Pandemie-Bekämpfung:Machtentzug

Coronavirus - Schnelltests bei Maschinenbauer Trumpf

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drängt auf eine Corona-Testpflicht in Unternehmen - wie hier beim Laserspezialisten Trumpf in Baden-Württemberg.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Die Bundesländer finden bei Corona nicht mehr zu einer einheitlichen Linie. Der Bund will nun im Schnellverfahren zentrale Punkte deutschlandweit regeln.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Urlaub, das ist die Zeit, in der man es mal laufen lassen kann. In der ein jeder einfach mal sein Ding machen darf. Manche Politiker haben diese Chance über die Ostertage ausgiebig genutzt. Doch nun ist die Zeit des Laissez-faire vorbei, der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz machte das am Sonntag leicht ruppig deutlich: Es gehe um Klarheit überall in Deutschland, "sodass es da keine Unterschiede gibt und alle wissen, woran sie sind, und nicht jeden Tag was Neues erzählt wird, sodass alle völlig verwirrt sind", sagte er auf einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer in Potsdam. Die Bundesregierung müsse nun die Corona-Maßnahmen steuern, so der Appell von Scholz und anderen Bundespolitikern am Wochenende.

Die Gründe für diesen Paradigmenwechsel in der Pandemiebekämpfung hatten Ministerpräsidenten und Regionalpolitiker selber geliefert. Bei ihrer letzten gemeinsamen Konferenz vor Ostern hatten sie vereinbart, die Lockerungen bei Inzidenzwerten über 100 zu beenden. Die Inzidenzen kletterten über 100, doch kaum ein Politiker zog die Notbremse.

Stattdessen wurschtelten sich Bund, Länder und Landkreise in den vergangenen zwei Wochen in ein heilloses Durcheinander hinein. Ein gutes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie - so das Ergebnis - scheint der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den Ländern bei null angelangt zu sein. Eine für diesen Montag angesetzte Ministerpräsidentenkonferenz mitsamt Bundeskanzlerin wurde kurzerhand abgesagt. Nun soll der Bund übernehmen.

"Die Bund-Länder-Konferenz war und ist ein notwendiges Mittel in der Pandemiebekämpfung", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Doch jetzt wolle man "die sogenannte Notbremse als bundeseinheitliche Regelung schaffen". Bereits an diesem Dienstag will das Bundeskabinett die notwendigen Änderungen am Infektionsschutzgesetz verabschieden, anschließend soll der Bundesrat darüber beraten.

Schulschließungen erst bei Inzidenzwert über 200

"Es besteht deutschlandweit eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation mit starker Zunahme der Fallzahlen", heißt es in der vorläufigen Gesetzesvorlage. "Deshalb sind Maßnahmen mit bundeseinheitlichen Standards erforderlich." Diese würden in einer Region gelten, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei Tagen hintereinander den Wert von 100 überschreitet.

Dazu gehören weitreichende Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen: Die Mitglieder eines Haushalts dürfen sich dann nur noch mit einer Person zusätzlich treffen, maximal jedoch fünf Menschen insgesamt. Kinder unter 14 Jahren, die zum Haushalt gehören, werden nicht mitgezählt. Bis auf wenige Ausnahmen wie Arbeit oder einen Notfall soll zudem zwischen 21 und 5 Uhr eine Ausgangssperre gelten.

Die geplante Gesetzesänderung beinhaltet auch eine Reihe von Schließungen, wie zum Beispiel von Restaurants, Schwimmbädern, Diskotheken, Kultureinrichtungen oder Zoos. Auch zahlreiche Geschäfte müssten dann bis auf Angebote zur Grundversorgung wieder zumachen.

Zudem gilt bei Inzidenz über 100 automatisch eine Maskenpflicht (FFP2) in Bussen, Bahnen und bei sogenannten körpernahen Dienstleistungen.

Schulen sollen erst bei einer Inzidenz über 200 geschlossen werden, Ausnahmen dürfe es dann nur für Abschlussklassen geben. Bis zu diesem Wert könnten die Länder selber entscheiden, ob es Präsenzunterricht geben darf. Die Schüller sollen aber zweimal in der Woche auf eine Corona-Infektion hin getestet werden.

Die Wirtschaft verpflichten

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drängt zudem darauf, schnell eine Corona-Testpflicht in Unternehmen festzuschreiben. Heil argumentiert, dass 40 Prozent der Beschäftigten keine Testangebote ihrer Arbeitgeber bekämen. "Ich will, dass wir das am Dienstag in der Bundesregierung beschließen", sagte Heil der Bild am Sonntag - der Koalitionspartner Union ist bislang allerdings dagegen.

Zahlreiche Politiker unterstützten die Bundesregierung darin, die Bekämpfung der Pandemie an sich zu ziehen. So sagte der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Konstantin von Notz: "Für uns sind einheitliche, schlüssigere, konsequentere und differenziertere also verfassungskonformere Maßnahmen dringend geboten." Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) drängte angesichts der steigenden Infektionszahlen auf schnelle Beschlüsse: "Wir können uns aber keine langwierigen Gesetzesänderungsverfahren leisten, sondern brauchen schnelle Entscheidungen. Die dritte Welle der Pandemie macht keine Pause."

"Ein in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum"

Doch der Zeitplan, die Änderungen noch in dieser Woche beschließen zu können, ist mindestens ambitioniert. Denn mehrere Ministerpräsidenten meldeten dringende Änderungen an. Zugleich gibt es massive Kritik am Vorgehen der Bundesregierung. FDP-Chef Christian Lindner stellte die Fixierung auf die Inzidenzwerte infrage: "Als Auslöser für massive Freiheitseinschränkungen ist eine schwankende Zahl. die auch nur politisch gegriffen ist, nicht geeignet." Der Präsident des Deutschen Landkreistages Reinhard Sager sagte, "der vorliegende Entwurf ist ein in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen".

Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erklärte, er könne mit der geplanten Machtverschiebung zum Bund zwar grundsätzlich "gut leben". Viele Details der Gesetzesvorlage müssten aber überarbeitet werden. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) meldete "erheblichen Gesprächsbedarf" an. Neben anderem müsse "das Gesetz zeitlich befristet werden".

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