Mariathasan, ist so ein komplexes System geworden, in dem nicht vorhersagbare Dinge passieren, zum Beispiel Finanzkrisen und eben Pandemien.

Darauf muss die Welt sich einstellen. Heute sind Goldin und Mariathasan gefragte Leute. Als Experten, die schon 2014 einen Zusammenhang zwischen der Ausbreitung von Viren und der Globalisierung gesehen haben. "Die Globalisierung hat immens viel Gutes bewirkt", sagt Goldin. "Aber sie birgt systemische Risiken, mit denen wir bisher nicht umgehen können." Ein Beispiel dafür war die Finanzkrise von 2008/2009, ein zweites ist jetzt die Corona-Epidemie.

Bedeutet Corona das Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen? Manche glauben das. Man müsse sich fragen, "ob wir die Globalisierung ein Stück überdreht haben", sagte etwa die SPD-Vorsitzende Saskia Esken dem Handelsblatt. Und man müsse analysieren, "bei welchen strategisch wichtigen Gütern und Dienstleistungen wir so abhängig von internationalen Lieferbeziehungen sind, dass es sich in Notsituationen schädlich für uns auswirkt." Die Sozialdemokratin ist nicht allein mit Ihrer Position. In der Krise glauben viele, dass ein wenigstens teilweiser Rückzug aus der Globalisierung die Lösung ist. "Es ist absolut möglich, dass Covid-19 das Schwinden der Globalisierung auslöst," schreibt der Historiker Harold James von der Universität Princeton.

Das entspräche dem Geist der Zeit.

Ohnehin führt die Krise dazu, dass sich die ökonomischen Verflechtungen zwischen den Staaten lockern. Die Exporterwartungen der deutschen Unternehmen sind im vorigen Monat so stark zurückgegangen wie noch nie seit der Wiedervereinigung, berichtete das Münchner Ifo-Institut am Donnerstag. Die Welthandelsorganisation WTO erwartet einen dramatischen Rückgang des weltweiten Austauschs von Waren und Dienstleistungen. Grenzen sind plötzlich wieder geschlossen, auch innerhalb der Europäischen Union. Die Schutzmaßnahmen an Deutschlands Grenzen führen dazu, dass Helfer für die Spargelernte aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern nicht mehr einreisen können. Zeitweise verbot die Bundesregierung den Verkauf von Schutzmasken ins Ausland, um die Versorgung zu sichern.

Tausende Menschen, Linke wie Rechte, Sozialisten wie Nationalisten haben in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die Globalisierung demonstriert. Mit Attac gibt es sogar eine Organisation, die zum Zwecke der Globalisierungskritik gegründet wurde. Im Weißen Haus in Washington sitzt mit dem Präsidentenberater Peter Navarro ein bekennender Globalisierungsgegner. Ökonomen mögen noch so viel darauf hinweisen, dass die internationale Arbeitsteilung in den vergangenen Jahrzehnten eine Quelle des Wohlstands auf der ganzen Welt war. Jetzt besteht wirklich die Gefahr eines großen Rückschlags. Dies sei "die erste Weltkrise, der nach den Maßgaben einer nationalistischen Weltordnung begegnet wird", meint Thomas Kleine Brockhoff, Leiter des Berliner Büros des German Marshall Funds. Verantwortlich dafür sind, so Kleine-Brockhoff, Männer wie der amerikanische Präsident Donald Trump, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping oder auch Russlands Machthaber Wladimir Putin.

Das neue Element bei Corona zeigt sich klar im Vergleich zur Finanzkrise. Auch sie begann, wie die Corona-Krise, mit einem scheinbar lokalen Ereignis. Im einen Fall war es eine Infektion in einer chinesischen Provinz, im anderen waren es faule Hauskredite in den USA. Als im Herbst 2008 die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach und die Dimension der Finanzkrise klar war, berief der damalige amerikanische Präsident George W. Bush für den 14. und 15. November einen Weltfinanzgipfel der G-20-Staaten nach Washington ein. Dessen Beschlüsse beruhigten die Lage und trugen dazu sei, dass die westliche Welt nach Ende der Finanzkrise eine der längsten Aufschwungphasen seit dem Zweiten Weltkrieg erlebte.

