Geldpolitik:Lagarde lässt weitere Milliarden springen

ECB President Lagarde Announces Virtual Rate Decision

Hallo, können Sie mich hören? Die EZB-Beobachter stellten ihre Fragen an Lagarde bei der Pressekonferenz per Telefon - und verfolgten ihren Auftritt aus dem Home-Office.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Die EZB erhöht die Corona-Nothilfen auf fast das Doppelte: 1,35 Billionen Euro. Und sendet einen Gruß an das Bundesverfassungsgericht.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Europäische Zentralbank hat ihre Corona-Nothilfen um 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro aufgestockt. Der EZB-Rat beschloss in seiner Sitzung am Donnerstag, dass dieses bereits im März gestartete Ankaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen der Euro-Zone bis mindestens Juni 2021 fortgesetzt werde. "Wir erleben einen Wirtschaftseinbruch ungekannten Ausmaßes", begründete EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Entscheidung der Notenbank, deren Experten für 2020 einen Wachstumsrückgang für die Euro-Staaten in Höhe von acht bis zwölf Prozent erwarten.

Die Währungshüter unterstützen mit ihrer Entscheidung die Rettungsprogramme der einzelnen EU-Staaten und der EU-Kommission, um die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg einzudämmen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte zuletzt einen Wiederaufbauplan im Wert von 750 Milliarden Euro vorgestellt, der Europa aus der Krise führen soll.

Der Internationale Währungsfonds beziffert die weltweiten Staatshilfen als Reaktion auf die Corona-Pandemie mit insgesamt neun Billionen Dollar. Einen solch konzertierten Geldeinsatz hat die Welt noch nicht erlebt. Meist sind die Notenbanken Garant dieser neuen Schulden, indem sie bereit sind, die ausgegebenen Staatsanleihen an den Finanzmärkten aufzukaufen. Auch die amerikanische Notenbank Federal Reserve erwirbt US-Staatsanleihen in Billionenhöhe. Sie geht mit ihrer lockeren Geldpolitik noch weiter als die EZB, indem sie auch faule Kredite, so genannte "Junk Bonds" aufkauft. Aufgrund des starken Wirtschaftsabschwungs in Großbritannien hat die Bank of England einen Geldkanal direkt ins britische Finanzministerium gelegt. Die Regierung darf sich in diesen Notzeiten an der Druckerpresse versorgen, um Geld in den Staatshaushalt zu holen.

Lagarde sagte, die EZB-Nothilfen hätten seit ihrer Einführung im März bereits Erfolg gehabt und "eine Abwärtsspirale für Europas Wirtschaft verhindert". Die "Kosten-Nutzen-Rechnung" der Maßnahmen sei positiv. Mit dieser Wortwahl spielte Lagarde auf das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts an, in dem die deutschen Richter anmahnten, die EZB müsse ihre lockere Geldpolitik besser begründen, um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen deutlich zu machen. Lagarde sagte, man habe schon immer eine "Kosten-Nutzen-Abwägung der geldpolitischen Maßnahmen vorgenommen". Die Notenbank unterliege jedoch der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der die Anleihekäufe der EZB als rechtmäßig bezeichnet habe. Lagarde zeigte sich aber "zuversichtlich", bezüglich des Bundesverfassungsgerichturteils "eine gute Lösung" zu finden. Diese dürfe aber keinesfalls die Unabhängigkeit der EZB kompromittieren, auch nicht die Vorrangstellung von EU-Recht oder die Entscheidung des EuGH.

Die Karlsruher Richter hatten im März in ihrem Urteil über das seit 2015 aktive Anleihekaufprogramm geurteilt - und ausdrücklich nicht über das aktuelle Corona-Nothilfeprogramm. Doch auf Basis der richterlichen Begründung muss man davon ausgehen, dass es auch Klagen gegen das Corona-Programm geben wird. Ein Grund: Die EZB hat sich darin Spielraum gegeben, bestimmte Schuldscheine häufiger zu erwerben als andere.

Die Notenbank möchte mit den Anleihekäufen den Kreditzins für besonders von der Corona-Krise betroffene Staaten wie Italien und Spanien absenken. So sollen diese Länder in die Lage versetzt werden, ihre Rettungs- und Konjunkturprogramme so günstig wie möglich an den Märkten finanzieren zu können. In Spanien und Italien fiel die Rezession in den letzten Monaten gut doppelt so tief aus wie in Deutschland.

Der Schuldenstand von Italien könnte in diesem Jahr auf 160 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen - der Wert in Deutschland beträgt weniger als die Hälfte davon. "Die EZB geht nun erneut in Vorlage. Für hoch verschuldete Staaten hängt die Umsetzung ihrer teuren Konjunkturpläne stark von der EZB ab, die mit ihrer Politik die Zinsen drückt und die Finanzierung attraktiver macht", sagte der Wirtschaftsweise Volker Wieland.

EZB-Rat behält sich vor, unter bestimmten Umständen auch "Junk Bonds" zu kaufen

Die Notenbank beließ den Leitzins unverändert bei null Prozent. Auch der Negativzins, den Europas Banken für ihre Einlagen bei der EZB bezahlen müssen, liegt weiterhin bei 0,5 Prozent. Neben dem Nothilfepaket in Höhe von 1,35 Billionen Euro setzt die EZB noch das reguläre Anleihekaufprogramm von rund 300 Milliarden Euro um. Dazu kommt ein Kreditpaket für die Banken der Euro-Zone mit einem Volumen von drei Billionen Euro. Lagarde sagte, der EZB-Rat behalte es sich vor, unter bestimmten Umständen auch "Junk Bonds" zu erwerben. Hier handelt es sich um Anleihen, die stark ausfallgefährdet sind.

"Die Aufstockung liegt um 100 Milliarden über den Erwartungen. Allgemein versucht die EZB damit den Märkten die Zuversicht zu vermitteln, dass sie stets bereit ist, einzugreifen. Das ist ja bislang auch gut gelungen", sagt Uwe Burkert, Chefökonom der Landesbank Baden-Württemberg.

Lagarde hofft, dass das Schlimmste in der Corona-Krise bald überstanden ist. "Die jüngsten Indikatoren deuten auf eine gewisse Bodenbildung des Abschwungs im Mai hin, da Teile der Wirtschaft allmählich wieder öffnen", so die EZB-Präsidentin. Dementsprechend werde erwartet, dass sich die Konjunktur von der zweiten Jahreshälfte an wieder belebe. "Gesamttempo und Ausmaß der Erholung bleiben aber höchst ungewiss."

Die schwere Krise dürfte auch die Inflationsraten weiter dämpfen. Für dieses Jahr wird lediglich mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 0,3 Prozent gerechnet, bislang waren die Währungshüter von 1,1 Prozent ausgegangen. Auch dieser Wert liegt weit unter dem selbst gesteckten Ziel der Notenbank, die Preisstabilität bei einer Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent gewährleistet sieht.

Die geringe Teuerung gibt der EZB gute Argumente, ihre lockere Geldpolitik fortzusetzen oder, falls eine Deflation droht, auch noch auszuweiten. Ihr vertragliches Mandat ist es, für stabile Preise zu sorgen. Auch andere führende Notenbanken orientieren sich bei Erfüllung ihres Mandats an der Zwei-Prozent-Marke.

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