Coronavirus:Privilegien für Genesene

Spahn Immunitätsausweis

Der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagene Immunitätsausweis wird kontrovers diskutiert.

(Foto: dpa)

Juristisch wären Immunitätsausweise möglich. Dann müssten einige Menschen womöglich nicht mehr auf Corona-Beschränkungen achten. Doch vor allem eine Frage ist schwierig zu beantworten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ob noch etwas wird aus dem Immunitätsausweis, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ins Gesetz schreiben wollte, weiß derzeit niemand. Das Projekt ist abgesagt, vielleicht aber auch nur aufgeschoben. Damit hat man Zeit für die Diskussion gewonnen, und die wird man gut gebrauchen können. Denn ob es einen Covid-19-Pass geben darf, mit dem man womöglich frei zwischen all den Corona-Beschränkungen hindurch segeln könnte - oder ob es ihn sogar geben muss: Juristisch ist das nicht ganz einfach zu beantworten.

Eine verbreitete Kritik an Spahns Vorhaben lautete: So ein Ausweis, der einer bestimmten Gruppe Privilegien verleiht, sei diskriminierend und unsolidarisch. Dahinter steckt die nachvollziehbare Sorge, dass es für den Zusammenhalt einer Gesellschaft nicht förderlich ist, wenn man gemeinsam Corona-Maßnahmen durchgestanden hat - und nun ein paar Passinhaber schon in die Kneipe dürfen, während der Rest immer noch zu Hause "Tatort" schauen muss oder alte Fußballspiele.

Vom Grundsatz der Gleichbehandlung aus betrachtet, ist das aber kein wirklich durchschlagendes Argument: Wenn jemand den Corona-Maßnahmen nicht mehr unterworfen wird, weil er für das Infektionsgeschehen weder als Überträger noch als Patient eine Rolle spielt, wäre das ein "sachlicher Anknüpfungspunkt" für eine Ungleichbehandlung, wie Juristen das nennen.

Einem Passgesetz pauschal Ungleichbehandlung zu unterstellen, hält Steffen Augsberg, Rechtsprofessor in Gießen, deshalb für zu weit gehend. Als Mitglied im Deutschen Ethikrat arbeitet er derzeit an einer Stellungnahme zum Immunitätsausweis. Aus seiner Sicht geht es weniger um Ungleichbehandlung als um eine Rückgewinnung der Freiheit. Der Immunitätsausweis solle nicht etwa Menschen ausgrenzen, sondern zumindest einigen etwas zurückgeben, was ihnen zuvor im Zuge der Pandemiebekämpfung genommen worden sei: die Bewegungsfreiheit zum Beispiel. Oder eben auch die Chance, die eigene wirtschaftliche Existenz als Ladeninhaber zu retten.

Viel schwieriger ist nach Augsbergs Worten die Frage, wer vom virologischen Freifahrtschein profitieren sollte. Da die Kapazitäten knapp sein dürften, muss entschieden werden, wer sich auf eine mögliche Immunität testen lassen darf und wer nicht. Natürlich hätten zum Beispiel Pflegeberufe hier Vorrang, aber wer reiht sich dahinter ein? Der Angehörige, der seine Eltern im Heim besuchen möchte, hätte hier ein gewichtigeres Interesse einzubringen als jemand, dem an der Rückkehr in den Biergarten gelegen ist - obwohl auch Letzteres zur grundrechtlichen Freiheit gehört.

Für die Frage, wer als Passinhaber in Betracht kommt, dürfte auch ein weiterer Punkt maßgeblich sein. Je weiter der Kreis, desto höher das Risiko, dass Menschen sich mutwillig infizieren, um das lästige Corona-Problem endlich los zu sein. Josef Lindner, Professor für Medizinrecht an der Universität Augsburg, sieht hier eine Kollision zwischen dem Recht auf Freiheit und der Schutzpflicht des Staates für das Leben, also seiner Aufgabe, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Das spräche dann eher für die schlanke Lösung - einen Immunitätsausweis, der nur für bestimmte "systemrelevante" Berufe ausgestellt würde.

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