Lockerungen der Corona-Maßnahmen:Die ostdeutschen Bundesländer gehen voran

Protestkundgebung der Initiative 'Querdenken'

Während in den ostdeutschen Bundesländern Lockerungen in Sicht sind, protestieren in Stuttgart Demonstranten der Initiative "Querdenken" gegen die Corona-Beschränkungen und für Grundrechte.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Während die Bundesregierung bremst, gehen Sachsen und Sachsen-Anhalt strammen Schrittes Richtung Normalität. Dafür gibt es Gründe - und die haben nichts mit populistischer Anbiederei oder gar Leichtsinn zu tun.

Von Matthias Drobinski, Claudia Henzler und Ulrike Nimz

Eine Woche ist es her, dass Reiner Haseloff und Michael Kretschmer (beide CDU) mit Mundschutz durch den Bergzoo in Halle spazierten, für ein Foto neben der Pinguinanlage posierten, natürlich mit Abstand. So ein Schulterschluss muss in Pandemiezeiten metaphorisch bleiben.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident und sein Kollege aus Sachsen verkündeten an jenem Tag eine gemeinsame Linie im Kampf gegen Corona. "Besonnen und kreativ" wolle man vorgehen. Es sei sehr wahrscheinlich, sagte Haseloff bei dieser Tierpark-Pressekonferenz, dass die Biergärten in Halle eher wieder geöffnet würden als in München.

Es braucht keinen "triftigen Grund" mehr, um vor die Tür zu gehen

Von diesem Montag an nun will das Land die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus noch einmal deutlich lockern. Einzelhandelsgeschäfte dürfen unabhängig von ihrer Größe öffnen, Spielplätze unter Auflagen genutzt werden. Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sollen bald eine Stunde pro Tag Besuch empfangen dürfen. Die vielleicht wichtigste Änderung: Es braucht nicht länger einen "triftigen Grund", wie Sport oder den Einkauf, um vor die Tür zu gehen. Bis zu fünf Menschen dürfen sich draußen treffen, auch ohne unter einem Dach zu leben.

In Thüringen können Trauerfeiern künftig wieder in geschlossenen Räumen stattfinden, an Gottesdiensten mit Hygienekonzept auch mehr als 30 Menschen teilnehmen.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) brachte am Sonntag gar eine Öffnung gastronomischer Außenbereiche für den 15. Mai ins Spiel. "Man könnte testen, ob die Sicherheitsvorkehrungen funktionieren, bevor sich alles am Pfingstwochenende ballt", so Dulig, der den Vorschlag mit in die Videokonferenz von Bund und Ländern nehmen will. "Soweit es geht, sollten wir das bundeseinheitlich abstimmen."

Doch während der Bund angekündigt hatte, an den Kontaktbeschränkungen festhalten zu wollen und diese allenfalls schrittweise zu lockern, gehen die ostdeutschen Bundesländer strammen Schrittes voran, wenn es um die Rückkehr zur Normalität geht. Haseloff begründet dies mit den vergleichsweise niedrigen Fallzahlen. Sachsen-Anhalt verzeichnet mit Mecklenburg-Vorpommern bundesweit die wenigsten nachgewiesenen Corona-Infektionen. Das erlaube, Öffnungen zu erproben, während andere Regionen noch an der Senkung der Fallzahlen arbeiten müssten, so Haseloff. Ähnlich argumentieren CDU-Politiker in Sachsen und Thüringen.

Das Virus scheint es im Osten schwerer zu haben; das Land ist weniger dicht besiedelt, die Bevölkerung im Schnitt älter und weniger mobil. Karneval ist kein Massenphänomen und Ischgl für manch einen schlicht zu weit weg - auch finanziell. Der Shutdown kam, bevor die Kurve allzu steil nach oben schießen konnte, wurde frühzeitig durch zusätzliche Maßnahmen ergänzt: In Jena, der ersten deutschen Stadt mit Maskenpflicht, gibt es sechs aktive Infektionen und seit Tagen keine neuen.

