Sachsen-Anhalt:Krise auf Wiedervorlage

Fraktionssitzung von CDU Sachsen-Anhalt

Erklärungsbedarf: Markus Kurze, Geschäftsführer der CDU-Fraktion, und Fraktionschef Siegfried Borgwardt nach der Sitzung am Dienstag.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Der Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags ist erst einmal vertagt. Die Positionen von CDU, SPD und Grünen liegen unverändert weit auseinander. Die CDU will den Medienstaatsvertrag blockieren - die Bundespartei ist entsetzt, aber machtlos.

Von Ulrike Nimz und und Robert Roßmann, Leipzig/Berlin

Die gute Nachricht vorweg: Der große Knall, er bleibt vorerst aus in Magdeburg. Am Mittwoch vertagte der Medienausschuss des Landtages seine Entscheidung zum Rundfunkbeitrag um eine Woche. Bis dahin wollen CDU, SPD und Grüne weiterverhandeln. Die schlechte Nachricht: Die Positionen liegen unverändert weit auseinander. Wenn sich derzeit Politik in all ihrer strapaziösen Vertracktheit bewundern lässt, dann im kleinen Bundesland Sachsen-Anhalt.

Die Frage, ob das Parlament dem Rundfunkstaatsvertrag samt Beitragserhöhung zustimmen soll oder nicht, führt seit Monaten zu Verwerfungen in der Kenia-Koalition. Die CDU will, anders als SPD und Grüne, dagegen votieren. Gemeinsam mit der AfD-Fraktion hätten die Christdemokraten eine Mehrheit im Landtag - und damit die Macht, den Staatsvertrag zu kippen. Es braucht Einstimmigkeit unter den 16 Bundesländern. Längst geht es um mehr als 86 Cent Beitragserhöhung.

Führungsschwäche an entscheidender Stelle

Das schwarz-rot-grüne Regierungsbündnis in Sachsen-Anhalt droht zu zerbrechen, mitten in der Pandemie, ein halbes Jahr vor der Landtagswahl. Zehn Monate nachdem in Thüringen der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählt wurde, sehen sich die Christdemokraten erneut mit dem Vorwurf konfrontiert, gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen zu machen.

Dass dieser Eindruck überhaupt entstehen kann, hat auch mit der Führungsschwäche zu tun, die sich immer wieder an entscheidender Stelle zeigt. Es kommt ja nicht oft vor, dass ein Koalitionsausschuss an einem Tag gleich zweimal zusammenkommen muss. Bereits am Dienstagmittag hatten sich die Spitzen von CDU, SPD und Grünen in Magdeburg getroffen, um einen Ausweg zu finden aus der Sackgasse. Das dünne Ergebnis: Man möge doch die Sitzung des Medienausschusses verschieben, um Zeit zu gewinnen, weitere Gespräche zu führen, sich zu sammeln. Doch die CDU-Fraktion stimmte dem Aufschub nicht zu. Also saßen die Koalitionsspitzen am Abend nochmals beisammen, wieder ohne eine Lösung finden. Erst in der Sitzung des Medienausschusses Mittwochfrüh verkündete man schließlich das, was tags zuvor schon hätte klar sein können: Der Showdown ist ausgesetzt.

Nervenaufreibendes Hin und Her

Schuld an dem nervenaufreibenden Hin und Her sei jedoch nicht etwa die CDU, sondern ein allzu eiliges Pressestatement der Grünen gewesen, sagt Markus Kurze, parlamentarischer Geschäftsführer und medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. "Das ist nun wirklich keine Art miteinander umzugehen." Anders als den Staatsvertrag würden das inzwischen wohl alle Beteiligten unterschreiben.

Teilnehmer der Krisensitzungen berichten, Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) habe erschöpft gewirkt, fast entmutigt. Und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht habe sich als "Anwalt" seiner Partei präsentiert, so als suche er die Distanz zur eigenen Fraktion. Deren Renitenz sucht derzeit ihresgleichen. Kein Szenario scheint die Abgeordneten zu schrecken: weder eine drohende Millionenklage der Rundfunkanstalten, noch der Umstand, dass ihr Ministerpräsident im Streit politisch verbrannt werden könnte. Auch die mittlerweile sehr deutliche Kritik anderer Landesverbände verhallt.

