Corona-Leugner in Sachsen:Kretschmer gibt Nachhilfe in Realität

Coronavirus - Sachsen

Landeschef Michael Kretschmer (CDU) mit "So geht Sächsisch"-Mundschutz in der Staatskanzlei in Dresden.

(Foto: Robert Michael/dpa)

Sachsens Ministerpräsident bekommt zu Hause ungebetenen Besuch. Er reagiert mit einer Bestimmtheit, die sein Kurs in der Pandemiebekämpfung zuletzt vermissen ließ.

Von Antonie Rietzschel, Leipzig

Für seine Bürgernähe ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bekannt. Vor der Corona-Zeit war der CDU-Politiker fast im Wochentakt quer durch Sachsen gereist, um sich die Sorgen der Bevölkerung anzuhören. Dass er dabei auch mit jenen den Dialog suchte, die keinen Hehl aus ihrer Verachtung für die Demokratie machten, brachte ihm viel Kritik ein. Auch, dass er sich bis zum Sommer 2020 immer wieder mit Corona-Leugnern und Verschwörungsmythologen traf.

Ebenjene haben sich am vergangenen Sonntag selbst auf die Reise begeben. "Michael Kretschmer bekommt Besuch", so lautet der Titel eines Youtube-Videos, das derzeit in sozialen Netzwerken die Runde macht. Es zeigt, wie etwa 30 Menschen am Sonntagmorgen durch die kleine Gemeinde Waltersdorf in der Oberlausitz laufen, einige tragen Mützen oder Jacken in den Farben der Reichsflagge. Sie postieren sich vor einer verschneiten Auffahrt. Sie führt zum Wohnhaus des Ministerpräsidenten. Der schippt gerade Schnee mit seinem Sohn.

Kretschmer erklärt sich bereit, mit der Gruppe zu reden. Außer ihm trägt keiner Maske. Man wünscht sich gegenseitig einen Guten Morgen und ein Frohes neues Jahr. Als einer der Rädelsführer zu Kretschmer sagt, man wünsche sich, dass der Lockdown so schnell wie möglich beendet wird, antwortet Kretschmer: "Da sind wir uns einig." Dann erzählt er von seinem Besuch auf einer Intensivstation kurz vor Silvester, erklärt, dass es darum gehe, das Gesundheitssystem zu entlasten. Immer wieder wird Kretschmer unterbrochen. Seine Argumente seien an den "Haaren herbeigezogen". Er ruft andere Fragesteller auf, der Ministerpräsident agiert anfangs noch wie ein Moderator.

In den Krankenhäusern lägen Menschen, die fälschlicherweise positiv auf Corona getestet worden seien, und in den Pflegeheimen kümmere man sich nicht mehr um die Alten. "Wer von Ihnen arbeitet in einem Pflegeheim?", fragt Kretschmer wütend. Er wisse von einem Heim mit 100 Bewohnern, 25 seien an Corona gestorben. "In Ihrem Alter." Kretschmer zeigt auf die Gruppe. An Corona sei noch niemand gestorben, brüllt einer. "An Corona", sagt Kretschmer.

So bestimmt war Kretschmer zuletzt nicht mehr

Seine Stimme klingt schneidend. 20 Minuten geht das so, bis die Polizei eintrifft und Kretschmer sich umdreht und zurück zum Haus läuft. 20 Minuten, in denen der Ministerpräsident mit einer Klarheit und Bestimmtheit auftritt, die ihm in den vergangenen Monaten zuweilen gefehlt hat. Auch bei der Bewertung der Pandemielage in Sachsen.

Das Bundesland ist seit Wochen Corona-Hotspot. In vielen Landkreisen liegt die Inzidenz bei über 400. Das Vogtland knackte zuletzt den traurigen Rekord von 800. Krankenhäuser und Krematorien arbeiten am Limit.

Im Frühjahr 2020 galt Sachsen mit vergleichsweise niedrigen Inzidenzen als eher unauffällig. Dennoch verhängte die Landesregierung einen harten Lockdown. Einen Kurs, den Kretschmer mit dem nahenden Sommer korrigierte. Die Bevölkerung schwor er auf Eigenverantwortung und Solidarität ein. "Keine Hysterie, bitte", forderte er Mitte Oktober, kurz bevor die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten über neue Maßnahmen beraten wollte. Da stiegen die Infektionszahlen bereits wieder. Im Dezember waren sie so hoch, das Sachsen nichts anderes übrig blieb, als die Kontaktbeschränkungen weiter zu verschärfen. Früher als in anderen Bundesländern wurden Schulen und Geschäfte wieder geschlossen.

"Wir waren im Herbst noch zu zögerlich", erklärte Kretschmer vor Kurzem im Gespräch mit der Freien Presse. Das kam einem Eingeständnis gleich. Anders als Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), der sich zur gleichen Zeit öffentlich für die Fehler im Umgang mit dem Pandemiegeschehen entschuldigte, bekam Kretschmer jedoch kein Lob.

Denn sein Interview offenbarte ein gewisses Organisationschaos in der Landesregierung, die er anführt. Er sei schlecht informiert worden über die Lage im Land. Dass etwa das Personal des Krankenhauses in Aue bereits im November am Limit gearbeitet habe, sei ihm erst am 11. Dezember bei einem persönlichen Besuch klar geworden. "Auf Vermerke allein darf man sich nicht verlassen, dann geht es schief", sagt Kretschmer.

Seine Lieblingsrolle: Moderator

Auch die Koalitionspartner SPD und Grüne bemängeln Probleme. Von einem ständigen Hin und Her ist die Rede. Die Kritik richtet sich gegen Kretschmer selbst, aber auch gegen die Staatskanzlei. Deren Aufgabe ist es in Krisenzeiten, die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Ministerien zu koordinieren, um Verwirrung wie zuletzt bei den Winterferien zu verhindern.

Ohne die Absprachen im Kabinett abzuwarten, hatte der Kultusminister, Kretschmers Parteikollege Christian Piwarz, angekündigt, die Ferien zu streichen. Der Ministerpräsident unterstützte ihn. Empörte Eltern meldeten sich zu Wort. Die Regierung einigte sich darauf, die Ferien aufzuteilen, ein Kompromiss zwischen CDU, SPD und Grünen. Kretschmer soll bei den Verhandlungen in seiner Lieblingsrolle aufgetreten sein, der des Moderators.

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