Energie:Methan und Hitze für den Klimaschutz

Kraftwerk auf Wasserstoffbasis

Wasserstoffspeicher in einem Kraftwerk: Auf dem Energieträger ruhen große Hoffnungen.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Wasserstoff lässt sich aus Erdgas gewinnen, ohne dass dabei CO₂ entsteht. Experten aber sind sich uneins, wie nachhaltig die Technik tatsächlich ist.

Von Ralph Diermann

Wasserstoff ist ein farbloses, brennbares und dazu sehr leichtes Gas, Luft ist rund 14 Mal so schwer. In Politik und Wirtschaft hat Wasserstoff zuletzt jedoch enormes Gewicht bekommen: Das Bundeskabinett hat soeben eine Wasserstoffstrategie beschlossen, mit der Deutschland zum Vorreiter im Bereich Wasserstoff wird, denn das Gas gilt als Allheilmittel für den Klimaschutz. Es soll maßgeblich dazu beitragen, die Verbrennung von Erdgas, Öl und Kohle überflüssig zu machen, in der Industrie und im Verkehr genauso wie in der Strom- und Wärmeversorgung.

Auf diesem Weg hat das Gas sogar Farbe angenommen. Wasserstoff ist heute grün, blau, türkis - die Farben bezeichnen die Produktionsweise. Dabei ruhen die Erwartungen vor allem auf grünem Wasserstoff. Von "grün" spricht man, wenn er mit Ökostrom hergestellt wird. Das geschieht in einem Elektrolyseur, der Wasser unter Strom setzt, sodass sich die Wasserstoff- und Sauerstoffatome voneinander lösen.

"Blauer Wasserstoff ist keine Brücke, sondern eine Sackgasse"

Bei diesem "Power to Gas"-Prozess wird keinerlei CO₂ emittiert. Grüner Wasserstoff ist also klimaneutral. Um große Mengen davon herzustellen, ist allerdings enorm viel Energie nötig. So beziffert die Deutsche Energie-Agentur Dena den Strombedarf für die Elektrolyse allein in der Bundesrepublik im Jahr 2050 auf 147 bis 191 Terawattstunden. Das entspricht etwa einem Viertel bis einem Drittel des gesamten heutigen Stromverbrauchs. Dabei muss der meiste Wasserstoff aber ohnehin aus Ländern importiert werden, die bessere Bedingungen für die Erzeugung von Ökostrom bieten.

Der Aufbau der erforderlichen Erneuerbare-Energien- und Elektrolyse-Kapazitäten im In- und Ausland wird jedoch Jahrzehnte dauern. Daher schlägt die Gaswirtschaft eine Zwischenlösung vor: Blauer Wasserstoff soll die Zeit überbrücken, bis genug grünes Gas zur Verfügung steht. Er wird aus Erdgas gewonnen. Dabei entsteht Kohlendioxid, das jedoch nicht in die Atmosphäre entlassen, sondern aus der Abluft der Anlagen abgeschieden und dann dauerhaft in unterirdischem Felsgestein gelagert werden soll.

Für Felix Heilmann von E3G, einem Thinktank für Energie- und Klimapolitik, ist das allerdings kein sinnvoller Ansatz: "Die Speicherkapazitäten für Kohlendioxid sind begrenzt. Wir sollten sie deshalb für Zwecke nutzen, bei denen es keine Alternative gibt. Dazu gehört das Speichern von CO₂ aus Industrieprozessen, die sich nicht vollständig dekarbonisieren lassen." Zudem bezweifelt er, dass sich das Konzept politisch wie technisch auf absehbare Zeit in großem Stil umsetzen lässt. "Blauer Wasserstoff ist keine Brücke, sondern eine Sackgasse", ist Heilmann überzeugt.

Die Bundesregierung sieht das anders: Blauer Wasserstoff werde, wenn verfügbar, übergangsweise genutzt werden, heißt es in der soeben vom Kabinett beschlossenen Nationalen Wasserstoffstrategie. Gleiches gelte für Wasserstoff aus Erdgas, der durch Methanpyrolyse produziert wird. Dieser Wasserstoff trägt die Farbe Türkis, im Malkasten eine Mischung aus Blau und Grün. Anders als bei blauem Wasserstoff entsteht bei der Methanpyrolyse erst gar kein gasförmiges CO₂, sondern reiner Kohlenstoff.

"Das ist ein Feststoff, der sich für viele industrielle Zwecke verwenden oder aber problemlos endlagern lässt", sagt Stefan Stückrad vom Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam, das zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie ein Verfahren für die Methanpyrolyse entwickelt hat.

