Diskussion um "Notbremse":Jedem sein Schlupfloch

Diskussion um "Notbremse": In Nordrhein-Westfalen sind auch Museen bis auf Weiteres geöffnet: Besucher vor einem Warhol-Kunstwerk im Museum Ludwig in Köln.

In Nordrhein-Westfalen sind auch Museen bis auf Weiteres geöffnet: Besucher vor einem Warhol-Kunstwerk im Museum Ludwig in Köln.

(Foto: Ina Fassbender/AFP)

Wie die Lockerungen einzelner Bundesländer aussehen - und wie sie die Öffnungen gegen Kritik verteidigen

Von Matthias Drobinski, Andreas Glas, Jens Schneider und Christian Wernicke

Der Unmut der Kanzlerin über die lockere Linie so mancher Länder war greifbar. Drei aber nannte sie Sonntagabend in der ARD namentlich: Berlin, das Saarland und Nordrhein-Westfalen. Und so richtet sich die Aufmerksamkeit am Montag vor allem auf die Corona-Politik dieser Landesregierungen. Armin Laschet, der CDU-Vorsitzende, beteuerte denn auch am Montag in Berlin, seine Regierung habe daheim in NRW die Corona-Notbremse "flächendeckend verpflichtend für alle" umgesetzt. Nur, so ganz deckt sich das eben nicht mit dem, was am vorigen Freitag in Düsseldorf Armin Laschet, der Ministerpräsident, gebilligt hat.

Gemäß der sogenannten Notbremse sollen Geschäfte, Museen oder Zoos dort wieder geschlossen werden, wo die Wocheninzidenz an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. Das war - Stand Montag - in 33 von 53 kreisfreien Städten und Kreisen in NRW der Fall - und doch können in 30 dieser 33 Kommunen die Menschen per "Click & Meet" weiterhin einen Einkaufstermin buchen oder wenigstens ein Museum besuchen, wenn sie sich per Schnelltest einen 24 Stunden gültigen negativen Corona-Bescheid besorgten.

"Notbremse gegen die Notbremse" nennen es manche in Düsseldorf

Nordrhein-Westfalens Türöffner ist eine Rechtskonstruktion, die manche in Düsseldorf die "Notbremse gegen die Notbremse" nennen. Städte und Kreise, die genügend Testzentren geschaffen haben (und das sind laut Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann "eigentlich alle"), dürfen sich vom Land eine Allgemeinverfügung absegnen lassen - und die lockert in Laschets Land dann, was Angela Merkel gern härter hätte. Ein Schnelltest - kein Selbsttest - mit negativem Befund genügt, um weiterhin zu shoppen. Nur drei Städte und Kreise verzichteten auf eine solche Lockerung à la NRW, die Kultur-Metropole Köln lockerte nur den Zutritt zu Museen.

Als Motiv für die kreative Bremse geben Laschet und Laumann an, auf diese Weise mehr Bürger zur Teilnahme an Tests anlocken zu wollen. So würden auch Infizierte entdeckt und in Quarantäne geschickt, die bisher keine Symptome gezeigt hätten. Am Montag behauptete Laschet sogar, dies sei "der Auftrag der letzten MPK" gewesen. Zumindest in den schriftlichen Beschlüssen findet sich diese Mission freilich nicht.

In Berlin wird rund um den dortigen Senat gern von einer Doppelstrategie gesprochen, oder auch einer "differenzierten Lösung". In einer Regierungserklärung im Berliner Abgeordnetenhaus sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) Ende vergangener Woche: "Ich glaube, dass es kein gangbarer Weg ist, jetzt wieder alles zurückzudrehen, was wir uns in den letzten Tagen und Wochen an Möglichkeiten und Freiheiten erkämpft haben." Für die Hauptstadt steht das Testen im Mittelpunkt. So sollen auch hier viele Läden offen bleiben dürfen, auch wenn das so nicht der beschlossenen Notbremse entspricht.

Auch in Berlin geht Shoppen mit negativem Testergebnis

Im Einzelhandel sollen Kunden, die ein tagesaktuelles negatives Testergebnis vorweisen, einkaufen dürfen. Es gibt rund 170 Stationen für einen Gratis-Test in der Stadt, und: "Betreibende von Kaufhäusern und Einkaufszentren (Malls) sind angehalten, für die Besucher*innen Testmöglichkeiten zu organisieren", steht dazu in der neuen Verordnung des Senats.

