Kanzlerkandidatur:Rangeleien beim Schlussspurt

Hier eine Spitze, dort ein Gerücht - nicht einmal mehr ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl haben sich die Schwesterparteien in einen schier unauflöslichen Konflikt manövriert.

Von Stefan Braun und Boris Herrmann

Klausurtagung Unionsfraktion

„Viel Spaß uns“: Markus Söder (links) und Armin Laschet (rechts) am Sonntag mit Alexander Dobrindt und Ralph Brinkhaus (2. von rechts).

(Foto: Michael Wittig/dpa)

Da stehen sie also unter der Reichstagskuppel und tun so, als gäbe es nichts als Frieden und gute Freunde. Armin Laschet und Markus Söder in trauter Eintracht - genau das ist es, was CDU und CSU jetzt eigentlich bräuchten. Laschet und Söder wissen das, und sie bedienen es auch. Beide sprechen mehrfach von der gemeinsamen Verantwortung und der großen inhaltlichen Übereinstimmungen. Und sie reden darüber, dass nicht das persönliche Fortkommen, sondern die Zukunft des Landes am Ende im Vordergrund stehen müsse. So weit so politisch korrekt, könnte man sagen.

Doch was auf den ersten Blick wie ein einziges großes Familientreffen aussehen soll, ist nur der nächste Höhepunkt im harten Kampf um einen Kanzlerkandidaten. Und dieses Ringen, es ist noch nicht entschieden. Nur ein paar Minuten ist es her, da haben die beiden offen ausgesprochen, was sie denken. Beide wollen es werden, und beide verpacken es vor dem Vorstand der gemeinsamen Bundestagsfraktion in freundlichste Worte, auch für den Konkurrenten. Söder erklärt, dass er es machen würde, aber keinen Groll hege, sollte es anders entschieden werden. Und Laschet betont, dass die Union zwei habe, die es könnten, die SPD habe nicht mal einen. Böse Worte also gibt es nur für die politischen Gegner. Beide streicheln sich quasi über die Schulter und wissen doch, dass das Spektakel namens Kanzlerkandidatur noch nicht vorbei ist.

Söder schlug am Sonntag auf einmal sanftere Töne an

Im Gegenteil. Das Duell - es liegt jetzt offen vor aller Augen auf dem Tisch. Und zugleich bleibt den beiden nicht mehr viel Zeit, dann müssen sie einen Beschluss herbeiführen. Zu deutlich haben in den letzten Tagen von der Basis über die Parlamentarier bis hin zu prominenten Christdemokraten viele eine baldige Entscheidung eingefordert. So Volker Bouffier, der Älteste und Dienstälteste unter den CDU-Ministerpräsidenten; nicht anders Ralph Brinkhaus, der Chef der Fraktionsgemeinschaft. Selbst Armin Laschet persönlich sagte zuletzt, dass es jetzt schnell gehen müsse.

Doch so drängend das ist, so sehr ist das Duell zu jener Machtfrage geworden, die die Union eigentlich vermeiden wollte. Ja, CDU und CSU wollten wie einst 2002 eine Spannung aufbauen; aber sie wollten dabei auf keinen Fall wie gehetzte Tiere erscheinen. Genau der Fall aber ist jetzt eingetreten. Hier eine Stimmung für diesen, da eine Vermutung für jenen, dort ein Gerücht, das beiden weh tut - ausgerechnet die zuletzt von derlei Gerangel verschonten Schwesterparteien sind ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl in einen schwer aufzulösenden Konflikt geraten.

Da ist auf der einen Seite ein sehr selbstbewusster Markus Söder, der für manchen Christdemokraten immer attraktiver wird, aber in der CDU zuletzt auch immer mehr Abwehrreflexe ausgelöst hat; und da ist auf der anderen Seite ein angeschlagener Armin Laschet, der in den Umfragen nicht vom Fleck kommt, aber nach wie vor einen Trumpf in der Hand hält. Er wurde vor gut 100 Tagen als Teamspieler und Mann der Mitte zum CDU-Vorsitzenden gewählt - und verweist jetzt derart laut darauf, dass jeder und jedem klar werden müsste, was Laschet auch meint: dass Söder mit seinen öffentlichen Auftritten zeigt, dass er dieser Teamspieler eher nicht ist. Dass Laschet ausgerechnet in der aktuellen Bild am Sonntag erklärt hat, mit ihm werde es keine "Schmutzeleien" geben, ist dafür ein sicherer Hinweis. Das Wort Schmutzeleien hatte einst Horst Seehofer erfunden - als Charakterbeschreibung für Markus Söder.

