Tracing-Apps:Gegen die Pandemie gibt es kein Appheilmittel

Corona-App: Schwedische Version einer Tracing-App

In Schweden gibt es bereits eine Tracing-App. Die deutsche Software soll bis Mitte Juni fertig sein.

(Foto: Frederik Sandberg/AFP)

In Deutschland stockt die Entwicklung der Corona-App. Andere Länder setzen die Technik bereits ein - doch das Zwischenfazit fällt ernüchternd aus.

Von Simon Hurtz, Berlin

Wer dieser Tage durch die Einstellungen seines Handys wischt, könnte dort einen neuen Dialog entdecken, der viele Menschen überraschen dürfte. "Benachrichtigungen zu möglichem Kontakt mit Covid-19-Infizierten" nennt Google die Option, bei Apple heißt sie "Covid-19-Kontaktprotokoll". Seit einigen Tagen enthalten die aktuellen Android- und iOS-Versionen Schnittstellen, die helfen sollen, wenn es denn einmal die lang erwartete Corona-App geben sollte.

Die beiden Unternehmen stellen allerdings nur die technische Grundlage zur Verfügung. Die Schnittstelle ermöglicht es Apps, den Funkstandard Bluetooth Low Energy zu nutzen. Damit kann der Abstand zu anderen Smartphones gemessen werden. Mithilfe dieses sogenannten Contact-Tracing sollen Menschen gewarnt werden, die Infizierten begegnet sind und sich angesteckt haben könnten - anonym und ohne Risiken für die Privatsphäre.

"Für mich ist das wirklich das bevorzugte Werkzeug", sagte der Virologe Christian Drosten Anfang April. "Wir sollten wirklich alles darangeben, das auch umgesetzt zu bekommen." Zumindest in Deutschland ist das bislang Wunschdenken geblieben, ursprünglich sollte die App kurz nach Ostern fertig sein. Nach einem erbitterten Grundsatzstreit setzt Deutschland nun auf ein dezentrales Modell. Bei dem werden die meisten Daten lokal auf den Smartphones der Nutzer gespeichert und ausgewertet.

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Die Bundesregierung hat die Deutsche Telekom und den Softwarekonzern SAP beauftragt, die App zu entwickeln. Kürzlich wurden erste Details des Konzepts veröffentlicht, doch bis man die App tatsächlich herunterladen kann, wird es wohl bis Mitte Juni dauern. Dann soll eine eigens beauftragte Werbeagentur mit Slogans wie "Diese App kann nichts, außer Leben retten" möglichst viele Menschen davon überzeugen, die schlicht "Corona Warn App" genannte Anwendung zu nutzen.

Während in Deutschland noch entwickelt wird, werden anderswo längst Tracing-Apps eingesetzt. Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) sammelt die unterschiedlichen Projekte in einer Datenbank und zählt derzeit 22 Länder, in denen es fertige Apps gibt. Teils sind die Ansätze nicht mit Deutschland vergleichbar: Die Regierungen in China, Indien und Katar verpflichten die Bürger etwa, die Apps zu nutzen. Doch mittlerweile haben mehrere Staaten Erfahrungen gesammelt, die Rückschlusse auf Deutschland zulassen - und die zeigen, dass eine App kein Allheilmittel, sondern bestenfalls ein Baustein von vielen im Kampf gegen das Virus sein kann.

Die australische Corona-App ist bislang ein Flop

Die ernüchterndste Zahl findet sich im britischen Guardian, der über die australische App Covidsafe berichtet. Sie lautet schlicht eins. Obwohl das System seit Ende April im Einsatz ist und mittlerweile jeder dritte Handybesitzer in Australien die App heruntergeladen hat, wurde erst eine einzige Kontaktperson eines Infizierten benachrichtigt. Ende April hatte Premierminister Scott Morrison noch versprochen, die App werde entscheidend dazu beitragen, die Corona-Maßnahmen zu lockern.

Dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat, hat mehrere Gründe. Zum einen hat Australien die Pandemie relativ gut im Griff, es werden nur wenige Infektionen pro Tag gemeldet. Die App kann also gar nicht so viele Menschen warnen, die sich womöglich angesteckt haben. Zum anderen hat sich Australien entschieden, die Daten zentral zu speichern - was Apple und Google jedoch nicht unterstützen. Vor allem auf iPhones ist die App deshalb nahezu unbrauchbar. Australien überlegt deshalb, auf ein dezentrales Modell umzusteigen, im laufenden Betrieb stellt das aber eine große Herausforderung dar.

Mit einem ähnlichen Problem sieht sich Großbritannien konfrontiert, das die Tracing-App derzeit auf der südenglischen Isle of Wight testet. Dort versuchen die Entwickler, die Blockade von Apple mit technischen Tricks zu umgehen. Das funktioniert jedoch offenbar so schlecht, dass nun eine Schweizer Firma prüfen soll, ob und wie das System dezentralisiert werden kann, sodass die Entwickler auf die Schnittstellen von Apple und Google zugreifen können.

"Die Technik ist mehr oder weniger, ich würde nicht sagen, nutzlos"

Wenn man so will, zwingen diese beiden US-Unternehmen damit Regierungen auf, wie die Corona-Daten gespeichert und ausgewertet werden. Mancher Kritiker hält das für gefährlich, weil es demokratisch legitimierte Entscheidungsträger entmachtet. Befürworter betonen hingegen, dass der dezentrale Ansatz weniger anfällig für Missbrauch ist. Klar ist jedenfalls, dass auch die Bundesregierung keine Chance gehabt hätte, gegen den Willen von Apple und Google ein zentrales Modell durchzusetzen.

Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Tracing-Apps ist die Verbreitung. Erst wenn ein signifikanter Teil der Bevölkerung mitmacht, können Kontaktpersonen halbwegs zuverlässig benachrichtigt werden. In keinem Land funktioniert das so gut wie in Island, wo seit Anfang April knapp 40 Prozent der Menschen die App Rakning C-19 heruntergeladen haben. Statt auf Tracing per Bluetooth setzt Island auf Tracking per GPS, die Erfahrungen lassen sich also nur eingeschränkt auf Deutschland übertragen.

Doch zumindest zeigt Island, dass eine vergleichsweise hohe Akzeptanz nicht automatisch dazu führt, dass die App tatsächlich hilft. "Die Technik ist mehr oder weniger, ich würde nicht sagen, nutzlos", zitiert Technology Review, das Magazin des Bostoner MIT, den zuständigen Beamten. Rakning C-19 sei schon in einigen Fällen hilfreich gewesen. Aber als bahnbrechend habe es sich nicht erwiesen. Trotzdem hat Island das Virus bislang gut im Griff: mit flächendeckenden Tests, strikter Isolierung - und manueller Nachverfolgung von Kontakten.

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