Reaktionen in Berlin:Impfpflicht nein, Fakten ja

Landtag Niedersachsen

„Ich nehme jede politische Meinungsäußerung ernst, aber in diesem Fall fällt es mir schwer, damit umzugehen.“ Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil widerspricht den Corona-Protesten deutlich.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die Berliner Politik versucht, keinen Anlass zur Wut zu geben. Sicherheitsbehörden sorgen sich derweil, dass Rechtsextremisten die Proteste kapern könnten.

Von Nico Fried

Das Kanzleramt hat sich bemüht. Noch bevor am Wochenende in verschiedenen deutschen Städten wieder Tausende Demonstranten gegen die Corona-Politik der Bundesregierung demonstrierten, meldete man sich mit einer wichtigen Botschaft zu Wort: Kanzleramtschef Helge Braun sagte in einem Interview, es werde keine Impfpflicht in Deutschland geben, wenn denn eines Tages ein Wirkstoff gegen die Infektion mit Covid-19 gefunden sein wird. Wer sich nicht impfen lassen wolle, "muss das Risiko einer Infektion selbst tragen", sagte Braun der Funke-Mediengruppe. Auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, versicherte: "Wir haben keinen Anlass, an eine Impfpflicht zu denken." Die Bürgerinnen und Bürger seien definitiv klug genug zu wissen, wenn es einen sicheren Impfstoff gebe, dass dieser ihre Gesundheit fördern würde.

Eine angebliche Impfpflicht war bisher ein besonders häufiger Gegenstand für Proteste. Allerdings richtet sich das Misstrauen vieler Demonstranten auch gegen die Regierung. Deshalb war es absehbar, dass allein die Ankündigung, es werde keine Impfpflicht geben, nicht genügte, um die Skeptiker der offiziellen Corona-Politik gegen die Lust am Demonstrieren zu immunisieren.

Zahlreiche Bundes- und Landespolitiker äußerten sich über das Wochenende zu den Protesten. Allen gemeinsam war, dass sie auf die grundsätzliche Legitimation der Demonstrationen verwiesen. Unterschiede zeigten sich allerdings beim Verständnis für die Inhalte der Proteste. Am deutlichsten widersprach Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): "Die Fakten liegen so klar auf dem Tisch, dass man sich nicht ernsthaft darüber austauschen kann, ob Corona eine Verschwörung ist", sagte er der Bild am Sonntag. "Ich nehme jede politische Meinungsäußerung ernst, aber in diesem Fall fällt es mir schwer, damit umzugehen."

Sicherheitsbehörden warnen derweil, dass Rechtsextremisten versuchen, die Proteste zu nutzen

Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) hatte am Samstag für eine differenzierte Betrachtung der Proteste geworben und sich am selben Tag dann auch Demonstranten in Dresden gestellt. Dabei verteidigte er die politischen Maßnahmen gegen das Virus. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zeigte Verständnis für Sorgen der Menschen um ihre Existenz und forderte entschlossenes politisches Handeln. "Damit verhindern wir auch, dass Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker den Ton setzen", sagte Seehofer der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Laut deutschen Sicherheitsbehörden versuchen Rechtsextremisten, die Proteste gegen Corona-Auflagen für sich zu nutzen. "Wir sehen einen Trend, dass Extremisten, insbesondere Rechtsextremisten, das Demonstrationsgeschehen instrumentalisieren", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der Welt am Sonntag. Auch eine Sprecherin des Bundeskriminalamtes sagte, das rechte Lager fühle sich zunehmend von den Demonstrationen angesprochen.

Den Medien, die ebenfalls gelegentlich Ziel der Proteste sind, sprang Kanzlerin Angela Merkel bei. Demokratie brauche zum einen den Streit um unterschiedliche Meinungen, aber auch "Fakten und Informationen". Sie müsse "zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden", sagte sie. Dies gelte auch im Zusammenhang mit dem Coronavirus, wo gut recherchierte Informationen von großer Wichtigkeit seien.

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