Landwirtschaft:Ökoverband spricht von einem "Schlag ins Gesicht"

Ernte von Bio-Möhren am frühen Morgen

"Landwirte, die mehr für den Umweltschutz tun, können wir jetzt entlohnen": Ernte von Bio-Möhren auf einem Feld im Landkreis Hildesheim.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Mit der Reform der EU-Agrarsubventionen sollen Milliarden in den ökologischen Landbau geschaufelt werden. Ob das so viel bringt, ist umstritten. Für Verbraucher dürfte sich so schnell nichts ändern.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Karoline Meta Beisel, Brüssel

Es ist kurz vor vier am Mittwochmorgen, als der Vertreter aus Litauen das Wort ergreift. "Unser Hauptproblem ist nicht gelöst", sagt Vizeminister Evaldas Gustas beim Treffen der EU-Agrarminister in Luxemburg. "Darum kann Litauen leider nicht mit Ja stimmen." Seine Absage gilt der deutschen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Als Vertreterin der deutschen Ratspräsidentschaft leitet die CDU-Politikerin die Verhandlungen über die künftige Europäische Agrarpolitik. War's das jetzt?

Mehr als 48 Stunden sitzen die EU-Minister zu diesem Zeitpunkt nun schon zusammen. Es habe jetzt doch etwas länger gedauert, "aber ich denke, die Nacht ist eh hin", hatte Klöckner zu Beginn dieser letzten Plenarrunde um halb vier gesagt. Sie habe nach den Anmerkungen der Mitgliedstaaten den Kompromissvorschlag noch einmal bearbeitet, habe diesen und jenen Artikel angepasst, Änderungen für den Olivenölsektor und "bei den Weinpflanzrechten" vorgenommen. Trotzdem machen auch die Minister aus Lettland, Bulgarien und Rumänien Klöckner klar: Ihnen geht der Vorschlag zu weit. Sie kündigen an, sich zu enthalten. Klöckner entgegnet: "Wie gesagt, das ist unser letztes Angebot, weil wir irgendwann sonst alles komplett verwässern." So gelingt es immerhin, die nötige Mehrheit für den Kompromiss zu sichern: Bis auf einen stimmen alle zu, drei enthalten sich.

Keine acht Stunden später sitzt Klöckner in Berlin und wähnt wieder Widerstände überall. Bei einer Pressekonferenz will sie ihren Erfolg preisen, doch gleich zu Beginn recken sich die ersten Hände. Offenbar seien die Fragen schon da, bevor sie geredet habe, sagt Klöckner. "Egal was ich sage", entfährt es ihr, "es steht schon alles fest." In den Stunden zwischen Einigung und Sonnenaufgang waren die Beschlüsse bereits von verschiedenen Seiten zerlegt worden. Das Echo ist, vorsichtig gesagt, bescheiden. "Von der grünen Architektur ist nur noch die grüne Fassadenfarbe übrig geblieben", sagt Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter, eigentlich ein besonnener Typ. Der Öko-Verband BÖLW spricht von einem "Schlag ins Gesicht für alle, die es besser machen wollen".

Klöckner selbst spricht von einem "Meilenstein", einem "Systemwechsel für die Landwirtschaft". Sie blättert die Unterlagen der letzten Nacht durch, wirft Schlagworte in den Raum: Bodenschutz. Moorschutz. Klimaschutz. Tierschutz. "Landwirte, die mehr für den Umweltschutz tun, können wir jetzt entlohnen", wirbt sie. Wer hat nun recht?

Seit den Römischen Verträgen 1957 ist die Agrarpolitik Teil des Kitts, der Europa zusammenhält. In den Fünfzigern ging es vor allem darum, den Kontinent nach dem Krieg mit ausreichend Lebensmitteln zu versorgen. Später sollten die Landwirte vor Marktschwankungen geschützt werden, wie sie mit der Öffnung der Agrarmärkte einhergingen. Immer aber sorgten sie auch für Auswüchse, die dann anderweitig wieder repariert werden mussten. Berge von Milchpulver etwa oder verarmte Bauern in Entwicklungsländern, weil Märkte dort mit Überschüssen aus der EU überschwemmt wurden. Die negativen Begleiterscheinungen sind so alt wie die Gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP.

Auch die jüngste Reform - gültig für die nächsten sieben Jahre - sollte einiges heilen, diesmal vor allem negative Umweltfolgen durch eine zu intensive Landwirtschaft. Das bisherige System der Direktzahlungen, das vor allem die Fläche von Betrieben belohnte, hatte die Pacht- und Landpreise angeheizt und damit den Druck auf die Landwirtschaft erhöht. Betriebe gaben auf, weil Felder und Ställe nicht mehr genug abwarfen, um die hohen Bodenpreise zu bezahlen. Größere Betriebe dagegen wurden noch größer und sahnten so mehr Subventionen ab.

Klöckners Meilenstein soll das ändern. Denn mindestens 20 Prozent der Direktzahlungen sollen künftig nicht mehr an die Fläche, sondern an Leistungen für die Umwelt geknüpft werden. Eine Milliarde Euro, wirbt die CDU-Ministerin, stünden damit allein in Deutschland für Öko-Regelungen zur Verfügung. In einer zweijährigen "Lernphase" sollen sich die Mitgliedstaaten darauf einstellen; die neuen Regeln gelten also in fünf der sieben Jahre. Die neue Förderung sei eine Chance gerade für kleine Betriebe, sagt Klöckner. Ohnehin würden Junglandwirte und kleinere Höfe künftig besonders gefördert.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Kloeckner (CDU) im Rahmen des EU-Agrarrats in Luxemburg, 20.10.2020. Luxembourg Lu

"Meilenstein": Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner verteidigt den Kompromiss von Brüssel.

