Pandemie:Ethikrat: Keine Ausnahmen für Geimpfte

Solange nicht geklärt sei, ob das Virus trotz Immunisierung weitergegeben werden kann, seien keine Sonderregeln denkbar. Nur Bewohner von Pflegeheimen sollten mehr Freiheiten erhalten.

Von Werner Bartens und Viktoria Spinrad, Berlin/München

Geimpfte und ungeimpfte Bürger sollen die Pandemie bis auf Weiteres mit den gleichen Einschränkungen durchstehen. Das empfahl der Ethikrat am Donnerstag. Eine Rückgabe von Freiheiten an Geimpfte ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn gesichert wäre, dass man das Virus nach einer Impfung nicht mehr weiterverbreiten könnte, argumentierte die Vorsitzende Alena Buyx.

Ferner befand der Rat Präventionsmaßnahmen wie Abstandsregeln und das Tragen von Masken auch für Geimpfte für zumutbar. Andernfalls könne die Akzeptanz leiden. Man wolle durch die Pandemie kommen, "ohne dass eine Ellenbogenmentalität einsetzt", sagte Sigrid Graumann vom Ethikrat.

Die Frage, ob geimpfte Menschen mittels Impfpass schneller zum normalen Leben zurückkehren können als ungeimpfte, ist in den vergangenen Wochen immer wieder leidenschaftlich diskutiert worden. Während die einen eine Impfpflicht durch die Hintertür befürchteten, mahnten andere vor einer Zweiklassengesellschaft.

Nun hält auch der Ethikrat fest: Es ist ein großer Unterschied, ob der Staat geimpften Menschen ihre Grundrechte frühzeitig wiedergibt oder ob ein privater Kinobetreiber nur Geimpfte in den Saal lässt, solange der Staat eine Öffnung erlaubt. "Private Anbieter können ihre Vertragsfreiheit ausüben", betonte Volker Lipp vom Ethikrat. Als Beispiel nannte er die Deutsche Bahn, die eine Beförderungspflicht hat.

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, mahnt denn auch davor, in diese Vertragsfreiheit von staatlicher Seite einzugreifen. In der notwendigen Lebensführung, also für Besuche im Krankenhaus, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Ähnliches, hält er einen Impfpass derweil "für problematisch und nicht möglich", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Das unabhängige Gremium, das die Bundesregierung in ethischen Fragen berät, plädiert hier für nur eine Ausnahme: Aus seiner Sicht sollten ausschließlich Geimpfte in Pflege-, Senioren-, Behinderten- und Hospizeinrichtungen frühestmöglich wieder mehr Freiheiten erhalten. Hier seien die Menschen "Belastungen ausgesetzt, die ganz erheblich darüber hinausgehen, was andere erdulden müssen", sagte Lipp.

"Der Inzidenzwert alleine kann es nicht sein."

In der vier Seiten langen Ad-hoc-Empfehlung lässt sich auch subtile Kritik an der bisherigen Orientierung der Politik an Inzidenzwerten erkennen. "Aus unserer Sicht müsste es eine viel stärkere Berücksichtigung einer drohenden Überlastung des Gesundheitswesens geben", sagte Buyx. Graumann ergänzte: "Der Inzidenzwert alleine kann es nicht sein."

Der Knackpunkt bei der Debatte ist die Immunisierung: Noch lässt sich schwer abschätzen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Geimpfte andere anstecken. Schließlich vermehrt sich Sars-CoV-2 zunächst in den oberen Atemwegen, eine Impfung oder die überstandene Krankheit führen jedoch zur Bildung von im Blut zirkulierenden Antikörpern, die eine Ausbreitung des Virus im Körper unterbinden.

Selbst wenn die Wissenschaft bald ausschließen könnte, dass Geimpfte infektiös sind, bleibt unklar, wie lange ihre Immunität anhält. Weitere Unsicherheiten entstehen durch die neuen Mutationen. Bisher scheinen zwar die meisten Impfstoffe dagegen wirksam zu sein, doch noch ist ungewiss, ob dies auf Dauer so bleibt, wenn sich das Virus weiter verändert.

Während Deutschland bis auf Weiteres die Gleichbehandlung aller anstrebt, will Dänemark bereits Ende des Monats einen digitalen Impfpass einführen. Mit diesem Dokument soll die Bevölkerung nach und nach immer mehr Freiheiten zurückgewinnen. Auch andere Länder wie die USA oder Israel denken über Sonderrechte nach.

Hierzulande war kaum der Erste geimpft, da ging die Diskussion um "Privilegien" für Geimpfte schon los. Ein Begriff, an dem es in der Folge immer wieder Kritik gab - schließlich ging es nie um Sonderrechte, sondern um Grundrechte. Das betonten denn auch die Ethiker. Buyx sprach bei der Vorstellung des Papiers von einem Ausdruck, der "verwirrend" und "unpräzise" sei und die Debatte bloß aufheize. Ihr Appell: "Ich würde mich freuen, wenn der Begriff nicht mehr verwendet würde."

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