Attacken aus Berlin erschweren Kompromiss

In Thüringen war das ganz ähnlich. Noch Tage nach der Kemmerich-Wahl konnten einige Thüringer CDU-Abgeordnete die bundesweit aufbrandende Empörung nicht verstehen. Man habe doch lediglich den "Kandidaten der Mitte" gestützt. Annegret Kramp-Karrenbauer fuhr für eine nächtliche Krisensitzung nach Erfurt. Die dauerte dann auch mehrere Stunden, brachte ebenfalls keine Lösung - kurz darauf kündigte die CDU-Chefin ihren Rückzug vom Parteivorsitz an.

Warum gleich ist die Bundes-CDU jetzt so still?

In der CDU-Spitze heißt es, das Problem in Sachsen-Anhalt sei nicht so groß wie das in Thüringen. In Erfurt habe die Landes-CDU nicht akzeptieren wollen, dass sie die Landtagswahl verloren habe und deshalb das Ergebnis mit taktischen Spielchen bei der Regierungsbildung korrigieren wollen und dabei indirekt auch auf die AfD gesetzt. In Sachsen-Anhalt gehe es dagegen lediglich um eine einzelne Sachfrage, bei der die Landes-CDU schon vor der Gründung der AfD die Position hatte, die sie jetzt vertrete - und die ja auch im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen stünde: Dass der Rundfunkbeitrag stabil bleiben solle. Die SPD versuche gerade, dass Thema parteipolitisch für sich zu nutzen, um die CDU vor der Landtagswahl zu diskreditieren. Attacken aus Berlin wie die von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil würden einen Kompromiss in Magdeburg deutlich erschweren, die CDU-Landtagsfraktion würde dadurch erst recht bockig.

Stärkung der angeschlagenen AfD

Doch im Konrad-Adenauer-Haus wissen sie natürlich auch, dass die öffentliche Wahrnehmung eine andere ist. Die AfD ist gerade dabei, sich politisch selbst zu zerlegen, das hat der Parteitag am vergangenen Wochenende gezeigt. Und genau in dieser Situation stärkt man deren Position durch die Debatte über den Rundfunkbeitrag wieder. "Die AfD wirkt in Sachsen-Anhalt!", behauptet Parteichef Jörg Meuthen bereits triumphierend. Außerdem gibt es nun erneut eine Debatte, ob die CDU nicht doch einmal ein Bündnis mit der AfD eingehen könnte. Für die CDU, die ohnehin aufpassen muss, bei der Bundestagswahl nicht allzu viele Angela-Merkel-Wähler zu verlieren, ist das brandgefährlich.

In der Videokonferenz des CDU-Präsidiums am Montag waren sich deshalb alle einig, dass der Kurs der Sachsen-Anhalt-CDU verheerend ist. Die CDU stehe uneingeschränkt zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hieß es anschließend. Man halte die Erhöhung des Beitrags für vertretbar und wolle, dass der Staatsvertrag in Kraft trete. Über den Vertrag ist schon verhandelt worden als Kramp-Karrenbauer noch Regierungschefin im Saarland und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz war. Es wäre unklug, einen derart lang und intensiv verhandelten Staatsvertrag wieder aufzuschnüren, findet das CDU-Präsidium - die Haltung der Parteifreunde in Sachsen-Anhalt sei deshalb falsch.

Wir-gegen-die-da-oben-Mentalität

Die Bundes-CDU hat aber keinen Hebel, sich durchzusetzen. Sie kann ja schlecht einer ganzen Landtagsfraktion mit dem Rauswurf aus der Partei drohen. Und selbst das würde nichts bringen. Die Abgeordneten wären ja weiterhin Abgeordnete und könnten im Landtag zusammen mit der AfD die Beitragserhöhung verhindern. Auch öffentliche Aufforderungen aus Berlin bringen in Sachsen-Anhalt wenig. Dort habe sich eine Wir-gegen-die-da-oben-Mentalität breitgemacht, heißt es in Berlin. In Ministerpräsident Haseloff habe man zwar volles Vertrauen. Aber ob er dauerhaft erfolgreich Bollwerk gegen diejenigen in der CDU-Landtagsfraktion sein kann, die sich vorstellen können, auch mal mit der AfD abzustimmen, da ist man sich nicht mehr so sicher.

Am Ende komme es halt auf die Personen an, sagt einer aus der CDU-Spitze. In Sachsen laufe es wegen Michael Kretschmer hervorragend. In Thüringen gebe es jetzt in Mario Voigt einen exzellenten Spitzenkandidaten, mit dem man auch komplizierte Probleme gut lösen könne. Das könne man in Sachsen-Anhalt nicht über jedes Mitglied der Landtagsfraktion sagen.

Entsprechend groß ist der Frust in der Bundes-CDU: Man kann in Sachsen-Anhalt fast nichts bewirken, die Folgen wird man aber tragen müssen.

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