Covid-19:Wie eine Smartphone-App das Virus ausbremsen soll

Everyday Life Fundamentally Altered As Measures To Stem Coronavirus Spread Are Tightened

Seit Tagen wird in Deutschland über den möglichen Einsatz von Handydaten diskutiert, um mögliche Kontaktpersonen von Infizierten zu finden und zu warnen.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)
  • Das Heinrich-Hertz-Institut und das Robert-Koch-Institut arbeiten an einer App, die die Kontakte von Smartphone-Trägern nachvollziehen soll.
  • Wer laut der App Kontakt mit Corona-Infizierten gehabt hat, soll aufgefordert werden, sich zu isolieren und testen zu lassen.
  • Die Nutzung der App soll freiwillig sein und der Staat nicht wissen, wer die betroffenen Menschen sind.

Von Simon Hurtz, Berlin, und Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Als kürzlich im Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu lesen war, die Behörden wollten "zum Zwecke der Nachverfolgung von Kontaktpersonen technische Mittel einsetzen", war die Aufregung groß. Handy-Tracking im Kampf gegen Corona, das klang verdächtig danach, dass man die Gunst der Krise nutzen wollte, um den Bürgern ein Überwachungstool unterzujubeln. Es dauerte denn auch nicht lange, bis der Passus wieder aus dem Gesetzentwurf verschwunden war.

Erledigt ist das Thema damit aber nicht. Denn auf die erste Phase der Freiheitsbeschränkungen wird eine zweite Phase folgen, in der es gilt, das Virus exakt dort zu treffen, wo es wütet. Mit großflächigen Tests sollen immer mehr Infizierte gefunden werden, die man bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, etwa, weil sie keine Symptome zeigen. Gelingt das, dann gilt es in einem nächsten Schritt, die Spur der Ansteckung zurückzuverfolgen, um die mutmaßlich Infizierten zu finden. Keine ganz einfache Aufgabe, wer merkt sich schon, wem er sich in fünf Tagen Inkubationszeit innerhalb der Zweimeterzone genähert hat.

An dieser Stelle kommt das Smartphone ins Spiel, über das mehr als zwei Drittel der Bundesbürger verfügen. Als Kontaktmelder könnte es wertvolle Dienste leisten - wäre da nicht der Datenschutz: Bewegungsprofile, die den Epidemiologen nützlich sein könnten, stuft das Bundesverfassungsgericht als äußerst grundrechtssensibel ein.

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Derzeit arbeitet das Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut (HHI/Fraunhofer HHI) gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) jedoch an einer Lösung, die epidemiologisch präzise und datenschutzrechtlich sauber ausfallen soll - des Pudels Kern, wenn man so will. In den nächsten Tagen soll das Ergebnis veröffentlicht werden.

Als Vorbild - freilich mit Verbesserungen - dient eine App, die Singapur einsetzt, um Infektionswege zurückverfolgen. Die Bluetooth-Funktechnik verwandelt jedes Handy in einen Sender und einen Empfänger zugleich. Damit kann die App scannen, welche anderen Handys in der Nähe sind. Stellt sich heraus, dass der Handybesitzer infiziert ist, können alle Mobilgeräte, denen er zuvor begegnet ist, per Push-Nachricht gewarnt werden.

Die zufällige ID schützt die Privatsphäre der Nutzer

Nach der Installation generiert die App eine zufällige Identifikationsnummer, die keine Rückschlüsse auf den individuellen Nutzer zulässt und sich in regelmäßigen Abständen ändert. Sobald sich zwei Handybesitzer begegnen, werden die IDs zunächst ausschließlich lokal auf dem Smartphone gespeichert. Wer eine positive Diagnose erhält, überträgt diese Daten an einen zentralen und abgesicherten Server, auf den nur RKI oder HHI zugreifen könnten.

Diese Information gibt immer noch keinen Rückschluss auf die Identität des Nutzers. Auf dem Server landet nur die einmalige, aber anonyme ID des Handys, die es ermöglicht, mit der App zu kommunizieren, die auf dem Gerät installiert ist. Daraufhin werden die Daten auf dem Smartphone entschlüsselt und die Liste der IDs übertragen, die sich zuvor in Reichweite befanden. Anschließend können mögliche Kontaktpersonen benachrichtigt werden - das geschähe erneut anonym: Sichtbar wäre lediglich die ID, nicht etwa der Name. Diese Personen würden dann aufgefordert, sich testen zu lassen und bis zur Diagnose in Quarantäne zu bleiben.

Zum Einsatz kommen könnte der Funkstandard Bluetooth Low Energy, der besonders energiesparend arbeitet und nur einige Meter weit reicht. Das wäre in diesem Fall ein Vorteil, da nur Smartphones erfasst würden, bei deren Besitzern tatsächlich ein Ansteckungsrisiko bestand. Es sollen ausschließlich Geräte abgespeichert werden, die dem Handy der infizierten Person nahe genug gekommen sind, damit das Virus zwischen den Besitzern überspringen konnte. Ältere Daten, die keinen epidemiologischen Wert mehr haben, sollen automatisch gelöscht werden.

"Infektionsschutz und Datenschutz können unter einen Hut gebracht werden"

Was die Sache für Datenschützer attraktiv macht: Die App soll völlig ohne persönliche Daten und insbesondere ohne die sensiblen Positionsdaten der Nutzer auskommen. Das sagt Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte und damit nicht im Verdacht, irgendetwas zu verharmlosen; sein Verein wäre vermutlich der erste, der Klagen gegen eine datenschutzrechtlich angreifbare Lösung unterstützte.

Zusammen mit dem Mainzer Professor Matthias Bäcker hat er auf Netzpolitik.org eine solche Lösung analysiert, die den Plänen des Heinrich-Hertz-Instituts nahekommen dürfte. Ihr Fazit fällt positiv aus - weil nur die Kontaktpersonen erfahren, dass sie sich in den zurückliegenden Tagen einem Infizierten genähert haben. "Damit können Infektionsschutz und Datenschutz unter einen Hut gebracht werden", sagt Buermeyer.

Funktionieren wird das aber nur, wenn möglichst viele Handybesitzer das Anti-Corona-Tool installieren - auf freiwilliger Basis, denn eine zwangsweise Verbreitung der App ist derzeit nicht denkbar. In einem Land, das den Datenschutz gleichsam erfunden hat, dürfte das eine echte kommunikative Herausforderung sein.

Ob die digitale Virusbekämpfung am Ende Erfolg hat, wird aber noch von einem weiteren Faktor abhängen. Die Testkapazitäten müssen groß genug sein, damit jede Verdachtsmeldung umgehend überprüft werden kann. Denn ob sich die Menschen aufgrund der Pushmeldung "Kontakt mit einem Unbekannten" wirklich zwei Wochen freiwillig und auf Verdacht in Quarantäne begeben, um auf einen Test zu warten, darauf sollte man wohl besser nicht vertrauen.

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