Heinsberg-Studie:Tests mit Unsicherheiten

Coronavirus - Landesregierung NRW

Armin Laschet (re.), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Hendrik Streeck, Direktor des Institut für Virologie an der Uniklinik in Bonn, auf dem gemeinsamen Weg zur Pressekonferenz.

(Foto: dpa)
  • An der Studie zum Corona-Hotspot Heinsberg üben andere Wissenschaftler Kritik.
  • Es ist bislang unklar, wie gut der Test auf Antikörper funktioniert.
  • Zudem lassen sich die Ergebnisse wohl nicht so einfach auf andere Regionen übertragen.

Von Christina Berndt und Hanno Charisius

Wissenschaft ist Wissenschaft, und Politik ist Politik. Beide funktionieren nach sehr unterschiedlichen Prinzipien. Und wenn sie zu eng miteinander sind, wird es oft schwierig - wie zuletzt der Fall Gangelt gezeigt hat. Der 12 000-Einwohner-Ort im Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen gilt als einer der Corona-Hotspots in Deutschland. Deshalb haben sich Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Bonn daran gemacht, Fragen zur Ausbreitung und Tödlichkeit der Corona-Pandemie am Fall dieser Gemeinde zu untersuchen.

Das ist nach recht einhelliger Meinung ein sinnvolles Unterfangen. Dennoch hat die Heinsberg-Studie nun mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Eilig hatte der Leiter der Studie, der Aids-Experte Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn, am Gründonnerstag erste Zwischenergebnisse in einer Pressekonferenz in der Düsseldorfer Staatskanzlei präsentiert. Der Virologe, der zum Corona-Beraterstab von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gehört, wollte, wie er betonte, erste Zahlen unbedingt noch vor der Sitzung der Ministerpräsidenten am Mittwoch bereitstellen, in der über eine Lockerung der Corona-Maßnahmen entschieden werden soll. Doch mit dieser Pressekonferenz zog Streeck viel Kritik auf sich. Gleich nach seiner Präsentation stellten andere Forscher die Aussagekraft seiner Ergebnisse in Frage.

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Dabei hatte der Virologe so positive Botschaften formuliert: In 400 Haushalten habe sein Team für die Studie 1000 Personen darauf untersucht, ob sie schon immun gegen Sars-CoV-2 seien, sagte Streeck. Die Ergebnisse von 509 Personen aus 240 Haushalten seien nun ausgewertet. Das Fazit: Etwa 15 Prozent der Bürger hätten Antikörper gegen das neue Coronavirus Sars-CoV-2 gebildet, sie seien nun immun. Auf dem Weg zur Herdenimmunität, für die 60 bis 70 Prozent einer Bevölkerung Immunschutz aufgebaut haben müssen, um eine weitere Ausbreitung einer Infektion massiv einzudämmen, habe das Örtchen somit schon ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht. Und daraus errechneten die Bonner Wissenschaftler eine weitere beruhigende Nachricht: Gestorben seien nur 0,37 Prozent der Infizierten - während die Johns-Hopkins-Universität für Deutschland bislang eine fünffach höhere Quote von fast zwei Prozent ermittelt hat.

Sars-Experte Christian Drosten warnte vor Fehlschlüssen aus den Antikörpertests

Doch der Sars-Experte Christian Drosten von der Berliner Charité warnte vor voreiligen Schlussfolgerungen. Er kritisierte in der vergangenen Woche, dass die Bonner Arbeitsgruppe ihre Daten nicht transparent genug gemacht habe. Außerdem warnte er vor Fehlschlüssen aus dem in Heinsberg verwendeten Antikörpertest. "Diese Labortests haben eine hohe Rate an falsch positiven Signalen, rein technisch", sagte er. Denn die bislang verfügbaren Tests können Antikörper gegen das neue Coronavirus nicht sauber von Antikörpern gegen die vier gängigen Coronaviren unterscheiden, an denen in jeder Erkältungssaison zahlreiche Menschen erkranken. Zudem lässt sich aus der Immunität der Menschen in Heinsberg nicht einfach auf andere Regionen schließen, so Drosten.

Studienleiter Streeck sagte der SZ am Dienstag, der von seinem Team verwendete Antikörpertest der Lübecker Firma Euroimmun habe laut Herstellerangaben eine Spezifität von mehr als 99 Prozent. Das bedeutet, dass bei einem Prozent derjenigen Menschen, die keine Antikörper gegen Sars-CoV-2 gebildet haben, fälschlicherweise Antikörper im Blut entdeckt werden. Die Herstellerangaben hätten die Bonner Wissenschaftler zudem in ihren Labors validiert, so Streeck: "Unsere eigenen Vergleichsproben zeigen bislang sogar 100 Prozent Spezifität, sie sind vom Umfang aber noch begrenzt." Die Untersuchungen anderer Arbeitsgruppen passen allerdings nicht ganz zu diesen Ergebnissen. So kam Charlotte Jørgensen von der Universität im dänischen Roskilde bei einem Vergleich verschiedener Testverfahren zu deutlich schlechteren Werten für den Euroimmun-Test. Sie folgert in ihrer noch nicht begutachteten Studie ebenso wie der Sars-Experte Drosten, der ähnliche Versuche unternommen hat, dass der Test nicht nur Sars-CoV-2 anzeigt, sondern auf weitere Coronaviren reagiert. Dass 15 Prozent der Menschen in Gangelt bereits gegen Covid-19 immun sind, wäre demnach zweifelhaft.

Auch der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig äußerte sich zu Aspekten der Heinsberg-Studie. Aus Haushalten könne man nicht einfach hochrechnen, warnte er. Denn ob man 1000 Menschen aus 1000 Haushalten untersucht oder 1000 Menschen aus 400 Haushalten, ergibt einen Unterschied, was die Zahl der Immunisierten betrifft: Die Menschen, die in einem Haushalt leben, stecken einander schneller an als ihre Nachbarn oder Fremde. Die Zahl der Bürger, die eine Infektion bereits durchgemacht haben, könnte auf diese Art größer erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Auf Nachfrage sagte Krause: "Detaillierte Kommentare zur Methode der Studie in Gangelt wären allein auf Basis der derzeit vorliegenden Information verfrüht." Aus Gesprächen mit einem beteiligten Kollegen habe er aber keinen Anlass, Versäumnisse bei der epidemiologischen Methodik zu vermuten.

In einem weiteren Punkt zog die Studie Kritik auf sich: Sie wurde von der PR-Agentur "Storymachine" beworben, die der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann mitgegründet hat. Diekmann war Anfang 2019 auch an einer PR-Aktion für einen angeblichen Brustkrebstest der Universität Heidelberg beteiligt, die den Ruf der Hochschule international schwer beschädigt hat. Streeck sagte zu der Einbindung einer Agentur, dass er es richtig finde, die derzeit im Fokus der Aufmerksamkeit stehende Corona-Forschung "so offen" zu präsentieren, auch als Facebook-Seite mit dem Titel "Heinsbergprotokoll". Er betonte, dass weder er noch seine Universität Storymachine bezahlt hätten, die Firma habe ihre Dienste von sich aus angeboten.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise, die vom Ex-Bild-Chefredakteur mitgegründete Agentur "Storymachine" sei an der PR-Aktion für den angeblichen Brustkrebstest der Universität Heidelberg beteiligt gewesen. Das ist falsch. In die Heidelberger PR-Aktion waren Diekmann und eine andere PR-Agentur involviert.

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