Großbritannien:Überraschende Schlussworte

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Seit Anfang 2019 lief das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in London - und es geht wohl weiter: Die USA wollen Berufung einlegen. (Foto: Matt Dunham/dpa)

Die Londoner Richterin gibt dem Antrag Washingtons in vielen Punkten recht, lehnt eine Auslieferung von Julian Assange aber ab. Grund sind die psychischen Probleme des Wikileaks-Gründers -Isolationshaft und einen Prozess in den USA würde er kaum überstehen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Julian Assange saß im Londoner Bezirksgericht, dem Old Bailey, auf einer Bank in einem Glaskasten, während Richterin Vanessa Baraitser das 134 Seiten lange Urteil zusammenfasste. Seit seiner Festnahme durch die britische Polizei in der ecuadorianischen Botschaft im April 2019 hatte der Wikileaks-Gründer auf diesen Moment gewartet; damals hatten die USA seine Auslieferung beantragt - wegen Vergehens gegen den mehr als hundert Jahre alten "Espionage Act", der den unbefugten Besitz und die Veröffentlichung von Geheimdienstinformationen unter Strafe stellt.

Das Urteil nach einer knappen Stunde: Assange verbleibt in Großbritannien, dem Auslieferungsantrag wurde nicht stattgegeben. Richterin Baraitser argumentierte allerdings weniger juristisch oder politisch denn humanitär: Weil der berühmte Australier stark suizidgefährdet sei und in der Einzelhaft in einem amerikanischen Hochsicherheitstrakt sicher noch depressiver würde, sei die akute Gefahr eines Suizids gegeben.

Unterstützer vor den Toren des Gerichts jubelten angesichts der Nachricht. Und auch zahlreiche Journalistenverbände und Menschenrechtsgruppen begrüßten die Entscheidung. Amnesty International argumentierte, das gesamte Verfahren sei politisch motiviert gewesen, die Anklagen gegen ihn hätten erst gar nicht erhoben werden dürfen. "Die britische Regierung hätte die US-Regierung nicht so bereitwillig bei der unerbittlichen Verfolgung von Assange unterstützen dürfen." Reporter ohne Grenzen erklärte, es sei gut, dass Assange aus gesundheitlichen Gründen nicht in die USA verbracht werde. Allerdings halte die Richterin die Anklagepunkte der USA in der Sache offenbar für gerechtfertigt; das sei ein Rückschlag für die Pressefreiheit.

In den Augen der Richterin ist Assange eher Datenhändler denn Journalist

Die USA verfolgen Assange, weil dieser über das Enthüllungsportal Wikileaks vor einem Jahrzehnt Hunderttausende Regierungsdokumente veröffentlicht hatte, in denen geheime Informationen zum militärischen Vorgehen der USA im Irak und in Afghanistan enthalten waren, samt Hinweisen auf schwere Kriegsverbrechen. Amerikanische Staatsanwälte werfen dem Australier seither die Gefährdung der nationalen Sicherheit sowie eine Verschwörung zum Eindringen in Regierungscomputer vor, wozu er auch die ehemalige US-Soldatin Chelsea Manning animiert habe.

Die Richterin in London listete am Montagmorgen ausführlich auf, was in ihren Augen durchaus für das Ansuchen der USA spreche, Assange auszuliefern. So negierte sie die Position der Verteidiger und Anhänger von Assange, dieser sei Journalist. Er habe nur das Grundrecht auf freie Rede in Anspruch genommen und letztlich "innerhalb der Grenzen des verantwortungsvollen Journalismus" agiert. Das Problem, so die Richterin, liege darin, dass der Wikileaks-Gründer seine Informantin Chelsea Manning nicht nur regelrecht animiert habe, geheime Daten zu besorgen, sondern sich mit deren Veröffentlichung auch das Recht angemaßt habe, über das Schicksal von Menschen zu entscheiden, über deren Lebensumstände oder Gefährdung er nichts wissen konnte - und all das im Namen der freien Rede. Assange habe nicht als Journalist mit professionellem Ethos agiert, sondern letztlich als eine Art skrupelloser Datenhändler. Auch Whistleblower, so die Richterin, hätten jedoch die Pflicht, Menschen bei der Preisgabe von Informationen zu beschützen.

Jubelszenen vor dem Gericht: Unterstützer von Julian Assange feiern die Ablehnung des Auslieferungsgesuchs der USA in London. (Foto: DANIEL LEAL-OLIVAS/AFP)

Die Richterin widersprach auch den Befürchtungen von Assanges Anwälten, dass ihn in den USA unter anderem deshalb kein fairer Prozess erwarte, weil das Verfahren in einem Gericht unweit des CIA-Hauptquartiers stattfinden solle. Weil dort vor allem Mitarbeiter des US-Geheimdienstes lebten, wäre es schier unmöglich gewesen, so das Argument der Assange-Seite, genug unvoreingenommene Geschworene zu finden. Baraitser ließ sich auch darauf nicht ein: In der Gegend lebten Millionen Menschen, da würden sich wohl zwölf Personen mit klarem Kopf finden.

In den letzten Minuten schlug sie dann aber doch argumentativ eine andere Richtung ein: Würde der 49-Jährige nach seiner Überstellung in die USA, wie zu vermuten, im Hochsicherheitsgefängnis in Florence, Colorado, untergebracht und dort zu einer Art Isolationshaft verdammt, sei zu befürchten, dass Assange sich umbringe. In den USA hätten Assange bis zu 175 Jahre Haft gedroht. Nun wird er wohl vorerst in Großbritannien bleiben, während über die Berufung durch die Amerikaner in einem vermutlich jahrelangen Prozedere entschieden wird. Seine Anwälte wollen versuchen, ihn auf Kaution freizubekommen. Der Antrag sollte Stunden nach der Urteilsverkündung gestellt werden.

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