Corona-Krise:Ein Rettungspaket für den Bundestag

Corona-Krise: Wie kann der Bundestag handlungsfähig bleiben? Eine Überlegung sind virtuelle Plenarsitzungen.

Wie kann der Bundestag handlungsfähig bleiben? Eine Überlegung sind virtuelle Plenarsitzungen.

(Foto: Markus Schreiber/AP)
  • Bei der letzten Bundestagssitzung hat bereits ein Viertel der Abgeordneten wegen der Corona-Krise gefehlt.
  • Bundestagspräsident Schäuble sieht deshalb die Handlungsfähigkeit des Parlaments gefährdet. Er hat jetzt einen Brief an alle Fraktionschefs geschrieben.
  • Darin erwähnt er zwei mögliche Auswege: Ein kleines Notparlament oder virtuelle Bundestagssitzungen.
  • Das Innenministerium empfiehlt in einem Vermerk eine Grundgesetzänderung, um Online-Abstimmungen zu ermöglichen.

Von Robert Roßmann und Georg Mascolo, Berlin

Wolfgang Schäuble ist kein Mensch, der schnell aus der Ruhe zu bringen ist. Der Mann sitzt seit 1972 im Bundestag, niemand in der Geschichte der Bundesrepublik war länger Abgeordneter als er. Außerdem war er gleich zweimal Bundesinnenminister - ein Amt, in dem man ständig mit Gefahren zu tun hat. Aber jetzt ist auch Schäuble in großer Sorge. "So etwas haben wir in unseren Lebzeiten noch nicht gehabt", sagt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Die Corona-Krise gefährde die Handlungsfähigkeit des Bundestags. "Wir müssen alles daransetzen, die parlamentarische Demokratie nicht außer Kraft zu setzen", fordert der Bundestagspräsident. Deshalb seien jetzt alle Überlegungen zur Abhilfe erwünscht, nur keine Überlegungen anzustellen, wäre falsch.

Bei der letzten Sitzung des Bundestages hat wegen der Corona-Krise bereits ein Viertel der Abgeordneten gefehlt. Dabei stand die namentliche Abstimmung über das gewaltige Rettungspaket auf der Tagesordnung, wofür die absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestags nötig war. Was tun, wenn noch viel mehr Abgeordnete fehlen - weil sie krank oder in Quarantäne sind, oder die Gesundheitsgefährdung bei Anreise und Sitzung nicht in Kauf nehmen wollen?

Auch das Bundesinnenministerium sieht darin eine Gefahr. In einem Vermerk des Ministeriums heißt es unter der Überschrift "Dringender Änderungsbedarf an der Notstandsverfassung des Grundgesetzes": Die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit aller Verfassungsorgane sei jetzt "von zentraler Bedeutung". Es bestehe "die Gefahr, dass bei weiterer Verschärfung der Lage reguläre Bundestagssitzungen nicht mehr stattfinden können".

Grundgesetzänderung wegen der Corona-Krise?

In diesem Fall wäre "der Erlass kurzfristig notwendiger gesetzlicher Maßnahmen nicht mehr möglich". Und erst recht "wären keine Änderungen des Grundgesetzes mehr möglich" - ihnen müssten ja sogar zwei Drittel aller Bundestagsabgeordneten zustimmen. Außerdem bestehe die Gefahr "von wahlergebniswidrigen Mehrheitsverhältnissen" - etwa dann, wenn deutlich mehr Koalitions- als Oppositionsabgeordnete nicht teilnehmen können.

In dem Ministeriumsvermerk wird deshalb eine eindeutige Empfehlung gegeben: Um die Handlungsfähigkeit der Verfassungsorgane sicherzustellen, sollte eine Grundgesetzänderung beschlossen werden, die Bundestag und Bundesrat unter bestimmten Bedingungen "die Durchführung von Sitzungen und Abstimmungen im Online-Verfahren gestattet". Außerdem sollte "zur Ermöglichung der Online-Verkündung von Gesetzen und Verordnungen" der Artikel 82 des Grundgesetzes "dahingehend geändert werden, dass das Bundesgesetzblatt auch in elektronischer Form geführt werden darf".