Söder ist das nicht verborgen geblieben. Er zeigt das, als er am Nachmittag beim gemeinsamen Auftritt sanftere Töne anschlägt. Zwar erinnert er wieder daran, dass auch die Stimmung in der Bevölkerung eine große Rolle spielen müsse. Was natürlich für ihn sprechen soll. Aber deutlich häufiger als Laschet redet Söder auch über die größte Verantwortung der beiden, jenseits persönlicher Interessen ein Team zu bleiben. Offenkundig hat er zu spüren bekommen, dass seine jüngsten Auftritte in der CDU eher für Verdruss gesorgt haben. Insbesondere in der vergangenen Woche haben viele Christdemokraten erst mit Erstaunen und dann mit wachsendem Ärger beobachtet, wie Söder keine Möglichkeit mehr ausließ, um sich als starken Macher und Laschet als Weichei erscheinen zu lassen. "Das hat das Brückenbauen nicht erleichtert; es hat das Ringen vergiftet", sagt ein führender CDU-Politiker, der am Sonntag auch im Fraktionsvorstand dabei war.

Diese Stimme steht nicht allein. Im Gegenteil. "Es wird in der CSU zur Zeit viel an 1979 und 2002 erinnert", erzählt ein erfahrener Christdemokrat. "Aber eines wird dabei gerne vergessen: Als Franz-Josef Strauß im Konflikt Kanzlerkandidat wurde, hat er hinterher krachend verloren. Und Edmund Stoiber hat 2002 alles getan, um mit der CDU nach dem Spendenskandal sorgsam umzugehen. Nur so hat er viele CDUler für sich gewonnen. Söder hat das nicht verstanden."

Angesichts dessen kann es nicht verwundern, dass sich zuletzt prominente Christdemokraten öffentlich auf die Seite von Laschet geschlagen haben. Darunter der knapp gegen ihn unterlegene Friedrich Merz, der noch 2002 heftig für Stoiber eingesetzt hatte; oder auch der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer, der sich nach seinem hart erkämpften Wahlsieg bei den letzten Landtagswahlen im Osten zu einer wichtigen Stimme gemausert hat.

Allerdings wäre es falsch, die CDU in dieser Frage als einheitliche Truppe zu beschreiben. Je länger die Frage nun gärt, desto verrückter sind hinter den Kulissen die Koalitionen geworden. Während einst harte Kritiker wie die meisten Merzianer klar hinter Laschet stehen, werben manche liberale Christdemokraten plötzlich für den Bayern Söder. Hintergrund ist, dass dessen Umfragewerte bis heute deutlich besser sind als die von Laschet. Söders Unterstützer zeigen auf diese Zahlen - und leiten daraus ab, dass sie ihren Wahlkreis, ihr Amt, ihre Macht am ehesten mit dem Bayern sichern können.

Spricht man mit jenen, die sich nicht nur an der aktuellen Umfragezahl festhalten, sondern die nächsten Monate mit in den Blick nehmen, hört man differenziertere Überlegungen. "Im Augenblick stehen in der Corona-Pandemie immer die Kanzlerin und der Bayer gemeinsam auf der Bühne. Sie mit ihrem Image der Nachdenklichen; er mit dem Image des dominanten Machers. Was aber passiert, wenn Merkel nicht mehr da ist - und Söder plötzlich für die Union alleine ganz vorne steht?"

Ein Votum der Bundestagsfraktion ist vom Tisch

Die in der CDU, die diese Frage stellen, fürchten vor allem eines: Dass Söder als Kanzlerkandidat genauso dominant und selbstherrlich auftritt, wie er das in der CSU tut. Nicht wenige von ihnen haben im Streit um die Kanzlerkandidatur den Glauben an einen Erfolg im September schon fast verloren. "Die Union ist ermattet", sagt ein langjähriges Fraktionsmitglied. "Wir haben noch immer keine gemeinsame Botschaft für die Zukunft. Dafür streiten wir über den Mann an der Spitze. Da kann ich nur sagen: viel Spaß uns."

Und wie kann das aufgelöst werden? Noch gibt es mehrere Szenarien. Laschet lenkt doch ein und bietet es Söder an, womöglich wie einst Merkel bei einem Frühstück. Dafür gibt es aber kaum Anzeichen. Alternativ könnte Söder einlenken - und sich dafür gewichtige Ministerien für die CSU garantieren lassen. Auch das ist nach Sonntag unwahrscheinlich.

Und so dürften sich alle Blicke nun auf das CDU-Präsidium am Montagmorgen richten. Käme es dort von Bouffier bis Kretschmer, von Daniel Günther im Norden bis Thomas Strobl im Süden zu einem Votum für Laschet, dann wäre Söder gegen diese Einstimmigkeit machtlos. Kommt es dazu nicht, dann könnte es tatsächlich zu einer gemeinsamen Sitzung der obersten Gremien von CDU und CSU kommen. Diese Art von Findung gab es zuletzt im März 2004. Damals suchte die Union einen neuen Bundespräsidenten. Heraus kam Horst Köhler.

Eines im Übrigen ist inzwischen quasi vom Tisch, nämlich ein Votum der Bundestagsfraktion, wie es das 1979 gegeben hat. Zunächst hatte Fraktionschef Brinkhaus eine Entscheidung der Parteigremien eingefordert. Und dann hat am Sonntag auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble noch vor einer Wiederholung des "Fehlers" von 1979 gewarnt. Damit, so heißt es, sei diese Variante recht offiziell "beerdigt worden".

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