Corona:Öffnungen trotz Notbremse

Coronavirus - Berlin

Der Einzelhandel in Berlin bleibt geöffnet. Einkaufen darf man aber nur nach Vorlage eines negativen Testergebnisses.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

In vielen Regionen müssten Lockerungen der Corona-Beschränkungen eigentlich rückgängig gemacht werden. Die Länder legen die Regeln aber unterschiedlich aus.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Eigentlich ist der Interpretationsspielraum begrenzt: Angesichts der exponentiell steigenden Infektionsdynamik müsse die "Notbremse für alle inzidenzabhängigen Öffnungsschritte" konsequent umgesetzt werden, so heißt es im jüngsten Beschluss von Bund und Ländern zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie.

Sprich: Lockerungen müssten überall dort wieder rückgängig gemacht werden, wo die Sieben-Tage-Inzidenz je 100 000 Einwohner drei Tage lang jenseits der 100 liegt. In vielen Regionen ist der Zustand, der in Punkt zwei des Beschlusspapiers festgehalten ist, längst erreicht. Was daraus folgt, ist aber höchst unterschiedlich.

Am Samstag kam etwa in Berlin der Senat zu einer Sondersitzung zusammen. Gemessen an den Inzidenzen wäre die Notbremse fällig gewesen, und in der Tat beschloss die Regierung von Landeschef Michael Müller (SPD) Verschärfungen: Arbeitgeber müssen ihren Mitarbeitern vor Ort zwei Tests in der Woche anbieten; in Büros darf - mit ein paar Ausnahmen - nur die Hälfte der Plätze besetzt sein, und Modellprojekte, etwa Kulturveranstaltungen mit Schnelltests, werden gestoppt.

Eine Rückabwicklung aller Öffnungsschritte allerdings bedeuten diese Beschlüsse nicht. Der Einzelhandel etwa bleibt geöffnet; Shopping ist sogar ohne Termin möglich, wenn auch nur mit negativem Test. Das Gleiche gilt für Friseure, Museen und Galerien. "Der einfachste Weg ist der komplette Lockdown", sagte Müller. Der zweite Weg wäre die Umsetzung der Notbremse "eins zu eins" gewesen. "Also der Einzelhandel ist wieder zu und der Jugendsport, und dann gucken wir mal, ob das geht." Der Berliner Senat aber habe sich anders entschieden. Es gebe keinen "Königsweg", es sei ein Abwägungsprozess.

Schnelltest statt Schließung

Ähnliches ließ sich schon in anderen Bundesländern besichtigen. In Nordrhein-Westfalen wollen viele Städte und Landkreise die Rückabwicklung der Öffnungsschritte abwenden und setzen stattdessen auf negative Tests für den Zugang zu Museen oder Geschäften. Das Land hatte den Kommunen vergangene Woche dieses Vorgehen ermöglicht: Am Freitag beschloss die Landesregierung zwar für 31 Kreise und kreisfreie Städte die Notbremse - allerdings mit einer neugeschaffenen "Test-Option".

Per Allgemeinverfügung und "im Einvernehmen" mit dem Landessozialministerium können Regionen mit Inzidenzen von mehr als 100 die eigentlich zu schließenden Einrichtungen mit einem "tagesaktuellen bestätigten Schnelltest mit negativem Ergebnis" doch offen halten.

In Brandenburg dagegen sollen am Dienstag für Regionen mit hohem Infektionsgeschehen unter anderem nächtliche Ausgangsbeschränkung über Ostern beschlossen werden - Mitte April sollen aber trotzdem Modellprojekte möglich sein. Bremen zieht ebenfalls die Notbremse. Deren konsequente Umsetzung forderte auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in der Augsburger Allgemeinen. Gleichzeitig sieht die bayerische Corona-Verordnung nach den Osterferien aber unter anderem Terminshopping und einige Modellprojekte für Öffnungen mit Tests auch in Regionen jenseits einer Inzidenz von 100 vor.

Strikte Durchsetzung in Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Wochenende zum Thema Notbremse: "Das wird strikt durchgesetzt. Da gibt es kein Vertun mehr." Die neueste Corona-Verordnung vom Sonntag sieht für den Südwesten unter anderem Ausgangsbeschränkungen vor. Die Rückkehr zu härteren Kontaktbeschränkungen allerdings ist zumindest über Ostern auch in Baden-Württemberg nicht geplant.

Wenig Begeisterung zeigte Kretschmann für das Vorhaben seines saarländischen Amtskollegen Tobias Hans (CDU), der sein gesamtes Land zur Modellregion erklärt hat. "Das ganze Saarland ist damit nicht gemeint gewesen", sagte Kretschmann, "auch wenn das klein ist." Am Sonntag lag die Inzidenz im Saarland allerdings noch knapp unter 80; niedriger ist sie nur in Schleswig-Holstein.

Ohnehin scheint es unterschiedliche Auslegungen zur Causa Modellprojekt zu geben. Am Freitag sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Modellregionen seien im Beschluss von Bund und Ländern "ausdrücklich vorgesehen" in Regionen mit niedriger Inzidenz. "So ist es vereinbart." Allerdings heißt es in besagtem Beschluss lediglich, dass die Länder im Rahmen von zeitlich befristeten Modellprojekten "in einigen ausgewählten Regionen" einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens öffnen können. Damit soll geprüft werden, welche Öffnungen unter Nutzung von Schnelltests umsetzbar sind.

Von niedrigen Inzidenzen als Voraussetzung steht dort nichts. Danach gefragt, sagte Spahn: "Das ist für mich ein Gebot der Logik", und Logik müsse man nicht immer aufschreiben. "Wenn Notbremse ist, ist nicht gleichzeitig Öffnung", so Spahns Schlussfolgerung.

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