Bis die Pandemie eingedämmt ist, müssen viele Menschen viel lernen

Der jetzige Dienstherr im Weißen Haus dagegen beschimpft Chinesen und Europäer als Schuldige an der Krise. Chinas Führung ihrerseits nährt Verschwörungstheorien, nach denen amerikanische Agenten den Virus nach China gebracht haben, um der aufstrebenden Weltmacht zu schaden. Das nationale Denken geht manchmal bis ins Groteske. Nach unbestätigten Gerüchten wollte Trump die junge Tübinger Firma Curevac erwerben, die an einem Impfstoff gegen das Coronavirus arbeitet. Sie hätte exklusiv für den amerikanischen Markt liefern sollen. Haupteigner Dietmar Hopp legte sein Veto ein, andernfalls hätte das wohl die Bundesregierung tun müssen. Die globalen Institutionen, die für die Krise eigentlich zuständig wären, die Weltgesundheitsorganisation WHO und die WTO, sind geschwächt und können kaum ihre Aufgaben wahrnehmen.

Kein Zweifel: Bis die Pandemie einmal eingedämmt sein wird, müssen viele Menschen gezwungenermaßen viel lernen. Zum Beispiel was die Versorgungssicherheit mit Medikamenten betrifft. Die erreiche man aber nicht, indem man möglichst alles in Deutschland produziert, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Der Gesundheitssektor brauche "Anreize, um nicht nur auf die Kosten, sondern auch auf die sichere Versorgung zu achten". Das würde Mehrausgaben in Krankenhäusern und Apotheken bedeuten - und im Ergebnis auch höhere Versicherungsbeiträge für die Patienten oder Mehrausgaben für den Staat. Entscheidungen wie das Exportverbot für Atemschutzmasken dürfe es nicht mehr geben. "Wir brauchen eine europäische Strategie", glaubt Felbermayr.

Gerade der Arzneimittelsektor zeigt, wie sehr sich Deutschland bei einem Ausstieg aus der Globalisierung schaden würde. Die Bundesrepublik exportiert viel mehr patentgeschützte Medikamente als sie einführt. Einen Importüberschuss gibt es bei Nachahmerprodukten ("Generika"). Die Globalisierung werde sich immer weiter ausdifferenzieren, sagt Han Steutel, Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VfA). Das werde auch nach Corona passieren. Aber zurückdrehen lasse sie sich nicht. "Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich ein internationales Zusammenwirken bei Forschung, Finanzierung und Produktion von Arzneimitteln, wie wir es bisher nicht gesehen haben."

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Eine andere Frage ist, ob die fein abgestimmten internationalen Wertschöpfungsketten, etwa in der Autoindustrie oder im Maschinenbau, so bleiben können, wie sie sich im Zuge der Globalisierung entwickelt haben. "Die Wertschöpfungsketten werden neu justiert werden", sagt Ralph Wichers, Chefvolkswirt des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA). "In den Betrieben findet immer eine Gratwanderung statt zwischen dem Fertigungsleiter, der alles selbst machen will und dem Controller, der die Kosten senken möchte." In der DNA der deutschen Maschinenbauer liege es, immer wieder Neues zu probieren.

Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion so einfach nach Deutschland zurückgeholt werden kann, selbst wenn man das möchte. Viele Produkte deutscher Maschinenbauer sind so spezialisiert, dass es für sie nur einen Weltmarkt oder aber gar keinen Markt gibt. Zudem verlangen viele Länder, in die deutsche Unternehmen exportieren, dass diese bei ihnen auch produzieren. Für die deutsche Wirtschaft ist daher eine Abkehr von der Globalisierung überhaupt keine Option.

Gegenwärtig "fahren die Unternehmen auf Sicht", sie versuchen also von Tag zu Tag über die Runden zu kommen, sagt Jörg Wuttke, Präsident der Deutschen Handelskammer in Peking. Niemand weiß, wie es weiter geht und die Erholung in China wird viel Zeit brauchen. Aber es bleibt nichts anderes übrig, als global zu denken. "Was machen Sie, wenn das Virus in Nigeria wütet und die Menschenmassen sich auf den Weg nach Europa machen?"

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