Das ist es wohl, was die Kanzlerin als Konzept "Testen und Bummeln" kritisiert. Zur Doppelstrategie des Berliner Senats gehört die Aufforderung an alle Arbeitgeber, den Beschäftigten mindestens zwei kostenlose Tests pro Woche zur Verfügung zu stellen. Auch soll der Druck auf Unternehmen erhöht werden, mehr Mitarbeiter ins Home-Office zu schicken, um Ansteckungen in dicht besetzten Büros zu vermeiden. Nur maximal die Hälfte der Bildschirmarbeitsplätze in Büros darf fortan genutzt werden. Dies sei zwar eine Belastung für die Unternehmen, sagte Müller. "Aber wir können nicht immer weiter im privaten Bereich einschränken, bei Kindern, Schulen und im Einzelhandel."

Der ebenfalls von Merkel kritisierte saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sieht sich ebenfalls nicht als Rebell. "Wir folgen dem von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen Plan", beteuert Hans. Mit Schnelltests und Kontaktnachverfolgungen verfüge man jedoch über gute Instrumente, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren. So könne die Landesregierung mit dem Saarland-Modell "ein neues Kapitel in der Pandemiebekämpfung aufschlagen", ohne dabei von ihrem "umsichtigen Kurs abzuschwenken".

Nach Ostern soll im kleinsten deutschen Flächenland die Außenbewirtung geöffnet werden. Gäste müssen sich vorher anmelden, ihre Kontaktdaten werden erfasst. Bevor sie Platz nehmen, müssen sie einen negativen Corona-Test vorweisen; an einem Tisch dürfen maximal zehn Menschen sitzen. Für Menschen mit aktuellem, negativem Test stehen Theater, Kinos, Konzerthäuser offen; für sie ist der Besuch im Fitnessstudio ebenso möglich wie Fußball im Freien und kontaktloser Sport auch in der Halle.

An die Stelle der Beschränkungen träten damit Testauflagen, betont Hans. Das sei im Saarland mit seiner sehr hohen Testquote von 14 Prozent der Einwohner innerhalb einer Woche möglich; so könne man "Grundrechtseinschränkungen im Kampf gegen die Pandemie so gering wie möglich halten". Bei "exponentiell steigenden Infektionen und kritischer Lage in der Krankenhausversorgung werden Öffnungsschritte wieder zurückgenommen", betont der Ministerpräsident, "wir machen kein fahrlässiges Experiment, wir handeln verantwortungsvoll."

Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner liegt im Saarland derzeit bei etwas mehr als 80 - allerdings mit steigender Tendenz. Im Landkreis Neunkirchen ist der Wert auf über 130 gestiegen.

Bayern sind Zweifel gekommen an den geplanten Modellregionen

In Bayern hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bereits am Sonntagabend angedeutet, dass er Merkels Kurs mitgehen will. "Die Bundeskanzlerin hat ja den Takt bestimmt", sagte er in den "Tagesthemen" - wobei Söder natürlich mit jedem Satz durchblicken ließ, dass der Takt der Kanzlerin auch seiner ist. Ausgangsbeschränkungen? Gebe es in bayerischen Hotspots längst. Die Notbremse? Setze Bayern bereits konsequent um. Tatsächlich durfte sich Söder am wenigsten angesprochen fühlen, als die Kanzlerin einzelne Länderchefs kritisierte. Mit einer Ausnahme: Söders Plänen, Modellregionen in Bayern zu installieren, um dort kontrollierte Lockerungen zu testen.

Mit diesen Plänen steht Bayern zwar nicht allein da. Doch rhetorisch hatte Söder mal wieder alle übertroffen, als er die Modellregionen nach Tübinger Vorbild in der vergangenen Woche ankündigte. Von "Tübingen plus" sprach er, da in Bayern am 12. April gleich acht Projekte starten sollen. Nun bremst Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) bereits. Durch die Modellregionen dürfe keine zusätzliche Gefahr entstehen, die Infektionen in die Höhe zu treiben. Am Montag deuteten alle Signale darauf hin, dass "Tübingen plus" doch nicht so rasch kommt. An diesem Dienstag wird sich Söder dann voraussichtlich näher dazu äußern.

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