Versammlungsfreiheit:Abstand, Mundschutz und Grundgesetz

Die Polizei löst in Berlin eine Demonstration von 500 Bürgern auf. Protest mit 50 Menschen ist in Stuttgart erlaubt.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Nicht genehmigte Demonstration gegen Einschränkungen während der Corona-Krise Deutschland, Berlin, 11.04.2020, Poliziste

Jeden Samstag treffen sich Demonstranten am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, um gegen Einschränkungen während der Corona-Krise zu protestieren.

(Foto: Rolf Zöllner/imago)

In Berlin demonstrieren Gegner der Einschränkungen zur Bekämpfung von Corona bereits seit Wochen. Immer wieder samstags kommen sie am Rosa-Luxemburg-Platz zusammen, organisiert von der "Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand". Die Zahl der Demonstranten wächst stetig, und die Proteste werden wütender. Beim ersten Zusammentreffen am 28. März gingen in Berlin noch rund 40 Menschen gegen die Grundrechtsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie auf die Straße, am vergangen Samstag kamen dann rund 500 Menschen zusammen, die unter anderem den Slogan der Wendezeit "Wir sind das Volk" riefen.

Nach den neuesten Verordnungen im Zusammenhang mit Corona sind unter bestimmten Bedingungen Demonstrationen mit höchstens 20 Teilnehmern gestattet. 260 Polizisten brauchten mehr als eine Stunde, um den Versammlungsplatz vor dem bekannten Theater "Volksbühne" zu räumen. Bei fast 80 Demonstranten wurden die Personalien festgestellt, zwei Personen wurden vorübergehend festgenommen. Hinter den Organisatoren der Proteste steht der freie Journalist Anselm Lenz, der 2014 gemeinsam mit anderen Autoren und Künstlern das kapitalismuskritische Projekt "Haus Bartleby" gegründet hat. Ziel der Demonstrationen von "Nicht ohne uns" sei es, "die fundamentalen Grundrechte der Demokratie auch in Zeiten von Corona zu verteidigen", schreiben die Organisatoren auf Twitter. Auf ihrer Webseite fügen sie hinzu: "Mit zwei Meter Abstand, Mundschutz und Grundgesetz".

Inzwischen sind es jedoch längst nicht mehr nur die Kapitalismuskritiker rund um Anselm Lenz und Bürgerrechtler, die samstags ihre Kritik auf die Straße tragen wollen. Auch einige Verschwörungstheorien zugängliche Internetportale rufen zu den "Hygienedemos" auf, andere Mitläufer haben einen klar rechtsextremistischen Hintergrund. So kursierten am vergangenen Samstag auch krude Behauptungen, Corona sei eine "leichte Grippe", die nun von der Regierung genutzt werde, um die Grundrechte außer Kraft zu setzen.

Die Rechtslage unterscheidet sich in den Bundesländern, einige genehmigen kleine Versammlungen, andere bislang gar keine. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben am Samstag auch in Stuttgart rund 50 Menschen an einer Demonstration gegen die Einschränkung der Grundrechte teilgenommen. Die Stadt sah sich durch den Richterspruch veranlasst, das von ihr erlassene Verbot des Treffens auf dem zentralen Schlossplatz zurückzunehmen. Unter der Beachtung eines Abstandes von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern und einer Distanz zu Passanten von zwei Metern könne die Versammlung am Samstagnachmittag stattfinden, teilte die Stadt mit. Ein Privatmann hatte die Demonstration mit maximal 50 Teilnehmern angemeldet. Die Demonstration lief friedlich ab.

Der Kläger war zuvor mit Eilanträgen bei den Verwaltungsgerichten gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hielt den Erlass einer einstweiligen Anordnung für geboten. "Eine Verfassungsbeschwerde wäre nach gegenwärtigem Stand offensichtlich begründet", heißt es in dem Beschluss vom Freitag. Die Karlsruher Richter hatten zuvor bereits ein Demonstrationsverbot der Stadt Gießen verworfen.

Die Grünen in Bayern fordern, trotz Corona-Maßnahmen müsse das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewahrt bleiben. Es gebe genügend Ideen, die kreativen Proteste mit dem Gesundheitsschutz in Einklang zu bringen, teilte die Vorsitzende der Landtagsfraktion Katharina Schulze am Sonntag mit. Die Grünen verwiesen darauf, dass Kundgebungen wie Fridays for Future und Ostermärsche ausgefallen sind oder nur virtuell stattfanden als Folge der Ausgangsbeschränkungen. "Demokratie braucht die Möglichkeit, die eigene Meinung öffentlich kundzutun", so Schulze. In Bayern habe es die Regierung versäumt, klare Regelungen zum Versammlungsrecht während der Pandemie zu treffen.

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