Europäische Union:Polen und Ungarn klagen gegen Rechtstaatsklausel

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Ein Statement in Luxemburg: Der Europäische Gerichtshof berät über eine Klage gegen die neue Rechtsstaatsklausel. (Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa)

Klagen Warschaus und Budapests vor dem EuGH verhindern die Anwendung des Mechanismus auf unabsehbare Zeit.

Von Florian Hassel, Belgrad

Polen und Ungarn haben vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Klagen gegen die Bindung der Auszahlungen von EU-Geldern an die Befolgung bestimmter rechtsstaatlicher Kriterien eingereicht. Regierungssprecher Piotr Müller erklärte in Warschau, die Klagen richteten sich gegen die Verordnung, die festlegt, wie genau die Bestimmung in der am 1. Januar begonnenen und bis 2027 dauernden EU-Haushaltsperiode umgesetzt wird.

Die Klagen kommen nicht überraschend. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Ungarns Premier Viktor Orbán hatten das mehrjährige EU-Budget und das 750 Milliarden Euro umfassende Corona-Wiederaufbaupaket wochenlang blockiert. Sie gaben ihren Widerstand gegen die Einführung dieser Rechtstaatsklausel beim EU-Gipfel am 10. Dezember 2020 erst auf, als die anderen Regierungschefs zusicherten, die Klausel werde von der EU-Kommission erst angewendet, wenn der EuGH über ihre Rechtmäßigkeit entschieden habe. Geben die Luxemburger Richter grünes Licht, könnten Fördergelder gekürzt oder gestrichen werden, wenn deren rechtmäßige Verwendung gefährdet ist, etwa weil Gerichte nicht unabhängig sind.

Polen sieht in der Verordnung eine "neue, in den (EU-) Verträgen nicht vorgesehene und einer Kontrolle entzogene Prozedur". Die Juristischen Dienste aller EU-Institutionen halten die Regel für rechtmäßig. Beide Länder beharren in den Klagen darauf, Maßnahmen im Rechtsstaatsbereich dürften ausschließlich auf Grundlage von Artikel 7 des EU-Vertrags erfolgen - einer Prozedur, die wegen der nötigen Einstimmigkeit Polen und Ungarn vor Konsequenzen für Verstöße gegen den Rechtsstaat bisher bewahrt hat.

Polens Kabinett fragt sich, ob der EuGH seine Kompetenzen überschreitet

Der EuGH bestätigte, er habe Klagen Ungarns und Polens unter den Verfahrensnummern C-156/21 und C-157/21 registriert. Die praktische Bedeutung der Klagen aus Warschau und Budapest ist, dass die Anwendung der Klausel möglicherweise um Jahre verzögert und so erst kommende Regierungen Polens und Ungarns treffen wird.

Die bisher bekannte Begründung der beim EuGH eingereichten Klage Polens entspricht in weiten Teilen der Argumentation von Justizminister-Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, seit Ende 2015 ein Hauptarchitekt der Maßnahmen zum Abbau des Rechtsstaates in Polen. Ziobro hatte sich 2020 vehement gegen eine Verknüpfung von EU-Geldern und Rechtsstaat eingesetzt.

Die jetzt eingereichten Klagen sind nicht das einzige Instrument, mit denen die zunehmend autoritären Regierungen Polens und Ungarns Gegenmaßnahmen der EU verhindern wollen. Polens Kabinett tagte am 3. März zum Thema der angeblichen Überschreitung von Kompetenzen - durch den EuGH. Der Gerichtshof hat seit 2019 etliche Maßnahmen Warschaus zum Abbau des Rechtsstaates als Bruch von EU-Recht beurteilt. Noch am 3. März erklärte die Regierung, Premier Morawiecki beantrage beim - regierungskontrollierten - Verfassungsgericht "eine umfassende Entscheidung zu Fragen von Kollisionen europäischen Rechts mit der Verfassung Polens", die den Vorrang "polnischer Verfassungsnormen über anderen Rechtsnormen" bekräftigen solle.

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