(Foto: Xander Heinl/imago images/photothek)

Wie genau, das soll allerdings künftig nicht mehr Brüssel entscheiden. Dreh- und Angelpunkt sollen "nationale Strategiepläne" sein, in denen jeder einzelne Staat festlegt, für welche Umweltleistungen es Geld gibt und für welche nicht. Die EU-Kommission prüft dann diese Pläne. "Im Grunde erleben wir damit eine Renationalisierung der Agrarpolitik", sagt Greenpeace-Mann Hofstetter. "Früher haben die Bauern immer wegen zu viel Bürokratie über Brüssel gemeckert", sagt Peter Jahr, CDU-Abgeordneter im EU-Parlament. "Wenn Bürokratie jetzt passiert, dann in den Mitgliedstaaten."

In Berlin beginnt diese Renationalisierung schon wenige Stunden nach dem Beschluss: Da meldet sich Svenja Schulze zu Wort, die Umweltministerin. "Die dringend notwendige Ausrichtung der Agrarförderung an Umwelt-, Naturschutz- und Tierschutzstandards muss auf nationaler Ebene stattfinden", sagt die SPD-Politikerin. "Dafür gilt es jetzt in Deutschland, die Weichen zu stellen." Der Streit zwischen Agrar- und Umweltressort, wie er zuletzt rund um Glyphosat, Insektensterben oder den Umgang mit Gülle getobt hat, findet so verlässlich neue Nahrung. Für Verbraucher allerdings dürfte sich so schnell nichts ändern. Auf die Entwicklung der Preise in Läden hat diese Reform wohl kaum Einfluss.

Ob der Systemwechsel, den Klöckner nun lobt, auch tatsächlich in ein anderes Agrarsystem führt, daran haben auch manche Bauern Zweifel. Der Kompromiss werde "dem enormen Veränderungsdruck auf unseren Höfen nicht konsequent genug gerecht", sagt etwa Elisabeth Fresen, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Umso unverständlicher sei, dass es weiter bei pauschalen Flächenprämien bleiben solle. Die Umweltstiftung WWF spricht gar von einer "Katastrophe für Natur- und Klimaschutz", und ganz ähnlich klingen auch die "Fridays for future". Mit ihrem "Systemwechsel" verspotte Klöckner die Öffentlichkeit.

Die Ministerin selbst dagegen hält es eher mit dem Deutschen Bauernverband. Der lobt einen "notwendigen und letztendlich auch tragbaren" Kompromiss, der den "Weg zu einer grüneren Agrarpolitik" fortsetze. Revolutionen forderten sich zwar leicht, seien aber nicht per se gut, sagt Klöckner. "Das ist ein Instrument, das ziemlich schiefgehen kann." Stattdessen habe sie sich erbittert gegen eine weitere Aufweichung wehren müssen - etwa den Wunsch, die "Lernphase" gleich auf sieben Jahre auszudehnen. "Am Ende wären die Ökoverpflichtungen nur noch Auslegware in einem Schaufenster geworden", sagt sie. Erfolg oder Misserfolg sind nach den Verhandlungen der Mitgliedstaaten ganz offensichtlich eine Frage des Blickwinkels.

Dasselbe gilt für die Debatte im EU-Parlament. Denn um Gesetz zu werden, muss der Kompromiss, auf den Klöckner so stolz ist, in den Verhandlungen mit den Abgeordneten bestehen. Auch dort haben sich die Fraktionen am späten Dienstagabend auf die Grundzüge eines Kompromisses geeinigt. Er ähnelt den Vorstellungen der Agrarminister. Im Parlament will man zwar mindestens 30 Prozent für die Umweltmaßnahmen reservieren - andererseits aber auch nicht mehr als 40 Prozent. Außerdem will man dort nichts von einer irgendwie gearteten Lernphase wissen.

Umweltverbände, NGOs und Grüne kritisieren den Parlamentsbeschluss aufs Schärfste. Die beteiligten Fraktionen loben ihn als Durchbruch. Es sei eine "gute Nacht" für die europäische Landwirtschaft gewesen, sagt etwa Norbert Lins (CDU), der Vorsitzende des Agrarausschusses. Die Bauern bräuchten nun "endlich Klarheit". Der Parlamentskompromiss könne "erstmals in der EU-Historie Anreize und Belohnungen für Landwirte und Landwirtinnen schaffen, die ihre Arbeit am Klimaschutz ausrichten", sagt auch die SPD-Abgeordnete Maria Noichl. In den nun bevorstehenden Verhandlungen sei die Einigung der Minister aber noch zu "verbessern".

Bis diesen Freitag wollen sich die Abgeordneten über Details ihrer Verhandlungsposition verständigen. So wünschen sich die Vertreter des Umweltausschusses einen Verweis auf die Ziele des Klimaübereinkommens von Paris. Darin haben sich die Unterzeichnerstaaten vor fast genau fünf Jahren darauf verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Solch eine Klausel, so die Hoffnung, würde der EU-Kommission bei der Bewertung der nationalen Strategiepläne ein Argument an die Hand geben, auf ausreichenden Klimaschutz zu pochen. Aber selbst wenn das gelingen sollte, ist es fraglich, ob sich auch die EU-Minister darauf einlassen. Die Verhandlungen von Mittwochnacht deuten eher nicht darauf hin.

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