Regierungserklärung:Der große Unterschied

Gut, dass die Kanzlerin jetzt den Streit über den richtigen Weg durch die Corona-Krise offen annimmt.

Von Stefan Braun

Von jetzt an wird es schwerer, komplizierter, politisch mühsamer. Das will was heißen, wo das Land doch schon seit Wochen mit harschen Beschränkungen und unter großen Mühen gegen die Pandemie kämpft. Für die Regierung, die Parteien und die ganze Gesellschaft aber kommt nach der Phase I des harten Einschnitts die ungleich schwierigere Phase II: der Weg in die Zukunft. Es wird eine Tour auf "dünnstem Eis", wie die Kanzlerin gesagt hat. Das gilt für jeden Einzelnen, weil die Situation bei allen an den Nerven zehrt. Und es gilt für die Regierung, weil die Geschlossenheit im Stillstand viel leichter war als das heikle Ausbalancieren von Vorsicht und Lockerung, das ihr jetzt bevorsteht.

Gut studieren kann man das am Koalitionsausschuss und seinen Beschlüssen. Zwischen Union und SPD ist längst nicht mehr alles eine einzige große Einheit. Das zeigen die nervösen Reaktionen, wenn die einen plötzlich wieder an der Grundrente und die anderen an der Nachrüstung eines überalterten Kampfflugzeugs zweifeln. Und doch wissen Union und SPD genau, dass sie sich Streitereien gegenwärtig nicht leisten können. Also wurden Konfliktfälle ignoriert und Beschlüsse angefertigt.

Das Ergebnis: eine niedrigere Mehrwertsteuer für Gastwirte und ein höheres Kurzarbeitergeld für besonders betroffene Arbeitnehmer. Obwohl die Sinnhaftigkeit beider Entscheidungen infrage steht, wurde beides beschlossen. Es tut kurzfristig niemandem weh und soll zeigen, dass die Koalition die Sorgen wirklich aller im Blick hat. Wie überragend wichtig der Koalition diese Botschaft ist, zeigte sie in einer Art Grundsatzversprechen. Im Beschluss heißt es, die Regierung werde "besonders darauf achten", Belastungen für Beschäftigte wie Unternehmen "zu vermeiden". Das klingt wie ein allumfassender Schutzschirm, nicht nur für Menschen und Betriebe, sondern auch für die Kanzlerin und ihr Bündnis. Niemand soll sagen können, die Regierung habe im Kampf gegen das Virus jemanden aus dem Blick verloren.

Wie heftig dieser Vorwurf gleichwohl längst formuliert wird, zeigte sich am Donnerstag im Parlament. Viele Redner verwahrten sich dagegen, auf Debatten über den richtigen Weg zu verzichten. Mancher, wie FDP-Chef Christian Lindner, kündigte der Regierung sogar die Geschlossenheit im gemeinsamen Kampf gegen Corona auf. Wirklich überraschen sollte das niemanden. Überraschend ist, wie die Kanzlerin darauf reagiert hat.

Während der Flüchtlingskrise hatte sie es noch ohne große Gegenwehr zugelassen, dass Kritiker und Zweifler ihr "Wir schaffen das!" bewusst falsch interpretierten und gegen sie verwenden konnten. Jetzt will sie dagegenhalten. Nachdem sie am Montag noch Öffnungsdebattenorgien beklagt hatte, nannte sie den Kampf gegen das Virus jetzt eine "demokratische Zumutung" und betonte, es sei für das Vertrauen der Menschen unverzichtbar, dass die Regierung ihre Argumente und Abwägungen offenlege.

Das ist keine lapidare Randbemerkung. Es ist eine existenzielle Voraussetzung für eine Demokratie, noch dazu eine im Ausnahmezustand. Dass Merkel das erkennt, ja, dass sie die Auseinandersetzung über ihre Suche nach dem richtigen Weg annimmt, zeigt nicht nur ihre Lernfähigkeit. Es zeigt auch und vor allem den großen Unterschied zu denen, die Trump, Putin oder Erdoğan heißen.

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