Schäuble hat jetzt den Vorsitzenden aller Fraktionen einen Brief geschrieben. Darin heißt es, in den vielen Telefonkonferenzen der vergangenen Wochen habe "immer wieder die Frage eine Rolle gespielt, wie der Deutsche Bundestag im Falle einer weiteren Verschärfung der gegenwärtigen Corona-Krise zuverlässig seine Handlungsfähigkeit sicherstellen kann". Als Sofortmaßnahme sei das Quorum für die Beschlussfähigkeit des Parlaments von 50 auf 25 Prozent der Abgeordneten gesenkt worden. Er "höre aber, dass es durchaus Zweifel gibt, ob diese Maßnahme ausreichend ist". Eine der weiteren Überlegungen gehe "offenbar dahin, Bundestagsplenarsitzungen virtuell abzuhalten". Falls bei den Fraktionsvorsitzenden Interesse bestehe, über derartige virtuelle Plenarsitzungen zu reden, sei er gerne bereit, gleich in der nächsten Sitzungswoche zu einer Besprechung darüber einzuladen.

Schäuble will ein Notparlament ermöglichen - ähnlich wie im Kriegsfall

Zur Vorbereitung hat Schäuble seinem Schreiben eine Ausarbeitung der rechtlichen Möglichkeiten beilegen lassen. Das Werk trägt den Titel: "Virtuelles Parlament - verfassungsrechtliche Bewertung und mögliche Grundgesetzänderung." Drei Seiten ist das Werk der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags lang. Die Autoren kommen darin zu dem Ergebnis, dass virtuelle Sitzungen nur mit einer Verfassungsänderung möglich wären. Und sie machen dafür sogar schon einen konkreten Vorschlag: Artikel 39 Absatz 3, der bisher den Schluss und den Wiederbeginn von Sitzungen regelt, sollte ergänzt werden.

In seinem Brief an die Fraktionsvorsitzenden schreibt Schäuble aber auch, dass er unabhängig von der Debatte über virtuelle Bundestagssitzungen der Meinung sei, "dass die Schaffung eines Notfallausschusses des Deutschen Bundestags ebenfalls dringend erwogen werden sollte".

Schäuble plädiert für die Einrichtung eines kleinen Notparlaments ähnlich zu dem, das das Grundgesetz für den Fall eines Krieges vorsieht. In diesem Fall erlaubt die Verfassung die Bildung eines "Gemeinsamen Ausschusses" mit 48 Mitgliedern aus Bundestag und Bundesrat. Für den Fall einer Pandemie, eines Unglücks- oder Katastrophenfalls sieht das Grundgesetz jedoch nichts Vergleichbares vor. Das will Schäuble ändern. "Wenn alle Stricke reißen, müssen wir auch handeln können, ohne Hunderte Abgeordnete nach Berlin zu fliegen", sagt er der SZ.

Die Fraktionen und das Innenministerium sind skeptisch

Und nur elektronisch abzustimmen, reiche nicht. "Parlamentarismus ist mehr als abstimmen, er besteht auch aus der Debatte - dies auf elektronischem Weg zu gewährleisten, erscheint mir schwierig", sagt Schäuble. Er habe deshalb "eine Präferenz dafür, die Einrichtung eines Notausschusses zu ermöglichen".

Damit stößt der Bundestagspräsident aber nicht nur bei den Fraktionen auf wenig Gegenliebe. Das Innenministerium ist ebenfalls skeptisch. Auch ein solches Notparlament müsse sich ja stets physisch treffen - und schon wenige erkrankte Mitglieder könnten dazu führen, dass die dortigen Mehrheitsverhältnisse nicht mehr das Wahlergebnis wiedergeben, heißt es in dem Vermerk. Und Grundgesetzänderungen seien in so einem Notparlament sogar unmöglich - denn dies dürfe nicht einmal der für den Verteidigungsfall vorgesehene "Gemeinsame Ausschuss".

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