Lockerungen im Westen sind eher Angleichungen an die Nachbar-Bundesländer

Auch im Westen der Republik wird gelockert. Doch die Erleichterungen bei den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, die von diesem Montag an im Saarland gelten, sind bei näherem Hinsehen vor allem Angleichungen an die anderen Bundesländer, insbesondere an den Nachbarn Rheinland-Pfalz. In den vergangenen Wochen mussten die Saarländer prinzipiell zu Hause bleiben und durften nur aus triftigem Grund die Wohnung verlassen; nun dürfen sie einfach so raus und auch Personen aus einem anderen Haushalt treffen. Der Mindestabstand wird von zwei Metern auf die bundesweit üblichen 1,5 Meter verringert. Die Regelung, wonach nur Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von unter 800 Quadratmetern öffnen dürfen, fällt ganz. Spielplätze öffnen, Zoos und botanische Gärten dürfen Besucher auf Außenanlagen lassen. Friseure und Fahrschulen dürfen wieder arbeiten. Studenten können wieder zur Uni gehen, Schüler der Abschlussklassen in die Schule. Gottesdienste sind erlaubt.

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Am 20. März war Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) gemeinsam mit seinem bayerischen Kollegen Markus Söder (CSU) vorgeprescht. Mit dramatischen Worten hatte er den Lockdown des Saarlandes angekündigt und diesen mit der Grenze zum französischen Krisenregion Grande Est begründet - tatsächlich stieg damals die Zahl der Neuinfizierten in dem kleinen Bundesland im Verhältnis deutlich schneller als in Rheinland-Pfalz oder Hessen. Auch in den Wochen danach orientierte sich die in Saarbrücken regierende große Koalition stark an den strengen bayerischen Regelungen (nur die Baumärkte blieben offen). Die Ampel-Regierung in Mainz schloss sich dagegen der liberaleren Linie der meisten anderen Länder an.

Das hat zu Spannungen geführt - und zum offenen Streit, als im pfälzischen Zweibrücken, direkt an der Grenze zum Saarland, ein großes Outlet-Center wieder öffnete, mit der Begründung, jedes einzelne Geschäft dort dürfe auf bis zu 800 Quadratmetern Fläche Waren anbieten. Hans kritisierte dies als "Überbietungswettbewerb" zwischen den Ländern. Mainz argumentierte, nur so sei man auf der rechtlich sicheren Seite.

Tatsächlich hat auch der saarländische Verfassungsgerichtshof die Landesregierung ausgebremst. Es gebe "aktuell keine belastbaren Gründe für die uneingeschränkte Fortdauer der strengen saarländischen Regelung des Verbots des Verlassens der Wohnung" mehr, entschieden die Verfassungsrichter in der vergangenen Woche. Wenige Stunden zuvor hatte die Landesregierung die Lockerungen zum 4. Mai in Aussicht gestellt. Dass das zu erwartende Urteil dazu beigetragen hat, kann man getrost annehmen.

In Baden-Württemberg waren die Corona-Verbote von Anfang an moderater als in Bayern oder im Saarland. Statt auf Ausgangsbeschränkungen setzte die grün-schwarze Landesregierung auf Kontaktbeschränkungen: Man braucht keinen Grund, um das Haus zu verlassen und kann in der Öffentlichkeit eine Person treffen, die nicht zum eigenen Haushalt gehört. Einer der gravierendsten Eingriffe in Grundrechte, die Ausgangssperre für Bewohner von Pflegeheimen, wurde inzwischen aufgehoben.

Auch an diesem Samstag gab es Proteste in Baden-Württemberg

Dennoch kam es gerade in diesem Bundesland zu Massenprotesten. Auch an diesem Samstag. Mehrere Tausend Menschen - die Angaben schwanken zwischen 3000 und 5000 - nahmen auf dem Cannstatter Volksfestplatz an einer Kundgebung gegen die Corona-Verordnung teil. An die Auflage, auf einen Mindestabstand von 1,5 Metern zu achten, hielt sich dabei nur ein Teil der Demonstranten, was der Veranstaltung auf Twitter die Bezeichnung "Coronaparty" eintrug. Es war die fünfte sogenannte "Mahnwache Grundgesetz", zu der ein Stuttgarter IT-Unternehmer in den vergangenen zwei Wochen aufgerufen hat. Die erste hatte er mit einem Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gegen die Stadt Stuttgart durchsetzen müssen. Der Initiator fordert Neuwahlen und hält die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie für falsch. Unter den Teilnehmern waren auch viele Impfgegner.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) geht das Ganze ohnehin zu weit. Ihn treibt die Sorge vor einer zweiten Infektionswelle um. Er wirbt deshalb für einen sehr vorsichtigen Lockerungskurs und hätte deshalb gerne zunächst nur kleine Läden geöffnet.

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