Wie funktioniert der Prozess? Erdgas - das vor allem aus Methan besteht, chemisch CH4, also eine Verbindung von Kohlenstoff und Wasserstoff - wird von unten in einen Zylinder mit heißem flüssigen Zinn eingeblasen. Während sich das Methan erhitzt, bilden die Blasen außen eine Kohlenstoffkruste. Im Innern sammelt sich der Wasserstoff. Die Blasen steigen auf und platzen, wenn sie oben angekommen sind. Der Wasserstoff wird aufgefangen, der Kohlenstoff abgeschöpft.

Um eine optimale Wasserstoffausbeute zu erzielen, muss das Flüssigzinn auf gut 1000 Grad aufgeheizt werden. Das geschieht entweder mit Ökostrom oder aber mit einem Teil des produzierten Wasserstoffs. Dabei ist das Verfahren deutlich energieeffizienter als die Elektrolyse, so Stückrad: "Für die gleiche Menge Wasserstoff benötigt die Methanpyrolyse ein Achtel der zugeführten Energie."

Potenzielle Abnehmer für den anfallenden Kohlenstoff finden sich zum Beispiel im Betonbau. "Sie könnten damit den Stahlanteil reduzieren, ohne Abstriche bei der Tragfähigkeit sowie der Zug- und Druckfestigkeit machen zu müssen", erklärt Stückrad. Das vermeidet weitere CO₂-Emissionen. Auch im Straßenbau ließe sich der Kohlenstoff verwenden, ebenso in der Kunststoffindustrie oder in der Mikroelektronik. Verarbeitet zu Carbonfasern, ist das Material wiederum für Autobauer interessant.

Als Standorte für die Pyrolyse-Anlagen hat Stückrad in erster Linie Industriebetriebe im Visier, die den Wasserstoff benötigen - neben der Chemie- vor allem die Stahlindustrie, die mit dem Gas ihre Produktion so umstellen kann, dass sie ohne Kokskohle auskommt. Darüber hinaus wird Wasserstoff künftig aber auch gebraucht, um die Stromversorgung abzusichern. Mit ihm sollen Gasturbinen Energie erzeugen, wenn Windräder und Photovoltaik-Anlagen einmal schwächeln und die Stromspeicher leer sind. Allerdings verträgt die heutige Kraftwerkstechnik meist nur äußerst geringe Wasserstoffanteile, erklärt Peter Jansohn vom Schweizer Paul-Scherrer-Institut.

"Anders als Methan ist Wasserstoff ein hochreaktiver Brennstoff, er verbrennt sehr schnell. Ein höherer Wasserstoffanteil im Brenngas stellt daher neue Anforderungen an die Konstruktion und die Materialien der Turbinen." Alle großen Hersteller arbeiten derzeit daran, ihre Anlagen für den grünen Brennstoff zu rüsten, so Jansohn. "Ich gehe davon aus, dass wir in fünf bis zehn Jahren Turbinen auf dem Markt sehen werden, die mit reinem Wasserstoff zurechtkommen werden", sagt der Wissenschaftler.

Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen grünem und türkisem Wasserstoff

In gut fünf Jahren ist auch die Methanpyrolyse reif für den industriellen Einsatz, erwartet Stückrad - und je nach politischem Willen eventuell auch früher. Unternehmen wie BASF und Wintershall arbeiten derzeit mit Hochdruck daran. Stückrad ist überzeugt, dass türkiser Wasserstoff für den Klimaschutz unverzichtbar ist. "Wir brauchen neben der Elektrolyse auch die Methanpyrolyse, weil sie schon bald große Mengen an Wasserstoff bereitstellen kann. Nur wenn die Versorgung gesichert ist, wird die Industrie in Klimaschutz-Technologien investieren, die Wasserstoff nutzen", erklärt er. Zumal das Potenzial für die Elektrolyse in Deutschland eingeschränkt ist, da die Möglichkeiten für die Erzeugung von Ökostrom hierzulande begrenzt sind. "Wir sollten daher keine der beiden Technologien ausschließen!"

Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen grünem und türkisem Wasserstoff: Wirklich klimaneutral ist letzterer nicht, ebenso wenig wie blauer Wasserstoff. Denn bei der Förderung und beim Transport des benötigten Erdgases entweicht ein kleiner Teil davon in die Atmosphäre. Auch wenn die Mengen nicht groß sind, so sind die Folgen für das Klima jedoch nicht zu unterschätzen. Denn Methan trägt laut letztem Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC je nach Betrachtungsweise 28 bis 84 Mal so stark zur Erderhitzung bei wie Kohlendioxid.

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